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Viaggio Apostolico in Lituania Lettonia Estonia 2018.09.23 Viaggio Apostolico in Lituania Lettonia Estonia 2018.09.23 

Messe in Kaunas: „Wen würde Christus heute in die Mitte stellen?“

„Machtstreben ist die häufigste Verhaltensweise derer, die die Erinnerung an ihre Geschichte nicht verarbeiten und vielleicht gerade deshalb auch nicht bereit sind, sich für die Aufgaben der Gegenwart zu engagieren“: Diese Mahnung gab Papst Franziskus den Gläubigen bei seiner Predigt im litauischen Kaunas mit auf den Weg.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Er ging bei seinen Überlegungen vor mehr als 100.000 Messeteilnehmern vom Tagesevangelium nach Markus aus. Darin streiten sich die Jünger, wer von ihnen wohl der Größte sei (Mk 9, 30-37).

Viele der Menschen im Land, so der Papst, erinnerten sich noch gut an die Zeiten der Besatzung und an die damit einhergehenden Zweifel an Gott, weil er nicht „in den Lauf der Geschichte eingegriffen“ hatte. 

„Das christliche Leben“, betonte Franziskus, „geht immer auch durch Momente des Kreuzes, und manchmal erscheinen sie endlos. Die früheren Generationen werden die Zeit der Besatzung noch schmerzlich erinnern, die Angst derer, die deportiert wurden, die Ungewissheit bezüglich derer, die nicht zurückgekehrt sind, die Schande der Denunziation und des Verrats.“

Hier können Sie die wichtigsten Momente der Papstmesse hören.

Das Buch der Weisheit, so fuhr er fort, spreche vom „verfolgten Gerechten“, der „allein deswegen Schmähungen und Qualen erleidet, weil er gut ist.“ Wie viele von ihnen könnten eine ähnliche Geschichte von sich oder einem nahen Verwandten erzählen, wandte Franziskus sich an die Menschen, die unter dem kommunistischen Regime gelitten hatten.

„Ganz Litauen kann das mit einem Schaudern bezeugen, wenn etwa Sibirien oder die Ghettos von Vilnius und Kaunas neben anderen auch nur erwähnt werden“

„Kaunas weiß davon; ganz Litauen kann das mit einem Schaudern bezeugen, wenn etwa Sibirien oder die Ghettos von Vilnius und Kaunas neben anderen auch nur erwähnt werden; und mit den Worten dieses Abschnitts aus dem Brief des Apostels Jakobus, den wir eben gehört haben, kann dieses Volk sagen: sie begehren, töten, morden, sind eifersüchtig, streiten und führen Krieg (vgl. 4,2).“

Die Jünger hingegen hatten nicht auf Jesus hören wollen, als er ihnen mehrfach sein Martyrium angekündigt hatte. Vielmehr waren sie in Diskussionen verwickelt, wer wohl der Größte von ihnen sei.

„das Verlangen nach Macht und Ruhm ist die häufigste Verhaltensweise derer, die die Erinnerung an ihre Geschichte nicht verarbeiten und vielleicht gerade deshalb auch nicht bereit sind, sich für die Aufgaben der Gegenwart zu engagieren“

„Brüder und Schwestern, das Verlangen nach Macht und Ruhm ist die häufigste Verhaltensweise derer, die die Erinnerung an ihre Geschichte nicht verarbeiten und vielleicht gerade deshalb auch nicht bereit sind, sich für die Aufgaben der Gegenwart zu engagieren. Und so diskutiert man darüber, wer brillanter war, wer in der Vergangenheit makelloser war, wer mehr Anspruch auf Privilegien hat als die anderen. Und so verleugnen wir unsere Geschichte, »die ruhmreich ist, insofern sie eine Geschichte der Opfer, der Hoffnung, des täglichen Ringens, des im Dienst aufgeriebenen Lebens, der Beständigkeit in mühevoller Arbeit ist« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 96),“ mahnte der Papst, der diese Haltung als „unfruchtbar und eitel“ verurteilte.

Damit verweigere man sich dem Aufbau der Gegenwart und verliere den „Kontakt zur durchlittenen Wirklichkeit unseres gläubigen Volkes“, gab der Papst zu bedenken: „Wir dürfen nicht wie jene spirituellen ,Experten´ sein, die nur von außen urteilen und ständig darüber reden, ,was man tun müsste´“ (vgl. ebd.).

„Keiner kann behaupten, er habe nichts gesehen“

Wen würde Jesus heute statt des kleinen Kindes in die Mitte der Jünger stellen, um ihnen die Absurdität ihrer Machtspiele vor Augen zu führen, fragte der Papst mit einem Verweis auf die aktuellen Debatten unserer Zeit und der gesellschaftlichen Situation Litauens im Besonderen, im Gedenken an ethnische Minderheiten, einsame alte und perspektivlose junge Menschen:

„,In die Mitte´“ bedeutet: von allen gleich weit entfernt; damit kann niemand so tun, als hätte er nichts bemerkt, damit kann niemand behaupten, dies fiele in die ,Verantwortung eines anderen´, weil ,ich es nicht gesehen habe´ oder weil ,ich zu weit weg´ war. Ohne Geltungsdrang, ohne Verlangen nach Beifall, ohne zu den Ersten gehören zu wollen.“

Es gehe darum, eine „Kirche auf dem Weg nach draußen“ zu sein, auch wenn dies scheinbar dazu führe, dass man sich selbst hingebe und verlöre: „Und dabei wissen wir, dass ein solches Hinausgehen in bestimmten Fällen auch ein Innehalten bedeutet, ein Ablegen von Ängsten und Dringlichkeiten, um in der Lage zu sein, den anderen in die Augen zu schauen, ihnen zuzuhören und die zu begleiten, die am Wegesrand liegen geblieben sind.“ Die Jünger müssten lernen, dass man Jesus selbst aufnimmt, wenn man sich um einen dieser Geringen kümmert, und ähnlich gehe es auch uns, betonte Franziskus abschließend:

„Deshalb sind wir heute hier, um Jesus zu empfangen: in seinem Wort, in der Eucharistie, in den Kleinen.“  

(vatican news)

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Papst Franziskus in Kaunas
23. September 2018, 09:56