Im Wortlaut: Papst Franziskus bei der Generalaudienz

Wir dokumentieren hier in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan die Katechese, die Papst Franziskus am Mittwoch, den 27. Mai bei der Generalaudienz gehalten hat.

Die offizielle Fassung mit den spontanen Einfügungen des Heiligen Vaters finden Sie in Kürze auf der Website des Vatikans.

 

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Es gibt eine Stimme, die plötzlich in Abrahams Leben erklingt. Eine Stimme, die ihn einlädt, einen Weg einzuschlagen, der absurd anmutet: eine Stimme, die ihn drängt, die Wurzeln seiner Heimat, die Wurzeln seiner Familie abzuschneiden, um einer neuen – anderen – Zukunft entgegenzugehen. Und das alles allein auf der Grundlage einer Verheißung, der man einfach nur vertrauen muss.

Über die Vergangenheit des ersten Patriarchen sagt uns die Bibel nichts. Die Logik der Dinge legt nahe, dass er andere Götter anbetete; vielleicht war er ein weiser Mann, der es gewohnt war, den Himmel und die Sterne zu erforschen. Tatsächlich verspricht ihm der Herr, dass seine Nachkommen so zahlreich sein werden wie die Sterne am Himmel.

Abraham bricht auf. Er hört die Stimme Gottes und vertraut seinem Wort. Und mit diesem Aufbruch wird eine neue Art und Weise geboren, die Beziehung zu Gott zu begreifen; aus diesem Grund gilt der Patriarch Abraham in den großen spirituellen Traditionen des Judentums, Christentums und des Islam ja auch als der Vater aller Glaubenden: einer, der fähig ist, sich Gott zu unterwerfen, auch wenn ihm sein Wille schwierig, wenn nicht sogar unverständlich erscheint.

Abraham ist also der Mann des Wortes. Wenn Gott spricht, wird der Mensch zum Empfänger dieses Wortes und sein Leben zu dem Ort, an dem es Gestalt annehmen will. Auf dem Glaubensweg des Menschen ist das etwas vollkommen Neues: Das Leben des Gläubigen beginnt sich als Berufung zu begreifen, als ein Ort, an dem sich eine Verheißung erfüllt; und er geht seinen Weg in der Welt nicht länger von der Last eines Rätsels erdrückt, sondern gestützt von der Kraft dieser Verheißung, die sich eines Tages erfüllen wird.

Wenn wir das Buch Genesis lesen, entdecken wir, wie Abraham das Gebet in ständiger Treue zu jenem Wort lebte, das Gott ihm auf seinem Weg immer wieder zuspricht. Zusammenfassend können wir sagen, dass in Abrahams Leben der Glaube Geschichte wird: Gott wird nicht mehr allein in kosmischen Phänomenen gesehen, als ein ferner Gott, der Schrecken einflößen kann. Der Gott Abrahams wird „sein Gott“, der Gott seiner persönlichen Geschichte; der Gott, der seine Schritte lenkt, ihn nicht im Stich lässt; ihn jeden Tag auf seinem Lebensweg begleitet; der Gott der Vorsehung.

Diese Erfahrung des Abraham hat auch in einem der originellsten Texte in der Geschichte der Spiritualität Niederschlag gefunden: Im Mémorial – dem Erinnerungsblatt des Blaise Pascal. Es beginnt wie folgt: „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi.“ Dieser auf einen schmalen Pergamentstreifen geschriebene Text, den man nach dem Tod des Philosophen im Futter seines Rocks eingenäht fand, ist keine intellektuelle Reflexion, die ein kluger Mann über Gott angestellt hat, sondern das lebendige Gefühl der Erfahrung seiner Gegenwart. Pascal notiert sogar den genauen Moment, in dem er diese Erfahrung gemacht hat: es war der Abend des 23. November 1654.

„Das Gebet Abrahams äußert sich zunächst in Taten: Er ist ein Mann des Schweigens; überall, wo er sich niederlässt, errichtet er dem Herrn einen Altar“ (Katechismus der katholischen Kirche, 2570). Abraham baut keinen Tempel, aber er markiert seinen Weg mit Steinen, die an das Vorbeikommen Gottes erinnern sollen. Eines überraschenden Gottes, der Abraham in der Gestalt von drei Fremden besucht, denen er und Sara einen herzlichen Empfang bereiten und die ihnen die Geburt ihres Sohnes Isaak ankündigen (vgl. Gen 18,1-15).

So wird Abraham ein Vertrauter des Herrn, der mit ihm sogar diskutieren kann, ihm dabei aber stets treu bleibt. Bis hin zur äußersten Prüfung, als Gott ihm befiehlt, seinen Sohn Isaak zu opfern. Hier lebt Abraham seinen Glauben wie ein Drama, wie einen Weg, auf dem er sich durch die dunkle Nacht tasten muss, unter einem Himmel, an dem sich dieses Mal kein Stern zeigt. Gott selber wird Abrahams Hand Einhalt gebieten, die bereit ist, das Opfer zu vollbringen – weil er seine Gottesfurcht gesehen hat (vgl. Gen 22,1-19).

Lernen wir von Abraham, mit Glauben zu beten: Gott zuzuhören, mit ihm zu gehen, mit ihm zu sprechen, ja sogar mit ihm zu diskutieren – doch stets bereit, sein Wort anzunehmen und in die Tat umzusetzen.

 

In den Grußworten in englischer Sprache ging Franziskus an diesem Mittwoch auf die Rassenunruhen in den USA nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd ein. Er sagte:

Ich begrüße die englischsprachigen Gläubigen, die über die Medien zugeschaltet sind.

Liebe Brüder und Schwestern in den Vereinigten Staaten, ich habe mit großer Sorge die beunruhigenden sozialen Unruhen in Ihrer Nation in den letzten Tagen nach dem tragischen Tod von George Floyd miterlebt.

Meine Freunde, wir können Rassismus und Ausgrenzung in keiner Form tolerieren oder die Augen davor verschließen und gleichzeitig den Anspruch erheben, die Heiligkeit jedes menschlichen Lebens zu verteidigen. Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass "die Gewalt der letzten Nächte selbstzerstörerisch ist.  Nichts wird durch Gewalt gewonnen und vieles geht verloren".

Heute schließe ich mich der Kirche in St. Paul und Minneapolis und in den ganzen Vereinigten Staaten an und bete für die Ruhe der Seele von George Floyd und all der anderen, die ihr Leben als Folge der Sünde des Rassismus verloren haben.  Lasst uns für den Trost ihrer trauernden Familien und Freunde beten und lasst uns um die nationale Versöhnung und den Frieden flehen, nach dem wir uns sehnen.  Möge Unsere Liebe Frau von Guadalupe, die Mutter Amerikas, für all jene Fürsprache einlegen, die sich in Ihrem Land und in der ganzen Welt für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.

 Möge Gott Sie alle und Ihre Familien segnen.

 

(vatican news - skr)

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03. Juni 2020, 10:35