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Franziskus 2019 mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. Franziskus 2019 mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. 

„Konstantinopel bleibt Haupt-Ansprechpartner“

Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel bleibt aus Sicht des Salzburger Ostkirchenexperten Dietmar Winkler für die katholische Kirche der erste Ansprechpartner für die Gesamt-Orthodoxie.

Dessen Position gehöre gestärkt, wenn Rom mit der Orthodoxie im ökumenischen Dialog vorankommen wolle, sagte Winkler in einem Online-Vortrag. Der Dialog mit dem Moskauer Patriarchat müsse zwar aufrecht erhalten bleiben, „aber mit dem rechten Augenmaß und keinesfalls um jeden Preis“, fügte er hinzu.

Die Begegnung von Papst Franziskus mit Patriarch Kyrill 2016 auf Kuba werde letztlich bis heute von der russischen Kirche instrumentalisiert. Vor einem weiteren Treffen mit Kyrill müsste der Papst nach Auffassung Winklers zunächst nach Kiew reisen oder sich in anderer angemessener Weise der Ukraine zuwenden. Ein Besuch in der Ukraine wäre auch kirchlich angebracht, sei doch die griechisch-katholische Kirche der Ukraine die zahlenmäßig größte der 21 katholischen Ostkirchen, so der Theologe.

Die Sophienkathedrale in Kiew
Die Sophienkathedrale in Kiew

„Ein Papstbesuch in der Ukraine wäre auch kirchlich angebracht“

Auch die Zusammenarbeit zwischen dem ukrainischen orthodoxen Metropoliten Epiphanius und Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk funktioniere gut. „Danach müsste sich Papst Franziskus zuerst mit dem Ökumenischen Patriarchen verständigen und austauschen, bevor es überhaupt zu einem weiteren persönlichen Treffen mit Kyrill kommen kann“, so Winkler. Einiges spreche auch für den Vorschlag eines gemeinsamen Besuchs von Franziskus und Patriarch Bartholomaios in Kiew als besonderes Zeichen.

Sehr deutlich kritisierte Winkler das Verhalten und den Expansionskurs der russisch-orthodoxen Kirche. Dass das Moskauer Patriarchat seinen Anspruch weit über die eigenen Grenzen erhebe, zeige sich nicht nur mit Blick auf die Ukraine, sondern ebenso im Baltikum oder zuletzt die Errichtung diözesaner Strukturen in Afrika auf dem kanonischen Territorium des orthodoxen Patriarchats von Alexandria. Auf lange Sicht schwäche das Verhalten Kyrills die russische Orthodoxie, meinte Winkler.

Patriarch Kyrill I.
Patriarch Kyrill I.

„Russisch-orthodoxe Diaspora geht auf Distanz zu Moskau“

Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats werde in den aktuellen Kriegshandlungen von ihrem Kirchenoberhaupt in Moskau im Stich gelassen. Auch in der Diaspora wendeten sich russisch-orthodoxe Gläubige und Pfarreien von ihrem Patriarchen ab. Ein Zeugnis des zweifellos reichen Schatzes russischer spiritueller und kirchlicher Tradition in und für die Welt sei so verloren gegangen.

Das Verhalten der russischen Kirche stehe auch im Kontrast zu jenem Konstantinopels, das im zweiten Jahrtausend der Kirchengeschichte immer wieder einzelnen orthodoxen Landeskirchen die Autokephalie gewährt habe - im 16. Jahrhundert auch dem Moskauer Patriarchat. Das Ökumenische Patriarchat habe sich damit de facto selbst verkleinert und - nach weltlichen Maßstäben - Macht abgegeben, zugleich aber Verantwortung für die Gesamtorthodoxie übernommen.

Moskau
Moskau

Instrumentalisierter Geschichtsmythos

Sehr kritisch ging Winkler mit der sakralen Idee der Kiewer Rus und der damit verbundenen kirchlichen Einheit von Weißrussland, Russland und Ukraine ins Gericht. Dieser mythologische Hintergrund werde seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Niederlage Russlands im Kalten Krieg mit dem politisch ideologischen Modell der „Russischen Welt“ (Russkij Mir) vermengt, das auf die Wiedervereinigung des historischen imperialen Russlands abzielt. „Der Geschichtsmythos wird von russischer Geopolitik instrumentalisiert und realpolitisch umgesetzt“, warnte Winkler.

„Kirchliche und politische Narrative stützen sich gegenseitig“

In der russischen Öffentlichkeit würden kirchliche und politische Narrative entwickelt, die sich wechselseitig unterstützen. Ein politisches Narrativ Putins sei jenes der Schwäche demokratischer Gesellschaften, die keine starken Führer haben. Dies ziele vor allem auf den „liberalen Westen“, der als schwach angesehen wird. Das betreffe etwa schwierige demokratische Entscheidungsfindungsprozesse oder gesellschaftliche Tendenzen gegen traditionelle Lebensformen. Der russische Staat wie auch die Kirche würden hier in konservativen Kreisen tief sitzende Homophobien bedienen.

Dieses politische Narrativ werde von einem kirchlichen Narrativ begleitet und unterstützt, das sich spätestens seit 2011 deutlich abgezeichnet habe. Moskau erkenne nicht, so der Ostkirchenexperte weiter, dass es sich bei den Werten des „liberalen Westens“ letztlich um Werte handle, die aus dem Christentum geboren wurden: die Unantastbarkeit der Menschenwürde des Einzelnen, Freiheit, Demokratie und Mitbestimmung oder generell die Menschenrechte.

(kap – sk)
 

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12. April 2022, 12:39