Iraker warten am Flughafen in Bagdad auf die Ankunft des Papstes Iraker warten am Flughafen in Bagdad auf die Ankunft des Papstes 

Christen im Irak: Der Tisch mit drei Beinen

„Franziskus lenkt mit seiner Irak-Reise zum ersten Mal ganz prominent den Blick der katholischen Kirche auf einen Teil des Christentums, der gewissermaßen ein Leben in der Abstellkammer fristet.“

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Das sagt der deutsche Benediktiner Nikodemus Schnabel in einem Gespräch mit Radio Vatikan kurz vor dem Aufbruch des Papstes gen Bagdad. Schnabel war bis 2018 Prior-Administrator der Dormitio-Abtei in Jerusalem und ist Ostkirchen-Experte.

„Wir sind doch sehr stark westzentriert; Johannes Paul II. hat uns dann als Osteuropäer eindringlich darauf hingewiesen, dass es nicht nur den lateinischen Westen gibt, sondern auch den griechischen Osten und die slawische Tradition. Franziskus als Nichteuropäer lenkt den Blick jetzt noch weiter und sagt: Es gibt noch Wurzeln und Traditionen, die außereuropäisch sind, aber auch ganz wesentlich zum Christentum gehören!“

„Die Kirche, auf die Franziskus trifft, war die größte des Mittelalters“

Das Christentum sei, so gesehen, wie „ein Tisch mit drei Beinen“, sagt Pater Nikodemus. Er geht damit bewusst über die bei Johannes Paul II. gängige Formulierung, die Kirche müsse „mit zwei Lungenflügeln atmen“, hinaus. Es gebe im Christentum eben „mehr als den lateinischen Westen und den griechischen Osten“.

„Der syrische Orient: Das ist ein Christentum, das außerhalb Europas entstanden ist, nicht im Imperium Romanum und nicht im Mittelmeerraum. Franziskus trifft auf die assyrische oder ostsyrische Kirche, die die größte Kirche im Mittelalter war – was vielen gar nicht so bewusst ist. Von der geographischen Ausdehnung hatte sie in der Tang-Dynastie im 7. Jahrhundert Bistümer im heutigen China, in der Mandschurei, in der Mongolei, auf Sumatra. Also, eine enorme missionarische Kraft nach Asien –eine Kirche, die in Zentralasien und im Zweistromland gewachsen ist.“

Nikodemus Schnabel OSB
Nikodemus Schnabel OSB

„Der Osten spricht von Gott eher poetisch“

Die Spezialität des syrisch-orientalischen Christentums bestehe aus seiner Sicht darin, „Theologie poetisch zu betreiben“. „Der große Superstar Ephrem der Syrer war vor allem ein Hymnen- und Liederdichter!“ Nikodemus findet eine Theologie, die den Glauben eher narrativ und in Liedern verkündet, „unglaublich anschlussfähig für heutige Menschen“. Dabei nehme diese Spielart des Christlichen ernst, dass man über Gott in einer anderen Sprache sprechen sollte als über Alltagsdinge. „Dass man sich dem Geheimnis Gottes eigentlich nur lyrisch nähern kann…“

„Wer Islam verstehen will, muss orientalisches Christentum kennen“

Ein Verständnis des syrischen Orients ist nach Ansicht des Benediktiners auch „extrem hilfreich, um den Islam zu verstehen“. „Beide sind im selben Kulturkreis entstanden, und beide sprechen von Gott eher im Sinn eines Liebesbriefs; darum sind ihre Texte ganz anders zu lesen, als wir das im Westen gewohnt sind.“

Polizist vor der chaldäischen St.-Joseph-Kirche in Bagdad
Polizist vor der chaldäischen St.-Joseph-Kirche in Bagdad
Papst Franziskus im Irak: Hier können Sie unser Interview mit Nikodemus Schnabel OSB über das orientalische Christentum in voller Länge hören

Dass sich das syrische Christentum bis in die apostolische Zeit zurückdatiert, hält Nikodemus Schnabel zwar nicht für „historisch greifbar“. „Aber ich glaube nicht, dass der Orient das im Sinn einer historisch-kritischen Überprüfung sagt. Stattdessen will er wohl ausdrücken, dass die Tradition des orientalischen Christentums uralt ist - und auf jeden Fall viel, viel älter als das Christentum im deutschsprachigen Raum!“

„Wir vom Westen können auch ohne Waffen zu euch kommen“

Dass Papst Franziskus ausgerechnet in der Fastenzeit, der „Österlichen Bußzeit“, in den Irak reist, findet der Ostkirchen-Experte „genial“. „Wenn ich mit Irakern spreche, haben die noch sehr präsent, dass wir im Westen den Irak so zugerichtet haben!“

Syrisch-katholische Kirche in der Altstadt von Mossul
Syrisch-katholische Kirche in der Altstadt von Mossul

Schnabel denkt da vor allem an die Invasion im Zweistromland durch eine von der USA geführte Militär-Allianz, die 2003 zum Sturz von Saddam Hussein führte. „Der Westen hat ja durchaus mit einer Kreuzfahrer-Rhetorik und einem göttlichen Berufungsauftrag gemeint, er müsse den Irak befreien von Waffen, die dann gar nicht gefunden wurden! Der Papst als Oberhaupt der westlichen Christenheit (wenn nicht sogar darüber hinaus) setzt nun eine starke Versöhnungsgeste: Wir vom Westen können auch ohne Waffen zu euch kommen, und ohne euch die Welt zu erklären…“

Franziskus lenke mit seiner Visite außerdem „das Auge der Weltöffentlichkeit“ auf die schwierige Lage im Irak und gehe mit ausgestreckter Hand auf Muslime zu, so Nikodemus Schnabel.

(vatican news)
 

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05. März 2021, 11:46