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Unser Sonntag: Simon Petrus – der butterweiche Fels

An diesem Fastensonntag fragt Bischof Bertram: Wer war dieser Mann, der im Leben, aber sehr viel mehr noch nach seinem Tod eine Wirkung entfaltete, die ihm nicht an der Wiege gesungen worden war? Ein gewöhnlicher Fischer zu Beginn seines Eintritts in die Weltgeschichte, von seinem Bruder Andreas zu Jesus geführt (vgl. Joh 1,42), ein Gefolgsmann der ersten Stunde.

Bischof Bertram Meier

4. Fastensonntag 2022 

Im Jahr 63 vor Christus erlebt Rom einen Skandal. Im Zentrum des Imperium Romanum läuft ein Prozess, der die Weltstadt in Atem hält. Der prominente Senator und Bankier Gaius Rabirius ist des Hochverrats angeklagt. Er soll für die Karthager spioniert haben. Darauf steht die Todesstrafe. Unter bestimmten Bedingungen kann einem Hochverräter eine Sklavenstrafe drohen, die ansonsten für Römer verboten ist.

Hier zum Nachhören

Er kann ausgepeitscht und gekreuzigt werden. Rabirius ist reich. Er hat die beiden derzeit berühmtesten Anwälte für sich engagiert: Hortensius und Cicero. Im Plädoyer des Cicero findet sich mit Bezug auf die drohende Strafe der Kreuzigung eine höchst bemerkenswerte Stelle. Übersetzt lautet sie folgendermaßen: „Wenn schon eine Todesstrafe in Erwägung gezogen wird, so wollen wir in Freiheit sterben. Ein Henker jedoch, ein Verhüllen des Hauptes und allein schon das Wort ‚Kreuz’ sei nicht nur verbannt von Leib und Leben römischer Bürger, sondern sei sogar fern ihrem Denken, ihren Augen, ihren Ohren.“

„„Allein schon das Wort ‚Kreuz’“ sollte aus dem Vorstellungsbereich der Römer, aus ihren Augen und Ohren verbannt werden.“

„Allein schon das Wort ‚Kreuz’“ sollte aus dem Vorstellungsbereich der Römer, aus ihren Augen und Ohren verbannt werden. So fordert es Cicero. Lässt es sich deutlicher sagen, dass fortschrittliche und emanzipierte Weltbürger nicht einmal einen Gedanken an diesen unwürdigen Schandpfahl verschwenden wollten! Das geschah, wie gesagt, im Jahre 63 vor Christus.

Der galiläische Fischer

Im Jahre 64 nach Christus stirbt in eben derselben Hauptstadt des Römischen Reiches ein galiläischer Fischer einen besonders erbärmlichen Kreuzestod, nämlich mit dem Kopf nach unten, weil er sich der Überlieferung nach nicht für würdig hält, so zu sterben wie sein Meister: Simon Petrus.
Allein dies lässt aufhorchen: Wer war dieser Mann, der im Leben, aber sehr viel mehr noch nach seinem Tod eine Wirkung entfaltete, die ihm nicht an der Wiege gesungen worden war? Ein gewöhnlicher Fischer zu Beginn seines Eintritts in die Weltgeschichte, von seinem Bruder Andreas zu Jesus geführt (vgl. Joh 1,42), ein Gefolgsmann der ersten Stunde. Doch diese erste Stunde bekommt eine Perspektive, die sich verlängert, bis an das Gestade der Ewigkeit.

Der Petersdom: Triumphalismus in Stein

Seit über 500 Jahren erhebt sich über dem Grab des Mannes, der vom Fischer am See zum Menschenfischer bestimmt wurde, der Petersdom. In dessen Inneren ein Goldmosaik als Basisfries der gewaltigen Kuppel diese Ewigkeitsperspektive wachhält: Tu es Petrus. „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben“ (Mt 16, 18-19). Wir alle kennen diese Worte. Nehmen wir noch die Titel hinzu, die sich die Päpste im Laufe der Jahrhunderte gegeben haben (vgl. Annuario Pontificio, Päpstliches Jahrbuch), dann türmt sich auf dem Fundament des Petrus immer mehr auf - eine regelrechte Last, die einem einzigen Menschen aufgebürdet wird:

Titel des Papstes

Bischof von Rom, Stellvertreter Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Summus Pontifex, Patriarch des Abendlandes , Primas von Italien, Souverän des Vatikanstaates, Servus Servorum Dei – Diener der Diener Gottes. Titel, die nicht nur bezeichnen, was man sieht, sondern auch Glaubensaussagen - ja, man muss es zugeben - Zeichen eines triumphalen Machtbewusstseins sind.
War er also ein Übermensch, dieser Petrus? Von der Gloriole des Petersdomes aus betrachtet, in 2000 Jahre Papstgeschichte hinein verlängert, will es so scheinen.

Petrus am Kohlenfeuer: ein Versager?

Angesichts solcher Höhenflüge sieht ein Rückgriff auf den biblischen Petrus wie ein Absturz aus. Greifen wir zum Beispiel die hochdramatische Szene im Innenhof des hohepriesterlichen Palastes nach der Verhaftung Jesu heraus. Eine gespenstische nächtliche Szene. Dabei ist die Tageszeit kein Zufall. Denn kurz vorher hatte sich einer aus dem Zwölferkreis von der Feiergemeinde im Abendmahlsaal entfernt: Judas Iskariot. Der Evangelist Johannes bringt dies unzweideutig mit der Finsternis, in der das Böse Macht über den Menschen gewinnt, in Verbindung: „Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht“ (Joh 13,30).

„In diesen Teufelskreis ist nun auch Petrus hineingeraten, umzuckt vom Feuerschein im Innenhof des hohepriesterlichen Palastes.“

In diesen Teufelskreis ist nun auch Petrus hineingeraten, umzuckt vom Feuerschein im Innenhof des hohepriesterlichen Palastes. Dorthin war er dem verhafteten Jesus gefolgt, aber diese „Nachfolge“ geschieht nur „von fern“, wie Lukas schreibt (Lk 22,54). Die ursprüngliche, direkte, in aller Öffentlichkeit geschehene Nachfolge ist verkommen zu einem Hinterherschleichen auf Distanz. Was mag im Innern des Petrus vorgegangen sein? Scheinbar unverdächtig setzt er sich zu den wachenden Soldaten, den Haussklaven ans Feuer. Doch dann passiert es: „Eine Magd sah ihn am Feuer sitzen, schaute ihn genau an und sagte: Der war auch mit ihm zusammen. Petrus aber leugnete es und sagte: Frau, ich kenne ihn nicht. Kurz darauf sah ihn ein anderer und bemerkte:

„Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an“

Du gehörst auch zu ihnen. Petrus aber sagte: Nein, Mensch, ich nicht! Etwa eine Stunde später behauptete wieder einer: Wahrhaftig, der war auch mit ihm zusammen; er ist doch auch ein Galiläer. Petrus aber erwiderte: Mensch, ich weiß nicht, wovon du sprichst. Im gleichen Augenblick, noch während er redete, krähte ein Hahn. Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte: Eher heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich“ (Lk 22,56-62).
„Frau, ich kenne ihn nicht.“ - „Nein, Mensch, ich nicht.“ - „Mensch, ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ - „Im gleichen Augenblick krähte ein Hahn. Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an.“

Lieber ein Blitzschlag, als dieser Blick

Hand aufs Herz: Wäre Ihnen ein Blitzschlag aus heiterem Himmel in unmittelbarer Nähe nicht lieber als dieser Blick? Ein Blick – so durchdringend und entlarvend! Ein Blick – so hoheitsvoll und in die geheimsten Seelenspalten eindringend! Ein Blick, der das Herz zerreißt, der das gerade Gesagte überlaut in den Ohren gellen lässt, dieses „Frau, ich kenne ihn nicht“ und dieses „Mensch, ich weiß nicht, was du sagst“.
Der Verrat des Judas mündet im Verzweiflungstod. Der Verrat des Petrus in einer Flut bitterer Reuetränen, und diese Flut wird zur Strickleiter für eine neue, viel intensivere Beziehung zu dem eben noch Verleugneten.

Bittere Reue-Tränen

„Er ging hinaus und weinte bitterlich.“ Von keinem anderen Apostel wird solches berichtet. Dennoch: Die dreimalige Verleugnung seines Meisters bleibt wie eingebrannt auf seinem Seelengrund. Der Mensch kann sich nicht selbst von seiner Schuld befreien, er bedarf der Er-Lösung, der Vergebung durch den, der von sich sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Wer seine Schuld bereut, und mag sie noch so groß sein, dem wird eine zweite Chance gegeben, ja mehr noch: Gott glaubt an den sündigen Menschen! Der auferstandene Jesus überwältigt durch seine Güte, indem er Petrus fragt: „Liebst Du mich?“ und ihm dann den Auftrag gibt: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe“ (Joh 21,15-17).

Am See von Tiberias: Amtseinführung mit Schatten

Die dreimalige Frage nach seiner Liebe erinnert Petrus bewusst an diese, seine vielleicht dunkelste Stunde, sie ist für ihn in der Tat qualvoll genug. „Da wurde Petrus traurig“, lesen wir bei Johannes (Joh 21,17). Und dann bricht es aus diesem emotional veranlagten Mann hervor: „Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe.“ Was vordergründig wie eine Demütigung aussieht, steht in einem geheimen Zusammenhang mit der folgenden hohen Auszeichnung und geschieht nicht um ihrer selbst willen. Es ist die Pädagogik Jesu, die sich hierin ausdrückt. ER kennt seinen Petrus durch und durch. „Er wusste, was im Menschen ist“, berichtet Johannes an anderer Stelle. Und gerade deshalb vertraut er diesem Petrus, dem Felsenmann, der weich ist wie Butter. Gewiss, die Versuchbarkeit bleibt ein Leben lang, und daher ist Wachsamkeit angezeigt. An beides erinnert der Hahn auf unseren Kirchtürmen bis heute.

„Quo vadis, Domine?"

Nach späterer, legendarischer Überlieferung verlässt Petrus bei einer Christenverfolgung eilends die Stadt Rom. Da begegnet er auf der Via Appia in einer Vision Jesus und fragt ihn erstaunt: „Quo vadis, Domine?“ „Wohin gehst du, Herr?“ „Ich gehe nach Rom, um mich ein zweites Mal kreuzigen zu lassen“, soll der Herr ihm geantwortet haben. Und Petrus, wiederum beschämt, kehrt um, um sein Martyrium zu erleiden. An diese Szene erinnert bis heute die Quo-vadis-Kapelle am Rande der Via Appia Antica.
Das Sich-der-Verantwortung-Entziehen-Wollen, das ‚Kneifen‘ und Fliehen ist eine allgemein menschliche Regung und die Evangelien zeigen, dass sie zu den Haupteigenschaften des Petrus gehörte. Das ist der Schatten, der ihn durchs Leben begleitet. Denn sein späteres Verhalten ist längst vorbereitet in der Antwort, die Petrus auf die erste Leidensvoraussage Jesu gegeben hatte.

„Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf mit dir nicht geschehen!“

Da nahm er den Herrn beiseite und beschwor ihn: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf mit dir nicht geschehen!“ (Mt 16,22). Menschlich gesehen gut gemeint und auch verständlich. Doch die Reaktion Jesu fällt ungewöhnlich schroff, ja scharf aus: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16,23). – Derart mit dem Bösen in Verbindung gebracht, wird hier der, den Jesus kurz vorher wegen seines Messias-Bekenntnisses überschwänglich lobte: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Mt 16,17).

Seligpreisung und Satansschelte

Beides musste Petrus erfahren. „Hart im Raume stoßen sich die Dinge“, so möchte man mit Schillers Wallenstein feststellen. Das Ganze zeigt etwas von den Ambivalenzen, die sich in Petrus kreuzen.
Der leidensunverständige Petrus: Er schläft im Ölgarten; er schleicht nur von fern hinter Jesus her bei der Gefangennahme. Nur kein Risiko, wenn es brenzlig wird! Nicht er trägt Jesus den Kreuzesbalken nach, sondern sein Namensvetter Simon von Cyrene. Nicht Petrus steht unter dem Kreuz, sondern der Lieblingsjünger Johannes. - Das Geheimnis der Passion hat der ‚Apostelfürst‘ offensichtlich erst sehr spät begriffen. Vielleicht bedurfte es dazu auch der Geistausgießung an Pfingsten.

„Eines wird deutlich: Petrus ist nicht als Held geboren“

Eines wird deutlich: Petrus ist nicht als Held geboren. Über seinem Leben liegt mancher Schatten, Versagen, auch Sünde. Ganz ohne Frage! Aber, und das ist das erfrischend Nachahmenswerte, er kennt keine Selbstgerechtigkeit. Er plustert sich nicht auf und blufft nicht, sondern weiß um seine Schwäche, seine Anfälligkeit für das Böse. So bricht es nach dem reichen Fischfang, als er den Meister erkennt, in tiefer Zerknirschung aus ihm hervor: „Herr, geh weg von mir. Ich bin ein Sünder“ (Lk 5,8).
Petrus ist ein grundehrlicher Mensch. Und er hat das Herz auf dem rechten Fleck, so dass er bei aller Schwäche fähig ist, das Rechte zu erkennen und die Treue zu halten. Erinnert sei nur an die Brotrede Jesu in Kafarnaum. Sie führt dazu, dass ihn viele Menschen, die mit ihm gezogen waren, verlassen.

„Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Gnade und Schuld mischen sich bei Petrus.“

Da stellt Jesus die Frage in den Raum: „Wollt auch ihr weggehen?“. Da ist es Petrus, der sich zum Sprecher macht und im Namen der Zwölf die herrlichen Worte findet: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68).
Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Gnade und Schuld mischen sich bei Petrus. Er ist durchaus kein Übermensch, sondern eher Durchschnitt – einer aus unseren Reihen. Ob es nicht gerade das ist, was den Herrn veranlasst, diesen Mann mit Schatten zum Amtsträger zu machen?

Christus bediente sich gerade seines Schattens...

Es sind hoffnungsvolle Sätze, die Abt Mauro Giuseppe Lepori über Simon Petrus schrieb: „Schatten, Schatten, überall Schatten, immer Schatten! Alles in ihm war Schatten. Und doch war es gerade sein Schatten, der alle diese Menschen heilte und rettete. Und doch war sein Schatten Licht und Leben für alle diese Armseligen! Christus bediente sich gerade seines Schattens, um der Welt sein göttliches Licht zu offenbaren. (…) ‚Halte dich nicht für groß‘, sagte Simon Petrus zu seinem Schatten, ‚du bist nur deswegen gut, weil der Herr mit Liebe auf meine Armseligkeit blickt‘. Er setzte seinen Gang frohgemut fort, denn sein dunkles Menschsein war nun ganz und gar Zeichen und Werkzeug des Erbarmens Christi.“

Wie sehr Petrus trotz der Jahrtausende langen Verehrung als menschennah empfunden wird, das beweisen die zahlreichen Witze und der Humor, mit dem diese Gestalt bis heute betrachtet wird . So werden gerade seine Schatten und Schwächen zu Brücken für die Menschen. Diese Menschlichkeit ist es, die bei aller übertragenen Autorität vor Arroganz und Überheblichkeit schützt. Sie sei daher der Kirche und ihren Amtsträgern von heute ins Stammbuch geschrieben.

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski) 
 

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26. März 2022, 10:03