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Es war einmal, in Marokko…

Wenn Papst Franziskus an diesem Wochenende nach Marokko reist, werden sich viele an den letzten Papstbesuch dort erinnern: Der hl. Johannes Paul II. war 1985 dort. In Casablanca hielt er eine bahnbrechende Rede an muslimische Jugendliche – einer der unvergesslichen Momente des polnischen Pontifikats.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Beifall brandet auf, als der polyglotte Papst einen Satz auf Arabisch radebrecht. Es ist der 19. August 1985 – lange vor dem Terror des 11. September, lange bevor der christlich-islamische Dialog zu einem heißen Thema wird.

König Hassan II. bietet dem Gast aus Rom eine noch nie dagewesene Bühne: ein ganzes Stadion voller muslimischer Jugendlicher. 80.000 junge Leute sind es nach offiziellen Zahlen, die Fernsehbilder zeigen allerdings auch viele ältere Leute. Und es gibt pflichtschuldigen Applaus, als Johannes Paul sich in einem der ersten Sätze seiner Rede beim König bedankt.

„Ich treffe häufig Jugendliche, im allgemeinen Katholiken. Es ist das erste Mal, dass ich mit jungen Muslimen zusammentreffe.“ Rund um das Mohammed-V.-Stadion wehen große marokkanische Flaggen. Neben dem Papst: Blumen in Vatikanfarben. Sein Gesicht erscheint überlebensgroß auf der Stadionleinwand.

Zum Nachhören

„Wir haben als Christen und Muslime viele Dinge gemeinsam“

„Wir haben als Christen und Muslime viele Dinge gemeinsam, als Gläubige und als Menschen. Wir leben in derselben Welt, die durch viele Zeichen der Hoffnung, aber auch der Angst gekennzeichnet ist. Abraham ist für uns gleichermaßen ein Vorbild des Glaubens an Gott, der Ergebenheit gegenüber Seinem Willen und des Vertrauens auf Seine Güte. Wir glauben an denselben Gott, an den einzigen Gott, an den lebendigen Gott, an den Gott, der die Welten schafft und Seine Geschöpfe zu ihrer Vollendung führt.“

Über Gott wolle er mit ihnen sprechen, sagt der Papst den Menschen im Stadion, und über „menschliche Werte, die ihr Fundament in Gott haben“.

„Ist das Gottesgeheimnis nicht die höchste Wirklichkeit?“

„Ist das Gottesgeheimnis nicht die höchste Wirklichkeit, von welcher der Sinn selbst abhängt, den der Mensch seinem Leben gibt? Ist es nicht das erste Problem, das sich einem Jugendlichen stellt, wenn er über das Mysterium seiner eigenen Existenz und über die Werte nachdenkt, die er auszuwählen beabsichtigt, um seine heranreifende Persönlichkeit zu formen?“

Johannes Paul stellt sich vor: Er sei „Bischof von Rom“ und habe den Auftrag, „Zeuge des Glaubens“ zu sein. „So komme ich zu euch heute auch als Glaubender. Ich möchte hier ganz einfach ein Zeugnis davon geben von dem, was ich glaube…“

Papst nimmt koranische Terminologie auf

Nicht ungeschickt, dieser Einstieg. Der Papst nimmt hier koranische Terminologie auf: Er vertritt nicht etwa „die Ungläubigen“, sondern ist ein „Glaubender“. Vom Schöpfergott spricht er, vom Gehorsam, den wir Gott schulden, von Gottes Barmherzigkeit – ein weiteres Schlüsselwort, denn in der ersten Sure, der „Fatiha“, hat sich Gott im Koran als „der Barmherzige, der Allerbarmer“ vorgestellt.

„Müssten nicht die Gläubigen in einer Welt, die sich nach der Einheit und nach dem Frieden sehnt und die trotzdem tausend Spannungen und Konflikte erfährt, die Freundschaft und die Zusammenführung der Menschen und der Völker, die auf Erden eine einzige Gemeinschaft bilden, fördern? Wir wissen, dass sie denselben Ursprung und dasselbe Endziel haben: den Gott, der sie geschaffen hat und der sie erwartet, weil Er sie zusammenführen wird.“

Dialog „heute notwendiger denn je“

Der Papst aus Polen nennt den Dialog zwischen Christen und Muslimen „heute notwendiger denn je“. Es gehe darum, Gott „in einer immer säkularisierteren und manchmal sogar atheistischen Welt zu bezeugen“. „Gott kann nie zu unseren Zwecken benutzt werden, weil Er über allem ist“, mahnt Johannes Paul – Jahre vor dem Erstarken von Islamisten. Und er fordert, mit abwägenden Worten, den „Respekt vor anderen religiösen Traditionen“ ein: „denn jeder Mensch erwartet, dass er als der geachtet werde, welcher er tatsächlich ist“.

„Religionsfreiheit: Gott und den Menschen gleichzeitig respektieren“

„Wir ersehnen, dass alle zur Fülle der göttlichen Wahrheit gelangen, aber alle können dies nur durch die freie Zustimmung ihres Gewissens erreichen, in der Sicherheit gegenüber äußeren Zwängen, welche die freie Würdigung von Seiten des Verstandes und des Herzens nicht ernstnehmen, was jedoch die Würde des Menschen charakterisiert. Darin liegt der authentische Sinn der Religionsfreiheit, die Gott und den Menschen gleichzeitig respektiert. Von solchen Anbetern erwartet Gott den aufrichtigen Kult, von Anbetern im Geist und in der Wahrheit.“

„Gehorsam gegenüber Gott, Liebe für den Menschen“

„Gehorsam gegenüber Gott, Liebe für den Menschen“ – das könnte als Motto über dieser historischen Rede des Papstes stehen. „Ihr seid verantwortlich für die Welt von morgen“, sagt Johannes Paul den marokkanischen Jugendlichen. Gott habe „alle Menschen betreffend ihre Würde ebenbürtig erschaffen“. Dann kommt er zurück auf die interreligiöse Gemengelage.

„Ich glaube, dass wir, Christen und Muslime, die religiösen Werte, die wir gemeinsam haben, mit Freude anerkennen und Gott dafür danken sollen. Wir glauben beide an einen Gott, an den einzigen Gott, der ganz Gerechtigkeit und ganz Barmherzigkeit ist; wir glauben an die Bedeutung des Gebets, des Fastens und des Almosens, der Buße und der Vergebung; wir glauben, dass uns Gott am Ende der Zeiten ein gnädiger Richter sein werde, wir hoffen darauf, dass Er mit uns zufrieden sein werde, und wir wissen, dass wir mit Ihm die Erfüllung haben werden.“

Differenzen nicht verschweigen

Die „Redlichkeit“ gebiete es allerdings, dass man auch die „Differenzen“ zwischen Christen und Muslimen nicht verschweige. „Die grundlegendste ist klarerweise die Sichtweise, die wir der Person und dem Werk des Jesus von Nazareth entgegenbringen. Ihr wisst, dass für die Christen dieser Jesus dieselben in eine innerste Kenntnis des Geheimnisses Gottes und in eine kindliche Gemeinschaft mit Seinen Gaben eintreten lässt, so dass sie Ihn als göttlichen Herrn und Erlöser anerkennen und verkünden. Darin liegen wichtige Unterschiede, die wir in der gegenseitigen Toleranz mit Demut und Respekt akzeptieren dürfen; darin liegt ein Mysterium, worüber uns Gott eines Tages Erleuchtung geben wird, wovon ich überzeugt bin.“

„Ich meine, dass uns Gott heute einlädt, unsere alten Gewohnheiten zu ändern“

Christen und Muslime hätten sich in der Vergangenheit in der Regel „schlecht verstanden“ und sich „sogar in Auseinandersetzungen und Kriegen verausgabt“. Das müsse heute anders sein. „Ich meine, dass uns Gott heute einlädt, unsere alten Gewohnheiten zu ändern! Wir sollten uns respektieren und uns auch gegenseitig auf dem Weg Gottes in den guten Werken anspornen.“

44 Minuten Ansprache – ein historisches Tondokument aus der Zeit vor al-Quaida, Isis, Arabischem Frühling oder „Krieg gegen Terror“. Nie wieder hat seitdem ein Papst zu einem ganzen Fußballstadion voller Muslime gesprochen. Doch seit Johannes Paul II. im Mai 2001 bei einem Besuch in Syrien eine Moschee betreten hat, wurden solche Moscheebesuche zu üblichen Stationen im Reiseprogramm der Päpste.

Zum Abschluss ein Gebet

Zurück in die Sommerhitze von Casablanca 1985. Seine Ansprache beendete Johannes Paul II. damals mit einem Gebet:

„O Gott, Du bist unser Schöpfer.
Du bist gut, und Dein Erbarmen ist grenzenlos.
Dir kommt der Lobpreis aller Geschöpfe zu…
Lasse nicht zu, dass wir uns von Dir entfernen.
O Gott, Richter aller Menschen, hilf uns, am letzten Tage zu Deinen Erwählten zu gehören.
O Gott, Urheber der Gerechtigkeit und des Friedens, gewähre uns die wahre Freude und die authentische Liebe und auch eine dauerhafte Brüderlichkeit unter den Völkern.
Erfülle uns auf immer und ewig mit Deinen Gaben.“

(vatican news)
 

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26. März 2019, 10:48