Im Wortlaut: Papst Franziskus bei der Generalaudienz

Wir dokumentieren hier in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan die Katechese, die Papst Franziskus am Mittwoch, den 30. September, bei der Generalaudienz gehalten hat.

Dies ist eine Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan ohne frei gehaltene Einschübe. Die amtliche Fassung finden Sie in Kürze auf der Homepage des Vatikan.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

In den vergangenen Wochen haben wir im Licht des Evangeliums gemeinsam darüber nachgedacht, wie wir die Welt heilen können, die an einem Gebrechen leidet, das durch die Pandemie ans Licht gebracht und akzentuiert wurde. Wir haben den Weg der WürdeSolidarität und Subsidiarität beschritten, unverzichtbare Wege zur Förderung der Menschenwürde und des Gemeinwohls. Als Jünger Jesu haben wir uns vorgenommen, auf seine Spuren zu wandeln, indem wir uns für die Armen entscheiden, den Gebrauch der Güter überdenken und für unser gemeinsames Haus Sorge tragen. Inmitten der Pandemie, die uns schwer zusetzt, haben wir auf die Prinzipien der Soziallehre der Kirche gesetzt und uns von Glaube, Hoffnung und Liebe leiten lassen. Das hat uns geholfen, Mitarbeiter des Wandels zu sein, die große Träume haben und sich nicht mit den kleinlichen Dingen aufhalten, die spalten und verletzen, sondern  alle dazu ermutigen, eine neue und bessere Welt zu schaffen.

Ich wünsche mir, dass diese Reise nicht mit meinen Katechesen endet, sondern dass wir gemeinsam weitergehen und „dabei auf Jesus blicken“ (Hebr 12,2), der die Welt rettet und heilt. Wie uns das Evangelium zeigt, heilte Jesus Kranke aller Art (vgl. Mt 9,35). Er gab den Blinden das Augenlicht zurück, ließe die Stummen wieder sprechen, die Tauben hören. Und wenn er Krankheiten und körperliche Gebrechen heilte, heilte er auch den Geist, indem er Sünden vergab und „soziale Nöte“ wie die der Ausgegrenzten in den Blick nahm (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1421). Jesus, der alle Geschöpfe erneuert und versöhnt (vgl. 2Kor 5,17; Kol 1,19-20), gibt uns die Gaben, die wir brauchen, um zu lieben und zu heilen, wie er es tat (vgl. Lk 10,1-9; Joh 15,9-17), um für alle zu sorgen – ohne Unterschied der Rasse, Sprache oder Nation.

Damit dies auch wirklich geschieht, müssen wir die Schönheit jedes Menschen, jedes Geschöpfes betrachten und schätzen. Wir sind im Herzen Gottes empfangen worden (vgl. Eph 1,3-5). „Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht“ (Hl. MESSE ZUR AMTSEINFÜHRUNG VON PAPST BENEDIKT XVI., 24. April 2005). Außerdem hat uns jedes Geschöpf etwas über Gott den Schöpfer zu sagen (vgl. Enz. Laudato si, 69. 239). Diese Wahrheit anzuerkennen und für die innigen Bande unserer universalen Gemeinschaft mit allen Menschen und allen Geschöpfen zu danken, lässt „ein großherziges und von Zärtlichkeit erfülltes Umweltengagement“ (ebd., 220) entstehen. Und es hilft uns auch, Christus in unseren armen und leidenden Brüdern und Schwestern zu erkennen, ihnen zu begegnen, ihre Klage und die Klage der Erde zu hören, die sich der ihren anschließt (vgl. ebd., 49).

In unserem Innersten durch diese Klagen aufgewühlt, die einen Kurswechsel von uns verlangen (vgl. ebd., 53), können wir mit unseren Gaben und Fähigkeiten zur Wiederherstellung der Beziehungen beitragen (vgl. ebd., 19). Wir wollen die Gesellschaft erneuern und nicht einfach zur so genannten „Normalität“ zurückkehren, denn diese Normalität war krank: erkrankt an Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Umweltzerstörung. Die Normalität, zu der wir berufen sind, ist die des Reiches Gottes, wo „die Blinden wieder sehen, die Lahmen wieder gehen, die Aussätzigen rein werden und den Armen das Evangelium verkündet wird“ (vgl. Mt 11,5). In der Normalität des Reiches Gottes reicht das Brot für alle, weil jeder das Seine beiträgt und alles gerecht geteilt wird; die soziale Organisation auf Mitwirken, Teilen und Verteilen beruht, und nicht auf Besitzen, Ausgrenzen und Anhäufen (vgl. Mt 14,13-21).

Ein kleines Virus schlägt weiter tiefe Wunden, legt unsere physischen, sozialen und spirituellen Schwachstellen bloß. Es hat die große Ungleichheit, die auf der Welt herrscht, aufgedeckt: die Ungleichheit der Chancen, die Ungleichheit der Güter, Ungleichheit beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, Ungleichheit der Technologie, usw. Diese Ungerechtigkeiten sind weder natürlich noch unvermeidlich. Sie sind das Werk des Menschen, entspringen einem Wachstumsmodell, das keine Werte mehr kennt. Und so haben viele Menschen die Hoffnung verloren, Unsicherheit und Angst überhandgenommen. Um die Pandemie hinter uns zu lassen, müssen wir also nicht nur ein Heilmittel für das Coronavirus finden, sondern auch für die großen menschlichen und sozioökonomischen Viren. Und wir können gewiss nicht erwarten, dass das Wirtschaftsmodell, das für eine ungerechte und nicht nachhaltige Entwicklung steht, unsere Probleme lösen wird. Das hat es nicht getan und wird es auch nicht tun, auch wenn noch so viele falsche Propheten weiterhin einen „Überlauf-Effekt“ versprechen, der niemals eintritt (siehe Evangelii gaudium, 54).

Wir brauchen dringend eine gute Politik und eine Sozialordnung, die Teilhabe, Fürsorge und Großzügigkeit belohnt und nicht Gleichgültigkeit, Ausbeutung und Eigeninteresse. Denn nur eine solidarische und gerechte Gesellschaft ist eine gesunde Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die Teilhabe erlaubt, in der die „Letzten“ also genau so viel gelten wie die „Ersten“, stärkt die Gemeinschaft. Eine Gesellschaft, in der die Vielfalt respektiert wird, ist viel resistenter gegen jede Art von Virus.

Stellen wir diesen Weg zur Heilung unter den Schutz der Jungfrau Maria, Unserer Lieben Frau der Gesundheit. Möge sie, die Jesus in ihrem Schoß getragen hat, uns helfen, zuversichtlich zu sein. Vom Heiligen Geist beseelt, können wir gemeinsam für das Reich arbeiten, das Christus auf Erden errichtet hat, als er in unsere Mitte kam. Ein Reich des Lichts inmitten der Finsternis, der Gerechtigkeit inmitten so vieler Freveltaten, der Freude inmitten von so viel Schmerz, der Heilung und der Erlösung inmitten von Krankheit und Tod. Möge Gott uns gewähren, die Liebe „viral gehen zu lassen“ und die Hoffnung im Licht des Glaubens zu globalisieren.

(vatican news - übersetzung: silvia kritzenberger)

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30. September 2020, 10:43