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Das neue Gebot Das neue Gebot 

Unser Sonntag: Liebt einander!

In diesem Kommentar zum Evangelium geht Pia Sommer der Frage nach, wieso Jesus den Jüngern gerade zu diesem Zeitpunkt und nicht früher ein neues Gebot gibt. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, die Jünger bei der Einübung zu unterstützen und notfalls auch zu korrigieren? Letztendlich geht es um einen Verwandlungsprozess - in uns.

Dr. Pia Sommer, Eichstätt

5. Ostersonntag


Joh 13, 31–33A.34–35 C

Wenn wir an ein letztes Vermächtnis, an ein Erbe Jesu denken, dann fällt uns vielleicht Verschiedenes ein. Materielle Dinge sind es sicherlich nicht. In erster Linie denken wir wohl an seine Mutter, die Jesus uns noch vom Kreuz herab zur Mutter geschenkt hat.

Hier zum Nachhören

Sicherlich fallen uns auch die Geschenke der Eucharistie und des Priestertums ein, die er uns beim letzten Abendmahl hinterlassen hat. Viel weniger scheint uns bewusst zu sein, dass Jesus uns an diesem letzten Abend auch ein neues Gebot hinterlassen hat, durch das seine Jünger erkennbar sein sollen.
Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wieso Jesus seinen Jüngern gerade zu diesem Zeitpunkt und nicht früher ein neues Gebot gibt. Wenn es sich um eine entscheidende neue Lehre handelt, wieso gibt er das neue Gebot erst kurz bevor er die Welt verlässt? Wäre es nicht sinnvoll, die Jünger bei der Einübung in das neue Gebot zu unterstützen und notfalls auch zu korrigieren?

HIer die Betrachtung auch im Video

Was ist denn nun das Neue an dem Gebot?

Und worin besteht eigentlich das Neue an dem neuen Gebot? Das Gebot der Liebe war ja schon im Alten Testament bekannt und zwar nicht nur die Gottesliebe, wie wir sie im Buch Deuteronomium finden (Dtn 6,5), sondern auch das Gebot der Nächstenliebe. In Levitikus 19,18 lesen wir: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Und auch wenn im AT mit dem Nächsten vor allem die Angehörigen desselben Volkes und desselben Glaubens gemeint waren, so hatte Jesus bereits in der Berg- bzw. Feldpredigt während seines öffentlichen Wirkens dieses Gesetz der Nächstenliebe auf alle Menschen, ja selbst auf die Feinde ausgeweitet. Was ist nun das Neue an dem neuen Gebot, das wir heute hören? Das ist eine wichtige und entscheidende Frage.

„Es ist die Stunde, für die Jesus Mensch geworden ist, die Jesus so lange ersehnt hat.“

Aufschluss darüber kann uns der Kontext des heutigen Evangeliums geben: Jesus lehrt seinen Jüngern das neue Gebot direkt nach der Fußwaschung, nach dem letzten Abendmahl, „als Judas hinausgegangen war“, wie es im ersten Vers unseres Evangeliums heißt. Jetzt ist seine Stunde da, von der das Johannesevangelium so oft spricht. Es ist die Stunde, für die Jesus Mensch geworden ist, die Jesus so lange ersehnt hat. Beim letzten Abendmahl gibt Jesus sich vor seinem Leiden mit Leib und Blut aus freiem Entschluss aus Liebe zu den Menschen hin.

Papst Benedikt XVI. hat dieses Geschehen bei seiner Predigt zum Weltjugendtag 2005 in Köln wunderbar folgendermaßen zusammengefasst: „Indem [Jesus] Brot zu seinem Leib und Wein zu seinem Blut macht und austeilt, nimmt er seinen Tod vorweg, nimmt er ihn von innen her an und verwandelt ihn in eine Tat der Liebe. Was von außen her brutale Gewalt ist – die Kreuzigung –, wird von innen her ein Akt der Liebe, die sich selber schenkt, ganz und gar. […] Dies nun ist der zentrale Verwandlungsakt, der allein wirklich die Welt erneuern kann: Gewalt wird in Liebe umgewandelt und so Tod in Leben. Weil er den Tod in Liebe umformt, darum ist der Tod als solcher schon von innen her überwunden und Auferstehung schon in ihm da. Der Tod ist gleichsam von innen verwundet und kann nicht mehr das letzte Wort sein. Das ist sozusagen die Kernspaltung im Innersten des Seins – der Sieg der Liebe über den Hass, der Sieg der Liebe über den Tod. Nur von dieser innersten Explosion des Guten her, die das Böse überwindet, kann dann die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt. “ Soweit Papst Benedikt.

Das Offenbarwerden der abgrundtiefen Liebe Gottes

Nachdem Jesus im letzten Abendmahl sich selbst hingegeben hat und diesen Verwandlungsprozess von Brot und Wein in Leib und Blut, von Hass in Liebe, in Gang gesetzt hat, ist seine Verherrlichung und die Verherrlichung des Vaters angebrochen, so dass Jesus, wie wir heute hören, ausrufen kann: „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen und er wird ihn bald verherrlichen.“ (V. 31f.) Und diese Verherrlichung Gottes geschieht durch die Erhöhung Christi am Kreuz und in der Auferstehung. Die Verherrlichung Gottes geschieht durch die Erlösung des Menschen und das Offenbarwerden der abgrundtiefen Liebe Gottes, die Hass in Liebe und Tod in Leben verwandeln kann. Die Verherrlichung Gottes geschieht durch eine Liebe, die so groß ist, dass sie diese Liebe sogar armseligen und sündigen Geschöpfen wie uns Menschen erweist und sich von dieser Liebe nicht einmal durch Kreuz und Tod abbringen lässt. Das ist also die Stunde Jesu.

Wir sollen den Nächsten wie Jesus, wie Gott lieben

In diesem Zusammenhang, nach seiner Selbsthingabe beim letzten Abendmahl, gibt Jesus seinen Jüngern nun das neue Gebot: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. (V. 34). Wenn man genau hinschaut, verlangt Jesus in dem neuen Gesetz etwas Ungeheuerliches: Es reicht nicht mehr, den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Wir sollen den Nächsten wie Jesus, wie Gott lieben, der nicht nur bei der Fußwaschung den niedrigsten Sklavendienst für seine Jünger verrichtet hat, sondern auch sein Leben für uns gibt. Besteht das Neue des neuen Gebots nun in einer erhöhten ethischen Anforderung. In einer neuen Leistungsstufe für die, die noch über die zehn Gebote hinaus vollkommener sein wollen?

„Ist das nicht eine heillose Überforderung? Gewöhnlich reicht ein kleiner Blick in unseren Alltag, um zu sehen, dass wir diesem Anspruch nicht gerecht werden“

Es gibt Menschen, die wir nicht leiden können, die wir als lästig oder nervig empfinden. Da schaffen wir es nicht einmal, diese Nächsten wie uns selbst zu lieben – wie viel weniger dann, sie so zu lieben, wie Jesus uns geliebt hat! Wie kann dieses neue Gebot der Liebe zu verstehen sein?
Wer im neuen Gesetz lediglich eine erhöhte und radikalere ethische Anforderung erblickt, hat das Entscheidende des neuen Gebotes nicht erkannt. In diesem Zusammenhang kann es zunächst hilfreich sein, das alte und das neue Gesetz einander gegenüberzustellen, wie es einige Kirchenväter und -lehrer gemacht haben.

Das Gesetz des Alten Bundes

Das Gesetz des Alten Bundes wird als ein weises Gesetz charakterisiert, das durch den Finger Gottes selber auf Steintafeln geschrieben worden ist, wie wir im Buch Exodus lesen können (vgl. Ex 31,18). Es ist wahrhaft ein göttliches Gesetz, doch für die schwachen Menschen oft nicht erfüllbar. Aus diesem Grund wurde das alte Gesetz durch die vielen Übertretungen für den Menschen zu einem Gesetz der Furcht, des ständigen Versagens, des nicht erfüllten Anspruchs. Anders ist es nun mit dem neuen Gesetz, das uns Jesus gibt, und das auch Gesetz der Gnade genannt wird. Thomas von Aquin sieht die Neuheit dieses Gesetzes darin, dass das neue Gesetz nicht nur neue Vorschriften enthält – und sogar viel radikalere als bisher - sondern dass es in erster Linie Gnade und Kraft schenkt, diese Vorschriften zu erfüllen.

„Das neue Gesetz wird nicht mehr auf Steintafeln geschrieben, sondern durch den Finger Gottes, den Heiligen Geist, in die menschlichen Herzen“

Das neue Gesetz selbst ist Gnade, es fordert nicht nur die Erfüllung, wie das Gesetz des alten Bundes, sondern es bewirkt die Erfüllung. Das neue Gesetz wird nicht mehr auf Steintafeln geschrieben, sondern durch den Finger Gottes, den Heiligen Geist, in die menschlichen Herzen, und zwar nicht nur als ein Gesetz, sondern als göttliche Liebe, die Freude verspürt, das neue Gesetz zu erfüllen. In dieselbe Richtung weist uns auch die Betrachtung des neuen Gesetzes im griechischen Urtext. Hier fällt ins Auge, dass Jesus bei der Formulierung des neuen Gebots nicht den griechischen Begriff für das menschliche Lieben verwendet, obwohl es sich ja auf Menschen bezieht, die einander lieben sollen. Jesus verwendet das griechische Wort für das göttliche Lieben. Diese Art von Liebe, die Jesus fordert, ist dem Menschen aus sich heraus also gar nicht möglich. Der Mensch kann nur Menschliches hervorbringen. Göttliche Liebe muss ihm geschenkt werden. Und genau dies ist mit dem Begriff der göttlichen Tugenden gemeint, unter denen wir Glaube, Hoffnung und Liebe verstehen. Sie werden göttliche oder theologische Tugenden genannt, weil der Mensch aus sich selbst heraus sie nicht „hervorbringen“ oder „machen“ kann. Göttliche Tugenden werden dem Menschen geschenkt, wenn er offen für sie ist.

Mit der Stunde Jesu hat die Erlösung begonnen

Wenn Jesus seinen Jüngern das neue Gesetz also erst nach seiner Hingabe im letzten Abendmahl gibt, dann aus dem Grund, dass nun, mit der Stunde Jesu, die Erlösung begonnen hat. Die Frucht der Erlösung aber ist für uns Menschen das Geschenk des Heiligen Geistes, in dessen Kraft und Liebe wir das neue Gebot erfüllen können. Mit der Liebe, die der Heilige Geist selbst ist, können wir den Nächsten lieben, wie Jesus ihn geliebt hat, weil Gott den Nächsten in mir liebt.
Das ist also das Geheimnis des neuen Gebotes: Es geht nicht darum, höhere ethische Anforderungen erfüllen zu müssen, sondern es geht darum, sich die göttliche Liebe schenken zu lassen und dieser Liebe nichts entgegenzustellen. Ein bekanntes Beispiel für diese Nächstenliebe, wie sie Jesus fordert, ist die junge Karmelitin Therese von Lisieux, die viele von Ihnen sicherlich kennen. Sie schreibt bei der Betrachtung des neuen Gebotes Folgendes:

Therese von Lisieux

„Herr, ich weiß, dass du nichts Unmögliches befiehlst, du kennst meine Schwachheit und meine Unvollkommenheit besser als ich, du weißt, dass ich meine Schwestern niemals so lieben könnte, wie du sie liebst, wenn nicht du selbst, oh mein Jesus, sie auch noch in mir liebtest. Weil du bereit warst, mir diese Gnade zu gewähren, hast du ein neues Gebot erlassen. (…) Ja, ich fühle es, wenn ich Liebe erweise, so handelt einzig Jesus in mir; je mehr ich mit ihm vereint bin, desto inniger liebe ich alle meine Schwestern.“

Auf diesem Hintergrund ist es auch verständlich, dass diese Art der Liebe, die für Menschen allein nicht möglich ist, zu einem Unterscheidungsmerkmal für die Jünger und zum Zeugnis für die Welt werden kann. „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (V. 35)

Und so sind auch wir angehalten, uns immer mehr von dieser göttlichen Liebe, dem Heiligen Geist, erfüllen zu lassen, damit wir durch unsere Liebe zu unseren Nächsten nicht nur zum Zeugnis für die Welt werden, sondern auch dazu beitragen, dass der von Jesus angestoßene Verwandlungsprozess der Welt, der Wandlung von Hass zu Liebe immer mehr um sich greifen kann. Und das geschieht zuerst in uns selbst.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)

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14. Mai 2022, 10:44