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Wortlaut: Die Ansprache von Papst Franziskus beim „Urbi et Orbi“

Hier finden Sie die Ansprache, die Papst Franziskus an diesem Samstag vor seinem feierlichen Weihnachtssegen „Urbi et Orbi“ am Petersplatz in Rom gehalten hat, in vollem Wortlaut.

Sämtliche Ansprachen und Predigten des Papstes in ihrer amtlichen Fassung finden Sie auf der Internetseite des Vatikan.

Liebe Brüder und Schwestern, frohe Weihnachten!

Das Wort Gottes, das die Welt erschaffen hat und der Geschichte und dem Weg des Menschen Sinn verleiht, ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Es ist wie ein Säuseln, wie das Rauschen einer sanften Brise erschienen, um das Herz eines jeden Mannes und einer jeden Frau, die sich dem Geheimnis öffnen, mit Staunen zu erfüllen.

Das Wort ist Fleisch geworden, um mit uns in Dialog zu treten. Gott will keinen Monolog führen, sondern einen Dialog. Denn Gott selbst, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ist Dialog, ewige und unendliche Gemeinschaft der Liebe und des Lebens.
Indem Gott in der Person des fleischgewordenen Wortes in die Welt gekommen ist, hat er uns den Weg der Begegnung und des Dialogs gezeigt. Er hat diesem Weg in sich selbst leibliche Gestalt gegeben, damit wir den solchen erkennen und mit Vertrauen und Hoffnung beschreiten können.

„Wir riskieren, den Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung vieler unserer Brüder und Schwestern nicht zu hören“

Schwestern, Brüder, »was wäre die Welt ohne dieses geduldige Gespräch so vieler hochherziger Menschen, die Familien und Gemeinschaften zusammengehalten haben?« (vgl. Enzyklika Fratelli tutti, 198). In dieser Zeit der Pandemie wird uns dies noch deutlicher bewusst. Unsere Fähigkeit zu sozialen Beziehungen wird auf eine harte Probe gestellt; es gibt eine wachsende Tendenz dazu, sich zu verschließen, alles allein machen zu wollen; man verzichtet darauf, hinauszugehen, sich zu begegnen und miteinander die Aufgaben zu erledigen. Und auch auf internationaler Ebene besteht die Gefahr, dass die Bereitschaft zum Dialog fehlt, dass die komplexe Krise dazu führt, Abkürzungen zu wählen anstatt die längeren Wege des Dialogs; diese allein jedoch führen zu einer Konfliktlösung und zu Vorteilen, die allen zugutekommen und von Dauer sind.

Denn während die Verkündigung der Geburt des Erlösers, dem Quell des wahren Friedens, um uns herum und in der ganzen Welt erschallt, gibt es immer noch viele Konflikte, Krisen und Widersprüche. Sie scheinen nie zu enden, und wir nehmen sie kaum noch wahr. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass unermessliche Tragödien schweigend übergangen werden; wir riskieren, den Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung vieler unserer Brüder und Schwestern nicht zu hören.

„Aber siehe, mitten in der Nacht, das Zeichen der Hoffnung!“

Denken wir an das syrische Volk, das seit mehr als einem Jahrzehnt einen Krieg durchlebt, der viele Opfer gefordert und eine beträchtliche Zahl von Flüchtlingen hervorgebracht hat. Schauen wir auf den Irak, der nach einem langen Konflikt immer noch Mühe hat, sich wiederaufzurichten. Hören wir den Schrei der Kinder aus dem Jemen, wo sich eine ungeheure, von allen vergessene Tragödie seit Jahren in aller Stille abspielt, die jeden Tag Menschenleben fordert.

Erinnern wir uns an die anhaltenden Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern, die sich ungelöst hinziehen und immer größere soziale und politische Folgen haben. Vergessen wir nicht Betlehem, den Ort, an dem Jesus das Licht der Welt erblickte. Dort durchlebt man auch aufgrund der von der Pandemie verursachten wirtschaftlichen Probleme schwere Zeiten. Denn die Pilger sind daran gehindert, das Heilige Land zu erreichen, und dies wirkt sich negativ auf das Leben der Bevölkerung aus. Denken wir an den Libanon, der sich in einer beispiellosen Krise befindet und dessen wirtschaftliche und soziale Lage sehr besorgniserregend ist.

Aber siehe, mitten in der Nacht, das Zeichen der Hoffnung! Heute ist »die Liebe, die auch die Sonne bewegt und die anderen Sterne« (Paradies, XXXIII, 145), wie Dante sagt, Fleisch geworden. Sie ist [in Jesus] in menschlicher Gestalt gekommen, sie hat unsere Dramen geteilt und die Mauer unserer Gleichgültigkeit durchbrochen. In der Kälte der Nacht streckt er seine kleinen Arme nach uns aus: Er braucht alles, aber er kommt, um uns alles zu geben. Ihn bitten wir um die Kraft, uns dem Dialog zu öffnen. An diesem Festtag bitten wir ihn, in den Herzen aller die Sehnsucht nach Versöhnung und Geschwisterlichkeit zu wecken. An ihn richten wir unser Flehen.

„Stehe denen bei, die sich für die humanitäre Hilfe zugunsten der Bevölkerungen einsetzen“

Jesuskind, gib dem Nahen Osten und der ganzen Welt Frieden und Eintracht. Stehe denen bei, die sich für die humanitäre Hilfe zugunsten der Bevölkerungen einsetzen, die gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen; tröste das afghanische Volk, das seit über vierzig Jahren durch Konflikte auf eine harte Probe gestellt wird, die viele dazu bewogen haben, das Land zu verlassen.

König der Völker, hilf den politischen Autoritäten, die Gesellschaften zu befrieden, die von Spannungen und Streit geplagt sind. Stehe dem Volk in Myanmar zur Seite, wo Intoleranz und Gewalt oft auch die christliche Gemeinschaft und die Gotteshäuser treffen und einen Schatten auf das friedliche Angesicht dieser Bevölkerung werfen.

„Sei Licht und Stütze für diejenigen, die glauben und die sich für die Begegnung und den Dialog einsetzen“

Sei Licht und Stütze für diejenigen, die glauben und die sich – auch gegen den Strom schwimmend – für die Begegnung und den Dialog einsetzen. Lass nicht zu, dass sich in der Ukraine die Metastasen eines schwelenden Konflikts ausbreiten.
Fürst des Friedens, hilf Äthiopien, durch einen aufrichtigen Dialog, der die Bedürfnisse der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt, den Weg zu Versöhnung und Frieden wieder zu finden. Höre den Schrei der Völker in der Sahelzone, die unter der Gewalt des internationalen Terrorismus leiden. Richte deinen Blick auf die Bevölkerungen der Länder Nordafrikas, die von Spaltung, Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Ungleichheit heimgesucht sind; lindere das Elend der vielen Brüder und Schwestern, die unter den internen Konflikten im Sudan und Südsudan leiden.

Gib, dass sich in den Herzen der Völker Amerikas die Werte der Solidarität, der Versöhnung und der friedlichen Koexistenz durch Dialog, gegenseitige Achtung und Anerkennung der Rechte sowie der kulturellen Werte aller Menschen durchsetzen können.

„Mache die Herzen weit“

Sohn Gottes, tröste die Opfer der Gewalt gegen Frauen, die in dieser Zeit der Pandemie um sich greift. Gib den Kindern und Jugendlichen Hoffnung, die Mobbing und Missbrauch erleiden. Spende den älteren Menschen Trost und Zuneigung, vor allem denjenigen, die am einsamsten sind. Schenke den Familien, dem erstrangigen Ort der Erziehung und der Grundlage des sozialen Gefüges, Gelassenheit und Einheit.

Gott-mit-uns, gewähre den Kranken Gesundheit und erleuchte alle Menschen guten Willens, um die angemessensten Lösungen zur Überwindung der Gesundheitskrise und ihrer Folgen zu finden. Mache die Herzen weit, damit die notwendigen Behandlungen, insbesondere die Impfstoffe, die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen erreichen können. Lohne es allen, die sich fürsorglich und hingebungsvoll um Familienmitglieder, Kranke und die Schwächsten kümmern.

„Lass uns nicht gleichgültig bleiben angesichts des Dramas der Migranten, Flüchtlinge und Vertriebenen“

Kind von Betlehem, lass die vielen zivilen und militärischen Kriegsgefangenen der jüngsten Konflikte und die aus politischen Gründen Inhaftierten bald nach Hause zurückkehren. Lass uns nicht gleichgültig bleiben angesichts des Dramas der Migranten, Flüchtlinge und Vertriebenen. Ihre Augen bitten uns, uns nicht abzuwenden, die Menschlichkeit, die uns verbindet, nicht zu leugnen, uns ihre Geschichten zu eigen zu machen und ihre Tragödien nicht zu vergessen.

Ewiges Wort, du bist Fleisch geworden: Mach uns achtsam gegenüber unserem gemeinsamen Haus, das ebenso unter der Vernachlässigung leidet, mit der wir es oft behandeln, und treibe die politischen Instanzen an, wirksame Vereinbarungen zu treffen, damit die künftigen Generationen in einem Umfeld leben können, das das Leben achtet.

„Zahlreich sind die Schwierigkeiten unserer Zeit, aber die Hoffnung ist stärker“

Liebe Brüder und Schwestern,

zahlreich sind die Schwierigkeiten unserer Zeit, aber die Hoffnung ist stärker, denn »ein Kind wurde uns geboren« (Jes 9,5). Es ist das Wort Gottes, das sich zum sprachlosen Säugling gemacht hat (in-fans), der nur wimmern kann und alles braucht. Er wollte sprechen lernen wie jedes Kind, damit wir lernen, Gott, unserem Vater, zuzuhören, einander zuzuhören und als Brüder und Schwestern miteinander zu reden. O Christus, für uns geboren, lehre uns, mit dir auf den Wegen des Friedens zu wandeln.

Frohe Weihnachten euch allen!

(vatican news - sk)

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25. Dezember 2021, 12:14