Papst in Neapel: Im Dialog verliert man nichts, im Monolog verlieren alle

Theologie muss eine „Theologie der Aufnahme“ sein, die zum Wohl der Gesellschaft und der Schöpfung einen „authentischen und ehrlichen Dialog mit Institutionen, Forschungseinrichtungen, politischen Führungspersönlichkeiten und allen Männern und Frauen guten Willens“ eingehe: Das schrieb Papst Franziskus den Teilnehmern an der Konferenz „Theologie nach Veritatis Gaudium im Kontext des Mittelmeerraumes“ ins Stammbuch. Er äußerte sich zum Abschluss der zweitägigen Konferenz an diesem Freitag in Neapel.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Der Papst würdigte in seinen einführenden Worten auch den Beitrag des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, der sich in einem langen Brief an die Organisatoren der Konferenz gewandt hatte. Ausgangspunkt der Überlegungen bei der Konferenz war die Apostolische Konstitution „Veritatis Gaudium“, mit der Papst Franziskus den theologischen Studien eine Neuausrichtung im Sinn einer „Kirche auf dem Weg nach draußen“ verschrieben hatte.

Zum Nachhören

Im Zentrum der zweitätigen Diskussionen standen die vielfältigen Herausforderungen, die sich insbesondere im Mittelmeerraum identifizieren ließen. Darauf nahm auch der Papst bei seiner Ansprache Bezug. Das Mittelmeer sei von jeher „ein Ort des Durchgangs, des Austausches und manchmal auch der Konflikte“, das jedoch heute eine „Serie von Problemstellungen“ aufwerfe, die oftmals auch „dramatisch“ seien, betonte Franziskus. Darauf müsse die Theologie mit einer „Theologie der Aufnahme“ und Dialog reagieren, um einen Beitrag zu leisten „für den friedlichen Aufbau einer inklusiven und geschwisterlichen Gesellschaft und zum Schutz der Schöpfung“, schlug das Kirchenoberhaupt den großen Bogen.

Dialog und Kerygma zur Erneuerung des Studiums

Dialog und Kerygma, also die Verkündigung des gestorbenen und auferstandenen Christus, seien die beiden Kriterien, auf denen basierend das Studium für eine Kirche erneuert werden könne, die die Evangelisierung ins Zentrum rücke, so die Empfehlung des Papstes an seine Zuhörer. Der Dialog sei in diesem Zusammenhang vor allem als Methode der Unterscheidung und der Verkündigung zu sehen, in der Lage, sich mit allen menschlichen Instanzen in Beziehung zu setzen. Der Papst führte in diesem Zusammenhang den heiligen Franz von Assisi an, der aufzeige, wie Dialog und Verkündigung geschehen könnten, einerseits im friedlichen und respektvollen Miteinander, andererseits als Zeugnis der Liebe Gottes für alle Menschen, durchwoben von der Gefügigkeit Gottes Willen gegenüber.

„Diese Gefügigkeit gegenüber dem heiligen Geist verlangt einen Lebens- und Verkündigungsstil ohne den Geist der Vereinnahmung, ohne den Willen zu Proselytismus und ohne eine aggressive Absicht von Widerlegung“. Dies bedeute „Dialog von Innen“ mit den Menschen, ihren Kulturen, Geschichten und unterschiedlichen religiösen Traditionen, aber auch bis hin zum Blutopfer, wie die „leuchtenden Beispiele von Charles de Foucault, die Mönchen von Tibhirine, der Bischof von Oran Pierre Claverie“ und zahlreiche andere Brüder und Schwestern, die „mit dem Namen Jesu auf den Lippen“ und der „Barmherzigkeit im Herzen“ einen gewaltsamen Tod gestorben seien. „Und hier denke ich an die Gewaltlosigkeit als Horizont und Wissen über die Welt, die die Theologie als ihr grundlegendes Element ansehen muss.“

Warnung vor dem „Syndrom von Babel“

Franziskus warnte in diesem Zusammenhang vor einem „gefährlichen Syndrom“, dem „Syndrom von Babel“: „Wir denken, dass das Syndrom von Babel in der Verwirrung besteht, die entsteht, wenn man nicht versteht, was der andere sagt. Das ist der erste Schritt. Aber das wahre Syndrom von Babel ist das, wenn man nicht anhört, was der andere sagt, und wenn man denkt, man wisse, was der andere denkt und sagt. Das ist die Pest.“

Der Papst hatte auch einige konkrete Vorschläge dazu im Gepäck, wie das Theologiestudium den neuen Herausforderungen nach interkulturellem und interreligiösem Dialog begegnen müsse. Hierzu seien Sprachkurse in hebräischer und arabischer Sprache hilfreich, genauso wie eine Ermunterung der Studenten, in Austausch mit jüdischen und muslimischen Gesprächspartnern zu treten, um deren Kultur und Traditionen besser verstehen zu lernen:

„Wir sind dazu aufgerufen, mit den Muslimen in den Dialog zu treten, um die Zukunft unserer Gesellschaften und unserer Städte aufzubauen; wir sind gerufen, sie als Partner anzusehen, um ein friedliches Zusammenleben aufzubauen, auch wenn von fanatischen Gegnern des Dialogs erschütternde Taten begangen werden, so wie die Tragödie des vergangenen Osterfestes in Sri Lanka. Die Studenten für einen Dialog mit den Juden zu schulen, bedeutet, sie für das Kennenlernen ihrer Kultur, ihrer Art zu denken, ihre Sprache zu erziehen, um unsere Beziehungen auf religiöser Ebene besser zu leben und zu verstehen.“

„Man verliert nichts im Dialog. Im Monolog verlieren alle.“

Das Mittelmeer, so die Beobachtung des Papstes, sei eine „Brücke“ zwischen Europa, Asien und Afrika, ein Ort, an dem ein großes Friedenszelt aufzuschlagen sei, in dem die verschiedenen Kinder des gemeinsamen Vaters Abraham leben könnten. 

Der von ihm so dringend angemahnte Dialog wiederum sei ein Gewinn für alle, während in einem Monolog „alle verlieren“, betonte Franziskus.

Franziskus nutzte seine Ansprache auch, um einen beherzten Appell an die Theologen abzusetzen: In diesem „stetigen Weg des aus sich Herausgehens und der Begegnung mit dem anderen ist es wichtig, dass die Theologen Männer und Frauen des Mitgefühls seien - und ich wiederhole, sie sollten Männer und Frauen des Mitgefühls sein - die durch das unterdrückte Leben so vieler berührt werden, durch die Sklavereien von heute, die sozialen Plagen, die Gewalttaten, die Kriege und die enormen Ungerechtigkeiten, die von so vielen Armen erlebt werden, die an den Ufern dieses gemeinsamen Meeres leben. Ohne Gemeinschaft und ohne Mitgefühl, die ständig durch das Gebet gefördert werden, verliert die Theologie nicht nur ihre Seele, sondern sie verliert auch die Intelligenz und die Fähigkeit, die Wirklichkeit christlich zu interpretieren.“ 

Solidarität mit den Schiffbrüchigen der Geschichte

Und diese Wirklichkeit hat es in sich: der Papst sprach „aggressive und kriegerische Verhaltensweisen“ an, die „koloniale Praxis“ der „Rechtfertigung von Kriegen“ und „Verfolgungen, die im Namen einer Religion oder einer vorgeblichen rassischen oder doktrinären Reinheit“ stattfänden. Die Theologie müsse sich solidarisch zeigen mit „allen Schiffbrüchigen der Geschichte“, so der Papst: „Jetzt, wo das westliche Christentum aus vielen Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, kann es zu seinen Wurzeln zurückkehren in der Hoffnung, die Frohe Botschaft den Völkern in Ost und West, in Nord und Süd zu verkünden. Die Theologie kann der Kirche und der Zivilgesellschaft dabei helfen, die Straße in Gesellschaft vieler Schiffbrüchiger wieder aufzunehmen, und die Bevölkerung des Mittelmeerraumes zu ermuntern, jeder Versuchung von Wiedereroberung und des sich Abkapselns zu widerstehen.“ Alle beiden Phänomene nährten sich von der Angst - doch Theologie könne nicht in einer Umgebung der Angst betrieben werden, verdeutlichte Franziskus seinen Gedankengang.

Die Aufgabe, der sich die Theologie gegenüber sehe, bestehe darin, sich mit dem auferstandenen Jesus in Einklang zu bringen und die „Peripherien zu erreichen“, auch diejenigen des Gedankens, so die Mahnung des Papstes. Dabei helfe zwar der Blick zurück auf den theologischen Wissensschatz der Tradition, doch diese dürfe nicht „mechanisch“ auf die heutigen Fragestellungen angewandt werden, betonte Franziskus: „Es handelt sich darum, darauf aufzubauen, um neue Wege zu suchen. Gottseidank sind die ersten Quellen der Theologie, also das Wort Gottes und der Heilige Geist, unerschöpflich und immer fruchtbar; deshalb kann und muss man in der Richtung eines ,theologischen Pfingsten' wirken, das den Männern und Frauen von heute ermögliche, ,in ihrer Sprache' eine christliche Reflexion zu hören, die auf ihre Suche nach Sinn und nach einem erfüllten Leben Antwort gebe.“

„Auch Theologie zu betreiben ist ein Akt der Barmherzigkeit“

Um dies zu erreichen, müsse man vom „Evangelium der Barmherzigkeit“ ausgehen, gerade weil die Theologie inmitten konkreter Menschen entstehe: „Auch Theologie zu betreiben ist ein Akt der Barmherzigkeit,“ betont Franziskus: „Auch die guten Theologen, wie die guten Hirten, riechen nach Volk und Straße und gießen mit ihren Überlegungen Öl und Wein auf die Wunden der Menschen. Die Theologie sei Ausdruck einer Kirche, die „Feldlazarett ist, das seine Mission des Heils und der Heilung in der Welt lebt!“

In diesem Zusammenhang unterstrich Franziskus, dass es eine „freie Theologie“ brauche, denn ohne die Möglichkeit, neue Wege auszuprobieren, könne auch nichts Neues geschaffen werden. Deshalb müsse das Theologiestudium auch allen zugänglich sein, Frauen wie Männern, Laien wie Geweihten, so die Mahnung des Papstes, der jedoch Abstand nahm von einer Theologie ohne Treue zum Lehramt: „In der Lehre muss man frei voranschreiten, aber in letzter Instanz wird das Lehramt sprechen. Dennoch kann man keine Theologie ohne Freiheit betreiben.“

Das Gottesvolk müsse jedoch von Haarspaltereien verschont bleiben, betonte Franziskus mit Blick auf die Gläubigen. Denn diese müssten das erhalten, was den Glauben nähere - und nicht wissenschaftliche Dispute, die ihn relativierten.

„Ich träume von theologischen Fakultäten, wo man das Zusammenleben der Unterschiede lebt, wo man eine Theologie des Dialogs und der Aufnahme praktiziert, wo man das Modell eines Polyeders des theologischen Wissens anstatt einer statischen und fleischlosen Kugel erfährt. Wo die theologische Forschung in der Lage ist, einen herausfordernden, aber gewinnbringenden Prozess der Inkulturation anzustoßen.“

Nochmals zum Mitschreiben...

Und, ganz der Pädagoge, zum Schluss seiner Ansprache brachte der Papst die ihm wichtigsten Elemente seiner Überlegungen zum Mitschreiben nochmals auf den Punkt:

„Die Kriterien des Proems der Apostolischen Konstitution Veritatis Gaudium sind die evangelischen Kriterien. Das Kerygma, der Dialog, die Unterscheidung, die Zusammenarbeit, das Netzwerk - ich würde auch die Parrhesia [Redefreiheit, Anm.] hinzufügen, die als Kriterium zitiert worden ist, die die Fähigkeit ist, am Limit zu sein, gemeinsam mit der Hypomone, dem Ausharren, an der Grenze sein, um vorwärts zu gehen - das sind alles Elemente und Kriterien, die die Art und Weise übersetzen, wie das Evangelium von Jesus gelebt und verkündet wurde und mit der es auch heute von seinen Anhängern übertragen werden kann.“

Die Theologie nach „Veritatis gaudium“ sei eine „kerygmatische Theologie, eine Theologie der Unterscheidung, der Barmherzigkeit und der Aufnahme,“ die sich in Dialog setze „mit der Gesellschaft, den Kulturen und den Religionen, für den Aufbau des friedlichen Zusammenlebens von Menschen und Völkern“, fuhr Franziskus fort, um abschließend hinzuzufügen: „Das Mittelmeer ist der historische, geograohische und kulturelle Rahmen der kerygmatischen Aufnahme, die mit Dialog und Barmherzigkeit betrieben wird. Neapel stellt ein Beispiel und besonderes Labor dieser theologischen Forschung dar. Gute Arbeit!“

(vatican news)

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21. Juni 2019, 13:31