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Der Papst bei der Generalaudienz im Damasushof im Vatikan Der Papst bei der Generalaudienz im Damasushof im Vatikan

Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut

Vatican News dokumentiert an dieser Stelle die Katechese des Papstes im Wortlaut in einer Arbeitsübersetzung.

Wie üblich können Sie diese und alle anderen Ansprachen und Predigten des Papstes in der offiziellen Übersetzung auf www.vatican.va nachlesen.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Die gegenwärtige Pandemie hat uns unsere Interdependenz vor Augen geführt: Wir sind alle miteinander verbunden, im Bösen wie im Guten. Wir können diese Krise also nur gemeinsam überwinden; indem wir alle miteinander solidarisch sind.

Als Menschheitsfamilie haben wir unseren gemeinsamen Ursprung in Gott; wir leben in einem gemeinsamen Haus, dem Planeten-Garten, in den Gott uns gestellt hat; und wir haben ein gemeinsames Ziel in Christus. Doch wenn wir all dies vergessen, wird unser Miteinander-verbunden-Sein zur Abhängigkeit einiger von anderen, was Ungleichheit und Ausgrenzung wachsen lässt, das soziale Gefüge schwächt und der Umwelt schadet.

Deshalb ist das Prinzip der Solidarität heute ja auch dringlicher denn je, wie schon der heilige Johannes Paul II. gelehrt hat (vgl. Sollicitudo rei socialis, 38-40). In einer vernetzten Welt erleben wir, was es bedeutet, in einem „globalen Dorf“ zu leben. Aber wir verwandeln diese Interdependenz nicht immer in Solidarität. Im Gegenteil: Ideologische Unbeugsamkeit und Egoismen – individueller und nationaler Art sowie auch die der verschiedenen Machtgruppen – nähren „Strukturen der Sünde“ (ebd., 36).

„Das Wort Solidarität hat sich ein wenig abgenutzt und wird manchmal falsch interpretiert, doch es bezeichnet viel mehr als einige gelegentliche großherzige Taten. Es erfordert, eine neue Mentalität zu schaffen, die in den Begriffen der Gemeinschaft und des Vorrangs des Lebens aller gegenüber der Aneignung der Güter durch einige wenige denkt“ (Apost. Schreiben Evangelii gaudium, 188). Es geht nicht nur darum, anderen zu helfen: Es geht um Gerechtigkeit (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1938-1940). Um solidarisch sein und Früchte tragen zu können, braucht die Interdependenz starke Wurzeln im Menschen und in der von Gott geschaffenen Natur, muss den Respekt vor den Personen und vor der Erde voraussetzen.

Schon auf den ersten Seiten der Bibel finden wir hierzu eine Warnung. In der Erzählung vom Turmbau zu Babel (vgl. Gen 11,1-9) wird uns vor Augen geführt, was passiert, wenn wir zu „hoch hinaus“ wollen, nach dem Himmel streben – unserem Ziel –, dabei aber die Verbindung zu unseren Mitmenschen, zur Schöpfung und zum Schöpfer ignorieren. Wir bauen Türme und Wolkenkratzer, aber zerstören die Gemeinschaft. Wir vereinheitlichen Bauten und Sprachen, opfern dafür aber den kulturellen Reichtum. Wir wollen Herren der Erde sein, zerstören aber die biologische Vielfalt und das ökologische Gleichgewicht.

Dazu fällt mir eine mittelalterliche Erzählung ein, die dieses „Babel-Syndrom“ beschreibt. Wenn es passierte, dass während des Turmbaus ein Mann abstürzte und starb, interessierte das niemanden, heißt es dort. Wenn aber ein Ziegelstein herunterfiel und zerbrach, waren alle empört. Wie erklärt sich das? Weil Ziegelsteine teuer waren. Ziegel herzustellen, war zeit- und arbeitsaufwändig. Ein Ziegelstein war mehr wert als ein Menschenleben. So etwas kann leider auch heute noch passieren. Wenn die Finanzmärkte einen Einbruch erleiden, steht das in allen Zeitungen. Wenn Tausende von Menschen Hungers sterben, wird kein Wort darüber verloren.

Im genauen Gegensatz zu Babel steht das Pfingstereignis (vgl. Apg 2,1-3). Der Heilige Geist kommt wie Wind und Feuer von oben auf die Apostel herab, erfüllt sie mit der Kraft Gottes und drängt die ängstlich verschlossene Gemeinschaft, hinauszugehen und Jesus, den Herrn, überall zu verkünden. Der Geist schafft Einheit in der Vielfalt, er schafft Harmonie. Und dann ist der andere nicht länger nur ein Werkzeug, eine reine „Arbeitskraft“, sondern trägt mit seiner Eigenheit zum Aufbau der Gemeinschaft bei. Franz von Assisi wusste das nur allzu gut: vom Geist beseelt, nannte er alle Menschen, alle Geschöpfe, „Bruder“ oder „Schwester“ (vgl. LS, 11; vgl. Bonaventura, Legenda maior, VIII, 6: FF1145).

Mit dem Pfingstereignis macht sich Gott gegenwärtig, weckt den Glauben der in Vielfalt und Solidarität vereinten Gemeinschaft. Eine solidarische Vielfalt besitzt die nötigen „Antikörper“, die verhindern, dass unsere Einzigartigkeit – die ein einzigartiges, nicht wiederholbares Geschenk ist – an Individualismus und Egoismus erkrankt. Und die solidarische Vielfalt besitzt auch die nötigen Antikörper, die soziale Strukturen und Prozesse sanieren, die zu Systemen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung degeneriert sind (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 192).

Deshalb ist die Solidarität heute auch der Weg, den die Welt nach der Pandemie einschlagen muss; der Weg der Heilung unserer zwischenmenschlichen und sozialen Krankheiten.
Eine Solidarität, die vom Glauben geleitet wird, befähigt uns, die Liebe Gottes in unsere globalisierte Kultur einfließen zu lassen, und zwar nicht durch den Bau von Türmen oder Mauern, die trennen und dann einstürzen, sondern durch die Schaffung von Gemeinschaft und die Förderung von Prozessen, die ein wahrhaft menschliches und solides Wachstum ermöglichen.

In den Krisen und Stürmen fordert uns der Herr heraus und lädt uns ein, eine Solidarität zu wecken und umzusetzen, die fähig ist, diesen Stunden, in denen alles unterzugehen scheint, Bestand, Halt und Sinn zu geben. Der Heilige Geist schenke uns die Kreativität, neue Formen familiärer Gastfreundschaft und universaler Solidarität zu entwickeln.

Der Appell am Ende der Generalaudienz

Einen Monat nach der Tragödie von Beirut denke ich immer noch an meinen geliebten Libanon und die Bevölkerung dort, die soviel Leid ertragen muss. Dieser Priester, der hier neben mir steht, hat die Libanon-Flagge dabei. Johannes Paul II. sagte vor 30 Jahren in einem entscheidenden Moment der Geschichte des Landes etwas, das ich heute wiederhole. Angesichts der wiederholten Tyrranei, die jeder der Bewohner dieses Landes kennt, nehmen wir die extreme Gefahr zur Kenntnis, die die Existenz des Libanon bedroht.

Der Libanon darf in dieser Stunde nicht im Stich gelassen werden. Mehr als 100 Jahre lang war er ein Land der Hoffnung. Auch in den dunkelsten Stunden hatten die Libanensen einen festen Glauben und haben unter Beweis gestellt, dass sie es verstanden haben, aus ihrer Heimat einen Ort der Toleranz, des Respekts und  des Zusammenlebens zu machen - wie er in dieser Region einzigartig ist. Es ist zutiefst wahr, dass der Libanon "nicht nur ein Land, sondern eine Botschaft der Hoffnung" ist, wie Johannes Paul II gesagt hat. Der Libanon ist eine Botschaft der Hoffnung und der  Freiheit, ein Beispiel des Pluralismus für Ost und West.

Zum Wohl des Landes, aber auch der ganzen Welt dürfen wir nicht zulassen, dass dieses Erbe verloren geht. 

Ich ermutige alle Libanesen, die Kraft zu finden, weiter Hoffnung zu haben und einen Neustart zu wagen. Ich rufe die Politiker und Religionsführer auf, sich aufrichtig und transparent für den Wiederaufbau einzusetzen, keine persönlichen Interessen zu verfolgen, sondern das Gemeinwohl und die Zukunft der Nation im Blick zu haben. Ich erneuere zudem meinen Aufruf an die Internationale Gemeinschaft, den Libanon zu unterstützen, damit das Land diese schwere Krise hinter sich lassen kann, ohne in die örtlichen Spannungen verstrickt zu werden. 

Besonders wende ich mich an die Einwohner Beiruts, die von der Explosion so hart getroffen wurden: Habt wieder Mut, Brüder und Schwestern. Glaube und Gebet mögen euch Kraft schenken, gebt eure Häuser und euer Erbe nicht auf. Haltet an dem Traum von einem schönen und fruchtbaren Land fest! 

Liebe Priester, Bischöfe,  Ordensleute, Laien - begleitet eure Gläubigen weiterhin. Bischöfe und Priester, euch bitte ich um apostolischen Eifer, um Einfachheit - keinen Luxus! Armut mit eurem armen Volk, das leidet. Seid ein Beispiel an Demut und Armut für euer Volk und helft ihm, wieder aufzustehen und Protagonisten eines Neuanfangs zu sein. Seid Werkzeuge der Versöhnung, der Erneuerung im Namen des Gemeinwohls, einer wahren Willkommenskultur, des friedlichen Zusammenlebens und der Geschwisterlichkeit: dieses Wort, das Franz von Assisi so sehr am Herzen lag: Geschwisterlichkeit…

Möge es Versöhnung und Erneuerung im Sinne des Gemeinwohls geben. Auf dieser Basis kann dann die weitere Präsenz der Christen vor Ort gesichert werden, ihr unschätzbarer Beitrag für das Land und die arabische Welt sowie die gesamte Region erhalten bleiben. Im Geist der Geschwisterlichkeit aller religiösen Konfessionen und Traditionen, die  im Libanon vertreten sind.

4. September: Weltweiter Gebets- und Fastentag für den Libanon 

Daher will ich alle zu einem weltweiten Gebets- und Fastentag für den Libanon einladen - am kommenden Freitag, 4. September. Ich werden den Kardinalstaatssekretär in meinem Namen in den Libanon entsenden, damit er an jenem Tag an meiner statt die Bevölkerung begleitet. Er wird alle meiner Nähe und meiner Solidarität versichern. Beten wir für den gesamten Libanon und für Beirut. Und lasst uns auch durch konkrete karitative Werke präsent sein. Ich rufe auch die Brüder und Schwestern anderer Religionen dazu auf, sich dieser Initiative anzuschließen - auf die Art und Weise, die sie für angemessen halten. Aber: alle gemeinsam! Und nun bitte ich euch, unsere Ängste und Hoffnungen Maria, Unserer Lieben Frau von Harissa, anzuvertrauen. Möge sie all jenen helfen, die um ihre Lieben trauern und allen Mut schenken, die ihre Häuser und damit einen Teil ihres Lebens verloren haben. Möge sie bei Jesus Fürsprache halten, damit das Land der Zedern wieder erblühen und sich der Duft des Miteinanders in Freiheit im ganzen Nahen Osten wieder verbeiten kann. Lasst uns nun aufstehen und gemeinsam im Stillen für den Libanon beten. 

(vatican news - übersetzung: skr/sst)
 

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02. September 2020, 10:28