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Franziskus an diesem Montag im Apostolischen Palast Franziskus an diesem Montag im Apostolischen Palast 

Papst: „Ein Christ kann kein Antisemit sein“

Wie kommen gute Beziehungen zwischen Christen und Juden zustande? Nicht nur durch theologische Gesprächsrunden, sondern vor allem durch Freundschaften. Davon ist Papst Franziskus überzeugt.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Im Vatikan empfing er an diesem Montag eine Gruppe von Juden aus dem Kaukasus. Dabei sagte er: „Mir war es immer ein Anliegen zu betonen, wie wichtig Freundschaft zwischen Juden und Katholiken ist. Sie fußt auf einer Geschwisterlichkeit, die ihre Wurzeln in der Heilsgeschichte hat, und sie wird in Aufmerksamkeit füreinander konkret. Mit Ihnen zusammen danke ich dem Geber alles Guten für das Geschenk unserer Freundschaft – sie ist der Motor unseres Dialogs.“

„Den Dialog erweitern“

Die Formel Johannes Pauls II., dass die Juden „die älteren Brüder“ der Christen seien, griff Franziskus bei der Audienz nicht explizit auf. Der emeritierte Papst Benedikt hatte die Formel unlängst kritisiert: sie sei missverständlich und bringe das christlich-jüdische Miteinander nicht unbedingt voran, schrieb Benedikt in einem Text, der im Juli in der Zeitschrift „Communio" erschien.

Franziskus ist selbst mit mehreren Rabbinern befreundet. Vor seiner Wahl zum Papst brachte er in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires ein Gesprächsbuch mit dem argentinischen Rabbiner Abraham Skorka heraus. Dieser begleitete Franziskus 2014 auch auf dessen Reise ins Heilige Land.

Trotz der Betonung, wie fundamental Freundschaft sei, lobte der Papst aber auch den Dialog zwischen beiden Religionen. „Es ist ein Dialog, den wir in unserer Zeit stärker fördern und auf interreligiöser Ebene erweitern sollten, zum Wohle der Menschheit.“ Damit warb Franziskus für ein Einbeziehen von Muslimen in das Religionsgespräch, also für den Trialog der großen, monotheistischen Traditionen.

Holocaust: „Aus den dunkelsten Seiten der Geschichte lernen“

Der Papst erinnerte in seiner Rede auch an seine letzte Begegnung mit einer jüdischen Gemeinschaft: Am 23. September war das, bei seinem Besuch in Litauen. „Es war ein Tag, der der Erinnerung an die Shoa galt, 75 Jahre nach der Zerstörung des Ghettos von Wilna und der Ermordung Tausender von Juden. Ich habe am Mahnmal für die Opfer des Holocaust gebetet und den Allerhöchsten gebeten, sein Volk zu trösten.“ In diesem Satz versteckte sich eine Anspielung auf den berühmten Ausruf „Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott“ aus dem Buch des Propheten Jesaja (40,1).

„An den Holocaust zu erinnern ist notwendig, damit ein lebendiges Gedächtnis der Vergangenheit erhalten bleibt. Ohne ein lebendiges Gedächtnis wird es keine Zukunft geben – denn wenn wir nicht aus den dunkelsten Seiten der Geschichte lernen, um nicht wieder dieselben Fehler zu begehen, dann wird die Menschenwürde toter Buchstabe bleiben.“

Erinnerung an die Novemberpogrome

Franziskus blieb beim Thema Shoa. Zunächst erwähnte er, dass am 16. Oktober vor 75 Jahren das römische Ghetto von den nationalsozialistischen Besatzern aufgelöst worden ist. Viele Juden der Ewigen Stadt starben kurz darauf in Auschwitz. Von den wenigen Überlebenden der römischen Judenrazzia ist der letzte – Lello Di Segni – Ende Oktober diesen Jahres gestorben.

„Und in einigen Tagen, am 9. November, jährt sich zum achtzigsten Mal die sogenannte Kristallnacht, in der viele jüdische Kultstätten zerstört wurden – auch mit der Absicht, das auszurotten, was völlig unantastbar im Herzen des Menschen und eines Volkes ist, nämlich die Präsenz des Schöpfers. Als man den guten Gott durch den Götzendienst der Macht und einer Ideologie des Hasses ersetzen wollte, gelangte man bis zu dem Wahnsinn, Menschen auszurotten. Darum ist die Religionsfreiheit ein hohes, schützenswertes Gut, ein fundamentales Menschenrecht, ein Damm gegen totalitäre Anwandlungen.“

Anklänge an eine Rede Benedikt XVI. in Auschwitz

Franziskus‘ Gedankengang von diesem Montag lehnt sich an eine Rede an, die sein Vorgänger Benedikt XVI. Ende Mai 2006 während seiner Polenreise auf dem Gelände des früheren KZ Auschwitz-Birkenau gehalten hat. „Im tiefsten wollten jene Gewalttäter mit dem Austilgen dieses Volkes den Gott töten, der Abraham berufen, der am Sinai gesprochen und dort die bleibend gültigen Maße des Menschseins aufgerichtet hat“, sagte damals der deutsche Papst. „Wenn dieses Volk einfach durch sein Dasein Zeugnis von dem Gott ist, der zum Menschen gesprochen hat und ihn in Verantwortung nimmt, so sollte dieser Gott endlich tot sein und die Herrschaft nur noch dem Menschen gehören – ihnen selber, die sich für die Starken hielten…“

Auch Franziskus selbst hat 2016, am Rand des Weltjugendtages von Krakau, das frühere KZ besucht, dabei aber aus Respekt vor den Toten keine Rede gehalten.

„Unsere Wurzeln sind dieselben“

Deutlich verurteilte der Papst vor seinen Besuchern aus dem Kaukasus Antisemitismus. „Leider gibt es auch heute noch antisemitische Einstellungen. Wie ich schon mehrfach gesagt habe, kann ein Christ kein Antisemit sein! Unsere Wurzeln sind dieselben. Es wäre ein Widerspruch des Glaubens und des Lebens. Stattdessen sollten wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass der Antisemitismus aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen wird.“

„Im geistigen Sinn sind wir Semiten“, bemerkte schon Pius XI. im September 1938, also noch vor dem Beginn des Holocaust, in einer Rede an belgische Pilger. Franziskus ließ in seiner Ansprache an diesem Montag nochmal eine interreligiöse Begegnung Revue passieren, an der er vor zwei Jahren bei seinem Besuch in Aserbaidschan teilgenommen hat.

„Mit den anderen reden, für alle beten“

„Ich sagte damals, dass die Harmonie, für die Religionen sorgen können, ausgehen kann von den persönlichen Beziehungen und dem guten Willen der Verantwortlichen. Das ist der Weg! Mit den anderen reden und für alle beten – das sind unsere Mittel, um Schwerter zu Pflugscharen zu machen… Unsere Zeit braucht keine gewaltsamen, brüsken Lösungen, sondern geduldige Prozesse der Versöhnung. Das ist eine fundamentale Aufgabe, zu der wir aufgerufen sind.“

Am Schluss der Begegnung: ein kurzes Gebet des Papstes, dass Juden und Katholiken „Baumeister des Friedens“ sein mögen. Und ein Gruß auf Hebräisch: „Shalom alechem!”

(vatican news)
 

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05. November 2018, 11:12