Benedikt XVI. vor ein paar Tagen mit dem brasilianischen Kardinal Damasceno Assis Benedikt XVI. vor ein paar Tagen mit dem brasilianischen Kardinal Damasceno Assis 

Theologe Tück kommentiert neuen Text von Benedikt XVI.

Eigentlich wollte er ja schweigen. Jetzt hat er doch gesprochen, bzw. geschrieben: Benedikt XVI., der emeritierte Papst. Er überraschte vor ein paar Tagen mit einem Essay für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Communio“. Darin geht es um das jüdisch-christliche Zueinander.

Herausgeber von „Communio“ ist der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück. Er findet Benedikts Aufsatz bemerkenswert – und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen im Blick auf Papst Franziskus, dem plötzlich theologisch gewissermaßen eine „zweite Stimme“ zur Seite tritt, zumal sich auch der Bergoglio-Papst u.a. in „Evangelii Gaudium“ zum jüdisch-christlichen Verhältnis geäußert hat. Zum anderen im Blick auf den Inhalt des Textes selbst, der für Tück anregend und ermutigend, aber durchaus diskussionswürdig ist.

Unterschiede zwischen Judentum und Christentum für den Dialog fruchtbar machen

 

Benedikt XVI. problematisiere in seinem Text zwei „Standards“ des nachkonziliaren jüdisch-christlichen Dialogs, nicht um sie in Frage zu stellen, sondern um sie theologisch zu vertiefen, so Tück. So hält er die geläufige Ablehnung der sogenannten „Substitutionstheorie“, der zufolge die Kirche die heilsgeschichtliche Rolle Israels ersetzt habe, für nachbesserungsbedürftig. Die theologische Tradition habe nicht von „Substitution“ gesprochen, schreibt Benedikt in seinem Text. Er schlägt darin vielmehr vor, unterschiedliche Elemente wie den Tempelkult, die kultischen, rechtlichen, moralischen Vorschriften, aber auch die Messiasfrage und die Landverheißung einzeln zu betrachten. Dadurch eröffne er im jüdisch-christlichen Dialog die Möglichkeit einer theologischen Kritik, „die nicht auf eine Ersetzung Israels hinausläuft, sondern im Gegenteil auch die Unterschiede zwischen Judentum und Christentum für den Dialog fruchtbar macht“, so Tück.

„Kündigen“ ist keine biblische Vokabel

 

Präzisierungen bringt Benedikt auch bei der Rede vom „nie gekündigten Bund“ an - eine Formulierung, die Papst Johannes Paul II. 1980 erstmals gebraucht hat: „Kündigen“ sei keine biblische Vokabel, außerdem sei in der Bibel vom Bund nicht im Singular, sondern oft im Plural die Rede - es gebe eine ganze Reihe von Bundesschlüssen, die von Noah über Abraham und Mose bis zur prophetischen Rede vom neuen Bund reiche.

Hier ausführliche Erläuterungen des Benedikt-Textes durch Professor Tück

Die Geschichte zwischen Gott und seinem Volk, so argumentiert der emeritierte Papst in seinem Text, sei sehr wohl durch Untreue und Bruch auf Seiten der Menschen, aber Treue auf Seiten Gottes gekennzeichnet. So hilfreich also die Rede von „ungekündigten Bund“ gewesen sei, um Gesprächsblockaden zu lösen, so sehr müsse „auf Dauer die Sprache der Bibel selbst gewählt werden, die von der Unwideruflichkeit und Treue Gottes zu seinen Verheißungen spreche“, würdigt Tück diese Überlegung Benedikts.

Verhältnis zum Judentum neu ausloten

 

Benedikts Text sei daher insgesamt als „Zeugnis einer innerkirchlichen Reflexion“ zu werten, die das Verhältnis zum Judentum neu auszuloten versuche, so Tück. Als bemerkenswert müsse überdies festgehalten werden, dass Benedikt die Existenz des Staates Israels nicht heilsgeschichtlich, sondern politisch begründet sieht: Sie sei die Konsequenz der Shoah und ein Zeichen der Treue Gottes zu seinem Volk, auch wenn sie nicht direkt aus der Heiligen Schrift legitimiert werden könne.

Kein lehramtlich-autoritativer Text

 

Zur Frage der Einordnung des neuen Textes unterstreicht Tück, dass der Beitrag „keinen lehramtlich-autoritativen Rang beansprucht“, sondern er vielmehr „so stark ist wie die Argumente, die er einbringt“. Entsprechend sei dem Text auch mit einer „Hermeneutik des Wohlwollens“ entgegenzutreten, ohne die es kein Verstehen gebe - gewiss ohne gebotene kritische Rückfragen dabei unter den Tisch fallen zu lassen. Eine solche Rückfrage betreffe etwa die Tatsache, dass sich der Autor ausschließlich mit der Schärfung innerchristlicher Sprachregelungen befasst, aber nicht eigentlich ein Gespräch mit der jüdischen Theologie führt.

Eine zentrale Frage und zugleich Anfrage an den Text sei auch, wie man trotz der Differenz in der Messias-Frage christlicherseits die bleibende theologische Würde des Judentums zum Ausdruck bringen könne. Benedikt XVI. erklärt in dem Text, dass Israel auch in der Diaspora, die oft als Strafe gesehen wurde, tatsächlich seine eigene „Sendung“ wahrgenommen habe. Was das genau bedeute, müsse weiter ausgeführt werden, so Tück. Papst Franziskus bringe die bleibende Würde des Judentums sensibel auf den Punkt, wenn er etwa in „Evangelii Gaudium“ schreibe, dass die Kirche einen „ganz besonderen Blick“ auf das jüdische Volk habe, „dessen Bund mit Gott niemals aufgehoben wurde“ und die „Freundschaft mit den Kindern Israels (...) zum Leben der Jünger Jesu“ gehöre.

(kap – sk)
 

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09. Juli 2018, 09:39