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Papstmesse in Temuco mit Indigenen Papstmesse in Temuco mit Indigenen 

Papstmesse in Temuco: „Gewalt verwandelt die gerechteste Sache zur Lüge“

„Ich feiere diese heilige Messe für alle, die gelitten haben und gestorben sind, und für alle, die täglich auf ihren Schultern die Last so vieler Ungerechtigkeiten tragen müssen“ – unter dieses Anliegen stellte Papst Franziskus seine zweite große Messfeier auf chilenischem Boden. Nach seiner ersten Station in Santiago war er am Morgen nach Temuco im Süden des Landes geflogen. Von der Mapuche-Region aus rief er zu Gewaltverzicht und einer „Politik für den Frieden“ auf.

Anne Preckel - Vatikanstadt

„Mari, Mari. Guten Tag. Küme tünngün ta niemün! Friede sei mit euch!“ - Franziskus begrüßte seine Zuhörer in indigener Sprache. Die „Araucanía“, wie die Region in Chile genannt wird, sei „ein vom Schöpfer gesegnetes Land“, begann er seine Predigt, und er pries die majestätische Natur des indigenen Lebensraums. Die Ureinwohner-Völker, die in diesem Gebiet leben, begrüßte er namentlich: die Mapuche und all die anderen „autochthonen Völker“ - die Rapanui, Aymara, Quechua, Atacameños „und viele andere“. Viele der Volksvertreter waren in ihren traditionellen Gewändern zur Messe gekommen, was die Feier, bei der auch traditionelle Musik erklang, in ein buntes Fest verwandelte. Laut offizieller Angaben nahmen 150.000 Menschen teil.

„Mit den Augen von Touristen betrachtet, wird uns dieses Land begeistern, wenn wir es durchstreifen; wenn wir uns aber seinem Boden nähern, werden wir ihn singen hören: ,Arauco hat einen Kummer, den es nicht verschweigen kann, es sind die Ungerechtigkeiten der Jahrhunderte, die alle geschehen sehen.‘“ Mit diesem Zitat der chilenischen Dichterin und Literaturnobelpreisträgerin Gabriela Mistral lenkte der Papst den Blick auf die „schweren Menschenrechtsverletzungen“, die während Chiles Militärdiktatur auch in diesem Landesteil - namentlich durch Folter auf dem Flugplatz, dem Ort der Papstmesse - begangen worden waren.

Araukanien erzählt zugleich die Geschichte der Entrechtung und Vertreibung indigener Völker, die bis heute um ihren Lebensraum kämpfen. In dieser Region Chiles herrscht seit langem ein Konflikt um die Landrechte der eingeborenen Mapuche, von denen einzelne radikale Vertreter immer wieder mit Brandanschlägen für Aufsehen sorgen - auch auf kirchliche Einrichtungen. Aus diesem Grund wurden für die Papstmesse in Temuco strengste Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Noch während des Papstbesuches im Land kam es zu wiederholten Anschlägen, die radikalen Mapuche zugerechnet werden – ein Teil der Ureinwohner wirft der katholischen Kirche vor, an den Repressalien gegen ihr Volk beteiligt zu sein.

„Gewalt verwandelt die gerechteste Sache zur Lüge“

In seiner Predigt ging der Papst von Jesu Bitte an den Vater „Alle sollen eins sein“ aus dem Johannesevangelium (Jh 17,21) aus. Jesus habe verstanden, dass „eine der schlimmsten Bedrohungen“ für die Menschheit „Spaltung“, „Konfrontation“ und „gegenseitige Unterdrückung“ seien. So rief der argentinische Papst bei seiner „Messe für die Entwicklung der Völker“ in Temuco auch zur Eintracht der verschiedenen Volksgruppen Chiles auf und erteilte allen Formen von Gewalt eine klare Absage. Franziskus bediente sich dabei eines Vokabulars, das einerseits Anspielungen auf die chilenische Landschaft enthielt und sich andererseits auf die jüngsten Brandanschläge radikaler Gruppen in Chile beziehen lässt. Explizit ging der Papst auf die Attentate jedoch nicht ein.

„Die Gewalt ruft nach Gewalt, die Zerstörung erhöht vermehrt Brüche und Trennungen. Die Gewalt verwandelt die gerechteste Sache zur Lüge. Deshalb sagen wir ,Nein zur zerstörerischen Gewalt‘, in all ihren Formen. Diese Haltungen sind wie Lava aus einem Vulkan, die alles vernichtet, alles niederbrennt und nur Kargheit und Verwüstung hinter sich lässt. Suchen wir dagegen, und werden wir nicht müde, ihn zu suchen, den Dialog für die Einheit. Deswegen sagen wir kraftvoll: Herr, mache uns zu Gestaltern der Einheit.“

„Mit dem Ellbogen das ausradieren, was mit der Hand geschrieben wurde?“

Ebenso wie Gewalt der Versöhnung im Wege stehe, könnten auch „schöne Vereinbarungen“, die letztlich nicht eingehalten würden, schwerlich zur Vertrauensbildung beitragen, teilte Franziskus weiter aus. Dies dürfte ein Seitenhieb auf Chiles Indigenen-Politik gewesen sein, die bis heute keine echte Wiedergutmachung für geschehenden Unrecht  vorsieht, geschweige denn eine Rückgabe enteigneter Ländereien. Dazu Franziskus: „Nette Worte, detaillierte Pläne – so notwendig sie sind – können, wenn sie nicht konkret werden, darin enden ,mit dem Ellenbogen das auszuradieren, was mit der Hand geschrieben wurde‘. Auch dies ist Gewalt, weil es die Hoffnung zunichtemacht.“

Franziskus rief dazu auf, die kulturelle Vielfalt Chiles zu bewahren und alle Volksgruppen zu respektieren. Einheit dürfe nicht mit Einförmigkeit verwechselt werden, sie könne nicht daraus entstehen, „Unterschiede zu neutralisieren oder verstummen zu lassen“, warnte der Papst vor der Unterdrückung von Traditionen und Lebensweisen, die nicht dem Mainstream entsprechen: „Die Einheit ist nicht ein Trugbild erzwungener Integration oder angleichender Ausgrenzung. Der Reichtum eines Landes entsteht gerade daraus, dass jeder Teil sich entschließt, sein Wissen mit dem andern zu teilen. Einheit ist und wird nicht eine erstickende Einförmigkeit sein, die für gewöhnlich aus der Vorherrschaft und der Macht des Stärkeren hervorgeht und auch nicht eine Trennung, die die anderen als gut anerkennt.“

„Denkweise, dass es höhere und niedere Kulturen gibt, muss abgelegt werden“

Die „Denkweise, dass es höhere und niedere Kulturen gibt“, müsse abgelegt werden, wandte sich der Papst an alle Bewohner des Andenlandes. Wenn man Einheit schaffen wolle, müsse man zuhören und den Anderen in seiner Andersartigkeit anerkennen, unterstrich der Papst. Diese Einheit, diese Solidarität zu schaffen sei keine Kopfgeburt, „die bloß am Schreibtisch oder nur mit Schriftstücken ausgeübt wird“, sondern ein kunstvolles Handwerk. Franziskus zog ein Beispiel aus der für Chile typischen Webkunst heran: „Für einen schönen ,Chamal‘ sind Weber nötig, die die Kunst verstehen, die verschiedenen Materialien und Farben passend zusammenzufügen; die es verstehen, jeder Sache und jeder Etappe Zeit zu geben. Diesen Prozess kann man auf industriellem Weg nachahmen, aber wir alle erkennen ein maschinell hergestelltes Kleidungsstück.“

Eine solche Einheit aus „versöhnter Verschiedenheit“ sei resistent und ein Gegenmittel gegen Entwicklungen, die Hoffnungslosigkeit verbreiteten, betonte der Papst. Einen Begriff der Mapuche, des „Volkes der Erde“, aufgreifend, schlug Papst Franziskus dann abschließend die Brücke:

„Küme Mongen - gutes Leben“

„Wir alle, die wir auf gewisse Weise Volk dieser Erde sind (Gen 2,7), sind zum ,guten Leben´, ,Küme Mongen´, gerufen, wie uns die Ahnenweisheit des Volkes der Mapuche lehrt. Wie viel Wegstrecke ist noch zu gehen, wie viel haben wir noch zu lernen! Küme Mongen, dieses ,gute Leben´, eine tiefe Sehnsucht, die sich nicht nur aus unseren Herzen erhebt, sondern die wie ein Ruf, wie ein Gesang in der ganzen Schöpfung erschallt. Deshalb, Brüder, sagen wir für die Kinder dieser Erde, für die Kinder ihrer Kinder mit Jesus zum Vater: Auf dass auch wir eins seien; Herr, mache uns zu Gestaltern der Einheit.“

Hier das Audio zum Nachhören
Das Video - Die Messe und die Highlights des Tages

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17. Januar 2018, 14:58