Chrisammesse: Die Nähe zu Gott und den Gläubigen

Ein Plädoyer für die Nähe hat Papst Franziskus in seiner Chrisammesse am Gründonnerstag abgegeben. Er feierte gemeinsam mit mehreren Tausend Geistlichen und Seminaristen, die in Rom tätig sind oder dort studieren – und an sie wandte er sich in seiner langen Predigt, die von der Nähe Gottes zu seinem Volk, aber auch der Nähe der Priester zu den Gläubigen handelte.

Christine Seuss - Vatikanstadt


Jesus, so betonte der Papst, hätte ohne Weiteres als geachteter Schriftgelehrter wirken können. Doch er habe es vorgezogen, ein „Evangelisierer“ zu sein, der auf der Straße die Frohe Botschaft für alle zugänglich machte. Dies, so Franziskus, sei die „großartige Wahl Gottes“:

„Der Herr entschied sich dafür, jemand zu sein, der seinem Volk nahe ist. Dreißig Jahre des verborgenen Lebens! Nur danach wird er anfangen zu predigen. Es ist die Pädagogik der Inkarnation… der Inkulturation; nicht nur in den fernen Kulturen, auch in der eigenen Pfarrei, in der neuen Kultur der jungen Menschen…“

Die Nähe sei in diesem Zusammenhang mehr als die Bezeichnung für eine besondere Tugend, sie sei vielmehr eine Haltung, die die gesamte Person betreffe. „Wenn die Leute von einem Priester sagen, dass er ,volksnah´ ist“, betonte der Papst gegenüber den zahlreichen anwesenden Priestern, „möchten sie normalerweise zwei Dinge hervorheben: erstens, dass er ,immer da´ ist (im Gegensatz zur Feststellung, dass er ,nie da´ ist: ,Ich weiß, Pater, dass sie sehr beschäftigt sind…´ – sagen sie oft). Und das zweite Kennzeichen ist, dass er ein Wort für jeden zu finden vermag. ,Er spricht mit allen´, sagen die Leute: mit den Großen, den Kleinen, den Armen, mit denjenigen, die nicht glauben… Volksnahe Priester, die da sind, die mit allen sprechen… Straßenpriester.“

„Aber ich glaube, dass wir die Tatsache noch mehr verinnerlichen müssen, dass die Nähe auch der Schlüssel der Wahrheit ist“

Ein gutes Beispiel für einen „Straßenpriester“ im Sinne Jesu sei Philippus, fuhr der Papst fort. Denn er sei einer von denen, die „der Geist in jedem Augenblick entführen“ konnte und auch streng gläubige Menschen vom Fleck weg zur Taufe überzeugen konnte. Und auch hier spiele die „Nähe“ eine Rolle, sie sei der „Schlüssel des Evangelisierers, betonte Franziskus.

„Wir haben verinnerlicht, dass die Nähe der Schlüssel der Barmherzigkeit ist, weil die Barmherzigkeit keine wäre, wenn sie sich nicht immer bemühen würde, als gute Samariterin die Distanz zu überwinden. Aber ich glaube, dass wir die Tatsache noch mehr verinnerlichen müssen, dass die Nähe auch der Schlüssel der Wahrheit ist.“

Die so verstandene Wahrheit bedeute, eine Distanz zu überwinden und ermögliche es, „die Personen mit ihrem eigenen Namen zu nennen“, ohne sie aus der Ferne betrachtet einer Kategorie zuzuordnen oder „ihre Situation“ zu definieren, unterstrich der Papst, um den anwesenden Priestern dann in einer spontanen Einlassung vor Augen zu führen:

„Hier gibt es diese Angewohnheit – hässlich, nicht – der „Kultur des Adjektivs“: Der ist so und so, jener ist dies und das, der andere das und dies… Nein, das ist ein Kind Gottes. Dann erst hat er seine guten und schlechten Seiten, aber die treue Wahrheit der Person, nicht ein fleischgewordenes Adjektiv.“

Die hässliche Angewohnheit der Kultur des Adjektivs

 

Sie sollten sich vor der Versuchung hüten, aus „einigen abstrakten Wahrheiten einen Abgott“ zu machen, schrieb der Papst den Geistlichen ins Stammbuch. Dies sei vielleicht bequem, führe aber letztlich dazu, dass die Frohe Botschaft eine Worthülse bleibe und – schlimmer noch – die einfachen Menschen von der „heilenden Nähe des Wortes und der Sakramente Jesu“ entferne. Doch die Nähe habe auch einen mütterlichen Aspekt, betonte Franziskus mit Blick auf die Episode, in der Maria dem ersten Wunder Jesu den Weg bereitet. „Was er euch sagt, das tut“, so die Worte der Gottesmutter zu den Dienern bei der Hochzeit von Kana. Diese Worte würden letztlich „zum mütterlichen Stil der ganzen kirchlichen Sprache“ werden, erläuterte Franziskus, nicht ohne hinzuzufügen:

„Aber um sie wie sie [Maria, Anm.] auszusprechen, muss man nicht nur um die Gnade bitten, sondern auch dort sein können, wo die wichtigen Dinge ,gekocht´ werden, die für jedes Herz, jede Familie und jede Kultur Bedeutung haben. Nur aus dieser Nähe kann man unterscheiden, welcher Wein fehlt und welcher der qualitativ bessere ist, den der Herr geben will.“

Geistliches Gespräch, Beichte, Predigt

 

Er rate den Priestern dazu, drei Bereiche der priesterlichen Nähe zu betrachten, in denen diese Worte Marias widerhallen müssten, auf „tausend verschiedene Weisen, aber mit demselben mütterlichen Ton“, so der Papst. Dies seien die Nähe im geistlichen Gespräch, die Nähe in der Beichte und die Nähe im Bereich der Predigt.

„Über die Nähe im geistlichen Gespräch können wir nachdenken, indem wir die Begegnung des Herrn mit der Samariterin betrachten. Der Herr lehrt sie zuerst, wie man im Geist und in der Wahrheit anbetet; dann hilft er ihr mit Feingefühl, ihre Sünde zu benennen; und schließlich lässt er sich von ihrem missionarischen Geist anstecken und geht mit ihr, um ihr Dorf zu evangelisieren.“ Dieses Modell des geistlichen Gesprächs zeige auf, wie Jesus es vermochte, die Sünden der Frau offenzulegen, ohne jedoch „einen Schatten“ auf ihre Anbetung zu werfen oder sie in ihrer missionarischen Berufung zu behindern.

Die Begegnung mit der Ehebrecherin führe vor Augen, wie Wahrheiten im persönlichen Gespräch gesagt werden können und dürfen: „Dem anderen in die Augen schauen – wie der Herr, der aufsteht, nachdem er neben der Ehebrecherin, die man steinigen wollte, auf Knien war, und zu ihr sagt: ,Auch ich verurteile dich nicht´ (Joh 8,11) – bedeutet nicht, sich gegen das Gesetz zu wenden. Und man kann hinzufügen ,Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!´ (ebd.): nicht mit einem Ton, der dem rechtlichen Bereich der definierten Wahrheit angehört – dem Ton desjenigen, der die Bedingungen der göttlichen Barmherzigkeit festsetzen muss –, sondern mit einer Ausdrucksweise, die man im Bereich der Wahrheit als Treue anwendet, die dem Sünder erlaubt, vorwärts zu schauen und nicht zurück.“

Zuletzt, so schloss Franziskus seinen gedanklichen Dreischritt, komme der Bereich der Predigt. „In der Homilie sieht man, wie nahe wir Gott im Gebet waren und wie nahe wir unserem Volk in seinem Alltag sind,“ führte der Papst aus. Und genau diese beiden Arten der Nähe müssten sich gegenseitig Befruchten und stützen, um die Frohe Botschaft umzusetzen: „Wenn du dich fern von Gott fühlst, gehe auf sein Volk zu, das dich von den Ideologien heilen wird, die deinen Eifer lau werden ließen. […] Wenn du dich fern von den Menschen fühlst, komme dem Herrn und seinem Wort näher: Im Evangelium wird Jesus dich seine Weise lehren, auf das Volk zu schauen, wie wertvoll in seinen Augen ein jeder von denen ist, für die er sein Blut am Kreuz vergoss.“

Der Priester inmitten seines Volkes

 

Den Priester, der „inmitten seines Volkes“ mit der „Nähe und der Zärtlichkeit eines guten Hirten“ gehe, schätzten die Menschen nicht nur sehr, schloss Franziskus seine Predigt, sondern dieser lasse die Gläubigen etwas spüren, was sie sonst nur in der Gegenwart Jesu spürten. Dies mache die Nähe zu einem zentralen Element des priesterlichen Dienstes und nicht nur zu einem „zusätzlichen Schnörkel“, betonte der Papst: Denn darin entscheide sich, „ob Jesus im Leben der Menschheit gegenwärtig wird oder er auf der Ebene der Ideen verbleibt, eingeschlossen in Druckbuchstaben und höchstens in einigen guten Angewohnheiten inkarniert, die sich aber allmählich in Routine verwandeln.“

Bei der Messe hatte der Bischof von Rom im Beisein seiner Priester auch die Heiligen Öle gesegnet, die die Kirche im kommenden Kirchenjahr bei den Sakramenten Taufe, Firmung, Krankensalbung und Priesterweihe verwendet.

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29. März 2018, 11:29