Wortlaut: Papst Franziskus bei seiner Generalaudienz

Hier finden Sie die Ansprache, die Papst Franziskus an diesem Mittwoch bei seiner Generalaudienz gehalten hat, in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan.

Sämtliche Wortmeldungen des Heiligen Vaters im offiziellen deutschen Wortlaut werden auf der Vatikan-Internetseite veröffentlicht.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!

Wir kommen ans Ende unserer Katechese über den Brief an die Galater. Über wie viele andere Dinge hätte man in diesem Text des heiligen Paulus noch nachdenken können! Das Wort Gottes ist eine unerschöpfliche Quelle. Und der Apostel hat in diesem Brief als Evangelisierer, als Theologe und als Seelsorger zu uns gesprochen.

Der heilige Bischof Ignatius von Antiochien drückt es sehr schön aus, wenn er (mit Blick auf Jesus) schreibt: „Es gibt nur einen Lehrer, der geredet hat, und was er gesagt hat, wurde Wirklichkeit; was er aber schweigend getan hat, ist des Vaters würdig. Wer das Wort Jesu besitzt, kann auch sein Schweigen hören“ (Ad Ephesios, 15, 1-2). Wir können sagen, dass der Apostel Paulus in der Lage war, diesem Schweigen Gottes eine Stimme zu geben. Seine originellen Einsichten helfen uns, die aufregende Neuheit zu entdecken, die in der Offenbarung Jesu Christi enthalten ist. Er war ein wahrer Theologe, der das Geheimnis Christi betrachtete und es mit schöpferischer Intelligenz weitergab. Und er zeigte sich auch fähig, seinen pastoralen Auftrag gegenüber einer verlorenen und verwirrten Gemeinschaft auszuüben. Er tat dies mit verschiedenen Methoden: mit Ironie, mit Strenge, mit Sanftmut... Er behauptete seine Autorität als Apostel, aber gleichzeitig verbarg er die Schwächen seines Charakters nicht. Die Kraft des Geistes hat wirklich sein Herz verwandelt: Die Begegnung mit dem auferstandenen Christus hat sein ganzes Leben erobert und erneuert, und er hat es ganz in den Dienst des Evangeliums gestellt.

„Für ein Christentum mit Biss“

Paulus dachte nie an ein Christentum mit komplett friedfertigen Zügen, dem es an Biss und Energie fehlt, im Gegenteil. Er verteidigte die von Christus geschenkte Freiheit mit einer Leidenschaft, die uns auch heute noch bewegt, vor allem wenn wir an das Leid und die Einsamkeit denken, die er ertragen musste. Er war davon überzeugt, dass er einen Ruf erhalten hatte, auf den nur er antworten konnte; und er wollte den Galatern erklären, dass auch sie zu dieser Freiheit berufen waren, die sie von allen Formen der Sklaverei befreite, weil sie dadurch zu Erben der alten Verheißung und in Christus zu Kindern Gottes wurden. Er war sich der Risiken bewusst, die diese Auffassung von Freiheit mit sich brachte, und hat die Folgen nie verharmlost. Er wies die Gläubigen in allem Freimut, also mutig darauf hin, dass Freiheit keineswegs mit Freizügigkeit gleichzusetzen ist und auch nicht zu einer anmaßenden Selbstgenügsamkeit führt. Im Gegenteil: Paulus ordnet die Freiheit hinter der Liebe ein und stellt klar, dass ihre konsequente Ausübung im Dienst der Nächstenliebe stehen muss. Diese ganze Vision wurde in den Horizont eines Lebens im Heiligen Geist eingezeichnet, der das von Gott an Israel gegebene Gesetz zur Erfüllung bringt und der uns davor bewahrt, zurückzufallen in die Sklaverei der Sünde.

Die Versuchung besteht immer darin, in die Vergangenheit zurückzukehren. Eine biblische Definition der Christen sagt, wir Christen seien nicht Menschen, die zurückgingen, die zurückkehrten. Eine schöne Definition! Und die Versuchung besteht darin, zu alten Sicherheiten zurückzukehren - nur zum Gesetz zurückzukehren und das neue Leben des Geistes zu vernachlässigen. Das ist es, was Paulus uns lehrt: Das wahre Gesetz hat seine Fülle in diesem Leben des Geistes, das Jesus uns geschenkt hat. Und dieses Leben des Geistes kann man nur in der Freiheit leben, in der christlichen Freiheit! Das ist eines der schönsten Dinge...

„Wir müssen Christus in unserem Herzen aufwecken“

Am Ende dieser Katechesenreihe können wir, so will mir scheinen, zweierlei Haltungen einnehmen. Einerseits löst die Lehre des Apostels in uns Begeisterung aus; wir fühlen uns gedrängt, sofort den Weg der Freiheit zu beschreiten, „im Geist zu wandeln“. Immer im Geist wandeln: Das macht uns frei. Andererseits sind wir uns unserer Grenzen bewusst, denn wir erleben jeden Tag, wie schwierig es ist, dem Geist zu gehorchen und seinem segensreichen Wirken zu folgen. Dann kann Müdigkeit eintreten und die Begeisterung dämpfen. Wir fühlen uns entmutigt, schwach, manchmal in eine Ecke gedrängt angesichts des Lebensstils der weltlichen Mentalität. Der heilige Augustinus schlägt vor, wie man sich in dieser Situation verhalten sollte, und bezieht sich dabei auf die Episode des Evangeliums vom Sturm auf dem See. Er sagt: „Der Glaube an Christus in eurem Herzen ist wie Christus im Boot. Du hörst Beleidigungen, du bist müde, du bist verärgert, und Christus schläft. Weck Christus auf, schüttle deinen Glauben durch! Selbst in der Aufregung kannst du etwas tun. Schüttle also deinen Glauben durch. Christus wacht auf und spricht zu dir... Weck also Christus auf... Glaube, was uns gesagt wurde, und es wird eine große Ruhe in deinem Herzen sein" (Reden 163/B 6).

In schwierigen Momenten sind wir - das sagt der hl. Augustinus hier - gleichsam im Boot, mitten im Sturm. Was haben die Apostel in dieser Situation gemacht? Sie haben Christus aufgeweckt, der trotz des Sturmes schlief, der aber anwesend war. Das Einzige, das  wir in den häßlichen Momenten tun können: Christus aufwecken, der in uns ist, aber wie im Boot im Schlaf liegt. Genauso ist es. Wir müssen Christus in unserem Herzen aufwecken, und nur dann können wir die Dinge mit seinem Blick betrachten, denn er sieht über den Sturm hinaus. Durch seinen ruhigen Blick können wir ein Panorama sehen, das für uns selbst gar nicht vorstellbar ist.

„Ein Gebet für die Hosentasche“

Auf dieser anspruchsvollen, aber faszinierenden Reise erinnert uns der Apostel daran, dass wir uns keine Müdigkeit leisten können, wenn wir Gutes tun. Werdet nicht müde, das Gute zu tun... Wir sollten darauf vertrauen, dass der Geist immer unserer Schwachheit zu Hilfe kommt und uns die Unterstützung gewährt, die wir brauchen. Lasst uns also lernen, den Heiligen Geist öfter anzurufen! Da mag jemand fragen: Padre, wie ruft man denn den Heiligen Geist an? Ich kann zum Vater beten, mit dem Vaterunser; ich kann zur Madonna beten, mit dem Ave Maria; ich kann zu Jesus beten mit dem Gebet der Wundmale, aber zum Geist? Was ist das Gebet des Heiligen Geistes? - Das Gebet zum Heiligen Geist ist spontan - es muss aus deinem Herzen kommen. Sag in schwierigen Momenten: Heiliger Geist, komm! Das Schlüsselwort ist dieses Komm. Aber du solltest es in deiner Sprechweise, mit deinen Worten sagen. Komm, denn ich bin in Schwierigkeiten; komm, denn ich bin im Dunklen; komm, denn ich weiß nicht, was ich tun soll; komm, denn ich riskiere zu stürzen. Komm! Komm! Das ist das Wort des Geistes, um den Geist zu rufen. 

Lernen wir, öfter den Heiligen Geist anzurufen! Wir können dies mit einfachen Worten und zu verschiedenen Zeiten des Tages tun. Und wir können das schöne Gebet, das die Kirche an Pfingsten spricht, mitnehmen, vielleicht in unserem Hosentaschen-Evangelium:

„Komm herab, o Heil'ger Geist,
der die finstre Nacht zerreißt,
strahle Licht in diese Welt.

Komm, der alle Armen liebt,
komm, der gute Gaben gibt,
komm, der jedes Herz erhellt.

Höchster Tröster in der Zeit,
Gast, der Herz und Sinn erfreut,
köstlich Labsal in der Not.“

Komm... Und so geht es weiter, es ist ein schönes Gebet. Der Kern des Gebets lautet Komm, so beteten die Madonna und die Apostel nach der Auffahrt Jesu zum Himmel; sie waren im Abendmahlssaal versammelt und riefen den Geist an. Es wird uns guttun, oft zu beten: Komm, Heiliger Geist! Und mit der Anwesenheit des Geistes bewahren wir die Freiheit. Dann sind wir frei, freie Christen,  die nicht auf negative Weise der Vergangenheit anhängen, nicht an Praktiken gefesselt, sondern frei in der christlichen Freiheit, die uns reifen lässt. Dieses Gebet wird uns helfen, im Geist zu wandeln, in der Freiheit und in der Freude - denn wenn der Heilige Geist kommt, kommt auch die Freude, die wahre Freude.

(vatican news – sk)
 

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10. November 2021, 10:05