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D: „Christentum als gescheitertes Projekt“

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk hält das Christentum für ein „gescheitertes Projekt“. Das sagte er jetzt in einem Interview mit der „Rheinischen Post“. „Was verloren ging, wird in säkularen Formen ersetzt, teils besser, teils weniger gut.“

Allerdings enthalte das Konzept Kirche „eine der wenigen Ideen, die auch für die Philosophie von elementarer Bedeutung bleiben“, so Sloterdijk in dem Gespräch, das an diesem Freitag publiziert wurde. „Es bezeichnet eine Assoziation von Menschen, die nicht aufgrund ihrer Herkunft zusammenhalten, sondern weil sie ein gemeinsames Wahrheitserlebnis haben oder suchen.“

„Austreten aus allen familialen, tribalen, nationalen Besessenheiten“

„...die nationaldämonischen Para-Christentümer haben es überall auf der Welt unterwandert.“

Radikal verstanden, meine Zugehörigkeit zu einer Kirche „das Austreten aus allen familialen, tribalen, nationalen Besessenheiten und den Eintritt in eine pneumatische Kommune, in die Meta-Nation der Getauften“. Sloterdijk fuhr fort: „In dieser Hinsicht ist das Christentum ein gescheitertes Projekt, die nationaldämonischen Para-Christentümer haben es überall auf der Welt unterwandert.“ Nicht nur in zwei Weltkriegen hätten „europäische Christen aufeinander geschossen“, auch in der Ukraine biete sich derzeit dasselbe Bild.

„Bedeutungsverlust als Institution“

Sloterdijk attestiert der Kirche einen „Bedeutungsverlust als Institution“, der mit einer „profanen Erfolgsgeschichte ihrer ethischen Motive“ einhergehe. „Vor allem das Hauptmotiv Nächstenliebe ist in weltliche Institutionen übersetzt worden, in denen sie anonym äußerst erfolgreich sind“, sagte er mit einem Verweis auf den Sozialstaat.

„Die Kontrolle über den Content verloren“

„Aber der Bedeutungsverlust macht nicht Halt bei der säkularen Ersetzung vormals kirchlicher Funktionen. Was man Kirche nannte, war ja nicht bloß ein Ensemble von Personen mit gruppennarzisstischen Lizenzen und karitativen Aufgaben. Sie war auch immer so etwas wie ein großes Medienunternehmen, ein Hyper-Facebook, bei dem Netzwerk und Content in einer Hand lagen“, so Sloterdijk. „Spätestens seit der Reformation hat die katholische Kirche die Kontrolle über den Content verloren, sie musste allmählich vom hohen Ross des Monopolisten herabsteigen. Das unvermeidbare Bescheidenwerden verkörpert sich aktuell in der Figur des Papstes.“

Sloterdijk war bis 2015 Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Sein Buch „Kritik der zynischen Vernunft“ von 1983 zählt zu den meistverkauften philosophischen Büchern des 20. Jahrhunderts.

(rheinische post – sk)
 

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03. Juni 2022, 12:30