Franziskus bei einer Begegnung mit Roma und Sinti letzte Woche im Vatikan Franziskus bei einer Begegnung mit Roma und Sinti letzte Woche im Vatikan 

Das Zauberwort der Vatikan-Reformen

Wovon lässt sich Papst Franziskus eigentlich bei seinen Reformen im Vatikan und in der Kirche leiten? Aus seinem Sprachgebrauch könnte man unterschiedliche Leitworte heraussuchen: „Aufbruch“ zum Beispiel. Oder „Vorwärtsgehen“.
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Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Die französische Theologin und Historikerin Agnès Desmazières schlägt ein anderes Schlüsselwort vor: „Dialog“. Das erklärt sie im Gespräch mit Radio Vatikan so:

„Dialog ist ein zutiefst menschliches Phänomen – und gleichzeitig im 21. Jahrhundert eines der Dinge, die wir angesichts der Konflikte in aller Welt am nötigsten brauchen. Innerkirchlich ist Dialog mit dem Konzil zentral geworden; das Konzil selbst war eine große Erfahrung des Dialogs von Bischöfen auf Weltebene mit Laien (theologischen Experten, Beobachtern aus anderen christlichen Konfessionen).“

Konflikt ist wichtig, er muss ausgetragen werden

„Dialog“ also als Schlüssel für die innerkirchlichen Reformbemühungen von Papst Franziskus. Um das zu unterfüttern, verweist Desmazières auf vier Prinzipien, die der Papst in seiner Programmschrift Evangelii Gaudium vom Herbst 2013 aufgezählt hat.

„Das erste Prinzip: Zeit ist wichtiger als der Raum. Zweitens: Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee. Drittens: Einheit ist wichtiger als Konflikt. Und viertens: Das Ganze ist wichtiger als die Teile. In diesen Prinzipien gibt es innerlich Spannungen, aber die beiden Pole sind dem Papst wichtig, man braucht sie beide. Um also einen sozialen oder innerkirchlichen Dialog in Gang zu bringen, muss man diese inneren Spannungen einberechnen und zugleich auf dem wichtigeren Prinzip bestehen. Das heißt zum Beispiel: Der Konflikt ist wichtig, und er muss ausgetragen werden. Aber so, dass das wichtigere Prinzip, nämlich die Einheit, die Oberhand behält.“

Die Zeit als „Botschafterin Gottes“

Desmazières doziert am Jesuiten-Studienzentrum Sèvres in Paris. Sie hat sich als Historikerin mit vielen theologischen Debatten des 20. Jahrhunderts beschäftigt – und dabei eine Entdeckung gemacht: „Oft haben die Theologen dabei gar nicht wirklich miteinander diskutiert, da gab es keinen echten Austausch. Was kann man also tun, damit es eine wirkliche theologische Arbeit gibt, die alle mit einbezieht? Ich habe den Eindruck, dass die vier Prinzipien von Papst Franziskus uns bei dieser Aufgabe helfen. Dialog im Konfliktfall als geistlicher Weg, der uns alle zu einer Umkehr verpflichtet…“

Dass Zeit für den Papst wichtiger ist als Raum, deutet Desmazières so: Man muss sich bei wichtigen Debatten, auch bei Konflikten, Zeit lassen, darf sie nicht einfach abwürgen. Die Zeit als „Botschafterin Gottes“. „Es braucht Zeit, um auf den Heiligen Geist zu hören, damit man dann – wie Franziskus sagt – einen Dialog zwischen Tradition und Realität hinbekommt. Anders kann der Mensch von heute die Botschaft des Evangeliums nicht verstehen, und anders bekommen wir nicht in jeder neuen Situation auch ein neues Verständnis des Evangeliums.“

Reformwette

„Dialog, um die Krise zu meistern“: So heißt, ins Deutsche übersetzt, der Titel des Buches, das Desmazières dieses Jahr auf Französisch herausgebracht hat. Untertitel: „Die Reformwette von Papst Franziskus“. Sie arbeitet heraus, dass es aus der Sicht des Papstes derzeit vor allem eine Krise der Identität und der Zugehörigkeit gibt.

„Um die große Idee von Papst Franziskus zu verstehen, muss man beachten, dass er oft von Dialog spricht und von einer Kultur der Begegnung. Für ihn heißt das: soziale Bande wiederherstellen. Das fußt zunächst auf einer Haltung des Vertrauens – Vertrauens zum anderen und Vertrauen zum Heiligen Geist, der am Werk ist in der Kirche, in der Synode und im Leben jedes Einzelnen.“

„Den anderen zunächst mal affektiv aufnehmen, und von dieser Begegnung ergibt sich dann alles Weitere“

Skeptiker behaupten, dass Franziskus kreatives Chaos an der Kirchenspitze auslöst. Der Papst selbst schreibt dem Dialog eine „alles verändernde Wirkung“ zu. „Was mich dabei besonders berührt, ist, dass er nicht – wie heute üblich – von der intellektuellen Bildung ausgeht, sondern von der Intelligenz des Herzens. Den anderen zunächst mal affektiv aufnehmen, und von dieser Begegnung ergibt sich dann alles Weitere. Er ist fest vom Primat der allem vorangehenden Initiative Gottes überzeugt.“

(vatican news)
 

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14. Mai 2019, 10:56