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Franziskus: „Bildung heißt, den Sinn der Dinge zu suchen“

Auch der Papst ist auf Zoom: Über das Video-Instrument, das derzeit Millionen von Beschäftigten in Heimarbeit Teamsitzungen und Schülern Unterricht ermöglicht, wandte sich Franziskus am Freitag an Kinder und Jugendliche, die an einem virtuellen Treffen der päpstlichen Stiftung „Scholas Occurrentes” teilnahmen. Dabei erklärte er, was er unter Bildung versteht: nicht so sehr Wissen als vielmehr eine Haltung des Hörens und des Feierns.

Zunächst ging der Papst auf die Anfänge des Schulnetzwerkes ein. Er könne sich noch gut daran erinnern: „zwei Lehrer, zwei Professoren, mitten in einer Krise, ein bisschen Verrücktheit und eine Prise Intuition. Es war nicht geplant, es hat sich einfach entwickelt,“ erinnerte Franziskus an die Entstehung des - mittlerweile päpstlichen - Schulnetzwerks „Scholas Occurrentes“, das er in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires selbst ins Leben gerufen hatte.

Zum Nachhören

Als die damalige Krise, die Diktatur, das Land in Gewalt versinken ließ, habe dieses Bildungsprojekt die jungen Menschen zusammengeschweißt, Sinn und damit auch Schönheit entstehen lassen. Er trage drei Bilder dieses Weges im Herzen, die drei Jahre des Nachdenkens und der Begegnung geprägt hätten, sinnierte der Papst: den Verrückten aus Federico Fellinis berühmtem Melodram „La strada – Das Lied der Straße“, Caravaggios „Die Berufung des Matthäus“ und Dostojewskis „Der Idiot“.

„Wenn die Wurzeln Platz brauchen, um weiter zu wachsen, dann bricht am Ende der Blumentopf“

„Alle drei Geschichten sind die Geschichte einer Krise. Bei allen dreien steht die menschliche Verantwortung auf dem Spiel. Krise bedeutet ursprünglich Bruch, Gefahr – aber eben auch Chance“, sagte der Papst in dem Video und legte das Bild einer wachsenden Pflanze vor: „Wenn die Wurzeln Platz brauchen, um weiter zu wachsen, dann bricht am Ende der Blumentopf. Denn das Leben ist größer als unser eigenes Leben. Aber das ist das Leben! Es wächst, es bricht."

Eine Menschheit ohne Krise, in der alles perfekt, geordnet sei, wäre eine „schwerkranke", eine „schlafende Menschheit,“ fuhr Franziskus fort. Eine Krise dränge dazu, aus sich selbst herauszugehen und offen zu sein. Hier tue sich aber eine Gefahr auf, nämlich dann, „wenn uns keiner beibringt, wie wir mit dieser Offenheit umgehen sollen. Deshalb sind Krisen, die nicht gut begleitet werden, gefährlich: man kann leicht die Orientierung verlieren,“ warnte der Papst. Nicht umsonst erteilten kluge Leute auch bei Spannungen in der Ehe und im sozialen Leben den Rat: „Geh nie allein in die Krise, sondern immer in Gesellschaft.“

„Geh nie allein in die Krise, sondern immer in Gesellschaft“

Scholas wuchs in und durch die Krise, so der Papst. Das Bildungsprojekt sei angesichts der „schrecklichen Zeiten“ der Diktatur nicht mit Fäusten auf die umgebende Kultur losgegangen, noch habe es resigniert und sei auch nicht im Selbstmitleid versunken. Man habe vielmehr auf die Herzen der Jugend gehört und dort, wo die Dinge nicht funktionierten, nach neuen Wegen gesucht. 

„Scholas schaut durch die Risse der Welt - aber nicht mit dem Kopf, sondern mit dem ganzen Körper, um zu sehen, ob von der anderen Seite eine neue Antwort zurückkommt", verdeutlichte Franziskus. „Und das ist Bildung. Bildung hört zu, oder sie bildet nicht. Wenn sie nicht zuhört, bildet sie nicht. Bildung schafft Kultur, oder sie bildet nicht. Bildung lehrt uns, wie man feiert, oder sie bildet nicht."

„Bildung hört zu, oder sie bildet nicht.“

„Deshalb möchte ich in dieser neuen Krise, die die Menschheit heute erlebt und in der die Kultur erwiesenermaßen ihre Vitalität verloren hat, den Umstand feiern, dass Scholas als eine Gemeinschaft, die bildet und eine Institution, die wächst, die ,Universität des Sinns´ eröffnet. Denn Bildung heißt, den Sinn der Dinge zu suchen.“

Es gehe darum, den Traum der Kinder und Jugendlichen mit der Erfahrung der Erwachsenen und der älteren Menschen in Einklang zu bringen. Ohne diese Verflechtung gäbe es die Menschheit nicht, denn dort, wo keine Wurzeln seien, gebe es auch keine Geschichte, kein Wachstum, keine Träume und keine Prophezeiungen, so Franziskus.

„Welten der Dankbarkeit, des Sinns und der Schönheit“

Der Papst erinnerte die „Schülerinnen und Schüler aller Realitäten, Sprachen und Glaubensrichtungen“, die in der Stiftung engagiert sind, daran, dass das, was gelehrt werde, keine Sache, sondern das Leben sei. „Dasselbe Leben, das uns geschaffen hat und das immer wieder andere Welten schaffen wird. Welten der Dankbarkeit, des Sinns und der Schönheit,“ spann der Papst den Bogen wieder zu den drei anfangs erwähnten Bildern: „Der Idiot", die „Berufung" von Caravaggio und der „Verrückte“ aus „La strada“.

„Vergesst nie diese letzten drei Worte: Dankbarkeit, Sinn und Schönheit,“ legte er seinen jungen Hörern und Hörerinnen abschließend ans Herz. „Sie mögen nutzlos scheinen, besonders heutzutage. Wer gründet eine Gesellschaft schon auf Dankbarkeit, Sinn und Schönheit? Das wäre unrentabel. Und doch hängt von dieser scheinbar so nutzlosen Sache die ganze Menschheit – unsere Zukunft – ab.“

(vatican news - skr)

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05. Juni 2020, 16:45