Suche

Senfkörner Senfkörner 

Unser Sonntag: Glauben wie ein Senfkorn

Prof. Dr. Ludger Schwienhorst Schönberger erläutert in dieser ersten Betrachtung verschiedene Formen des Glaubens. Und: Jesus macht seinen Jüngern klar, dass sie noch gar keinen Glauben haben.

Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger

Lk 17,5-10 Lesejahr C

Jesu Blick auf die Kirche ist durch und durch realistisch. „Er sagte zu seinen Jüngern: Es ist unvermeidlich, dass Ärgernisse kommen. Aber wehe dem, durch den sie kommen. Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er für einen von diesen Kleinen zum Ärgernis wird“ (Lk 17,1f).

Hier zum Nachhören

Ein drastisches Wort Jesu. Wer mag angesichts der Skandale in der Kirche in den letzten Jahren nicht ähnlich gedacht haben wie er: „Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er für einen von diesen Kleinen zum Ärgernis wird.“
Ärgernisse gibt es mehr als genug in der Kirche. Der griechische Text verwendet das Wort skandalon. In der Tat, die Kirche wird von Skandalen erschüttert. Viele werden daran irre und verlassen das Schiff. Angesichts der unvermeidlichen Skandale richten die Apostel eine Bitte an den Herrn: „Stärke unseren Glauben!“ Die Antwort Jesu irritiert. Sie deckt eine Illusion auf. Die Apostel sind offensichtlich der Ansicht, sie hätten bereits Glauben und dieser Glaube müsse vermehrt, müsse gestärkt werden.

„Die Antwort Jesu gibt ihnen zu verstehen, dass sie noch gar keinen Glauben haben“

Die Antwort Jesu gibt ihnen zu verstehen, dass sie noch gar keinen Glauben haben: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanze dich ins Meer! Und er würde euch gehorchen.“
Immer wieder begegnen uns in der Bibel Aussagen, die absurd erscheinen. Auf der Ebene des uns vertrauten Wissens sind sie nicht zu verstehen. Ihre Funktion besteht darin, unser Weltwissen zu durchbrechen und uns auf eine andere Ebene des Bewusstseins zu führen. Erst wenn uns ein solcher Durchbruch zuteil wird, haben wir – wie der Apostel Paulus sagt – den Geist Christi. Was Jesus uns sagt, kommt von Gott. „Ich habe nicht von mir aus gesprochen, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir aufgetragen, was ich sagen und reden soll“, sagt Jesus im Johannesevangelium (Joh 12,49). Der Geist Christi ist kein anderer als der Geist Gottes.

Die Provokation Jesu

Doch „der irdisch gesinnte Mensch“, so sagt der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther, „erfasst nicht, was vom Geist Gottes kommt“ (1 Kor 2,14). Um die irdische Gesinnung zu durchbrechen, bedient sich Jesus immer wieder der Provokation. Er will seine Jünger und uns heraus–rufen (pro-vocare) aus dem Geist dieser Welt und uns in den Geist Gottes hineinführen. Erst wenn dieser Durchbruch gelungen ist, können wir mit dem Apostel Paulus sagen: „Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der uns von Gott geschenkt worden ist“ (1 Kor 2,12).
Worin besteht nun die Provokation in der Antwort Jesu an die Jünger? Zunächst einmal darin, dass er die Annahme, die ihrer Bitte zugrunde liegt, als falsch zurückweist. Die Jünger meinen, sie hätten bereits Glauben und dieser Glaube müsse angesichts der zu erwartenden Skandale vermehrt werden. Doch sie täuschen sich. Ihre Bitte beruht auf einer falschen Annahme: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“ Die Apostel, so gibt Jesus zu verstehen, haben noch gar keinen Glauben. Das Senfkorn ist das kleinste von allen Samenkörnern, so lesen wir im Evangelium (Mk 4,31). Nicht einmal einen solchen Glauben haben die Apostel.

Zwei Formen des Glaubens

Diese Aussage lässt uns einigermaßen ratlos zurück. Die Jünger sind doch schon eine ganze Zeit mit Jesus unterwegs. Sie haben beeindruckende Taten und Worte des Meisters gesehen und gehört und sich entschlossen, mit ihm nach Jerusalem hinaufzuziehen. Und am Ende der der vorletzten Etappe dieses Weges gibt ihnen Jesus zu verstehen, dass sie im Grunde noch gar keinen Glauben haben? Was soll damit gemeint sein? Offensichtlich gibt es zwei Formen des Glaubens. Es gibt einen Glauben, der sich durch äußere Erfahrung allmählich aufbaut. Ein solcher Glaube kann durch äußere Ereignisse stärker oder schwächer werden. Durch Worte und Taten Jesu kann ein solcher Glaube entstehen und weiter wachsen. Das scheint auch bei den Jüngern der Fall gewesen zu sein und auch bei vielen, die Jesus gehört und erlebt haben.

„Doch dieser Glaube, der durch die körperlichen Sinne aufgebaut und genährt wird, hat keinen Bestand, wenn die ganz große Krise kommt“

Doch dieser Glaube, der durch die körperlichen Sinne aufgebaut und genährt wird, hat keinen Bestand, wenn die ganz große Krise kommt. Wenn in der Mitte des Gottesvolkes die Skandale ausbrechen, bei denen uns Hören und Sehen vergeht. Auf diese Krise will Jesus seine Jünger auf seinem Weg nach Jerusalem vorbereiten: „Es ist unvermeidlich, dass Skandale kommen werden. Aber wehe dem, durch den sie kommen!“
Diese unerträglichen Skandale können mit einem Glauben, der sich noch auf das Sichtbare gründet, nicht mehr ertragen werden. Von daher nimmt es nicht Wunder, dass die Jünger – so erzählt es uns das Markusevangelium (Mk 14,50) – bei der Kreuzigung Jesu die Flucht ergreifen. Das Unerträgliche zu ertragen, dazu fehlte ihnen noch der Glaube – ein Glaube, der nicht von dieser Welt ist.

Glaube, der die Weisheit dieser Welt durchbricht

Erst ein solcher Glaube, der die Weisheit dieser Welt durchbricht, kann Berge versetzen und tief in der Erde verwurzelte Maulbeerbäume verpflanzen. Erst in der Begegnung mit dem Auferstandenen wird den Jüngern ein solcher Glaube zuteil.
Dieser Glaube, der nicht mehr in unseren körperlichen, sondern in unseren geistigen Sinnen verwurzelt ist, kann das Unerträgliche ertragen. Und zugleich findet er die Kraft, den Skandalen unter den „Brüdern und Schwestern“ in angemessener Form entgegenzutreten. Ein solcher Glaube besitzt eine realistische Sicht vom Menschen, er ist wachsam und trifft Vorsorge.

...aus der Tiefe des Bewusstseins

Deshalb die Mahnung Jesu: „Seht euch vor!“ Der Sünder soll nicht mit einer falsch verstandenen Barmherzigkeit davonkommen, sondern er soll zurechtgewiesen werden; diese offene Ermahnung schließt eine angemessene Bestrafung mit ein. Erst wenn er von Herzen umkehrt, soll ihm vergeben werden. „Wenn dein Bruder sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er umkehrt, vergib ihm! Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will umkehren!, so sollst du ihm vergeben“ (Lk 17,4).
Mit diesen und weiteren Aufgaben betraut Jesus die Apostel, die er berufen hat. Ihrer Aufgabe können sie nur nachkommen, wenn sie einen Glauben haben, der nicht vom Hörensagen her kommt, sondern der in einer Tiefe ihres Bewusstseins und ihres Herzens verankert ist, die aus dem Geist Gottes genährt wird. Wenn sie aus einem solchen Glauben in der Gemeinschaft der Gläubigen leben und handeln, dann tun sie nichts Besonderes, sondern etwas ganz und gar Selbstverständliches: „So soll es bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan“ (Lk 17,10).

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

01. Oktober 2022, 11:00