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Bischof Peter Kolhgraf (Mainz) - copyright Bistum Mainz/Blum Bischof Peter Kolhgraf (Mainz) - copyright Bistum Mainz/Blum 

D: „Missbrauchs-Aufarbeitung ist eine komplexe Aufgabe“

Eine Reihe von Bischöfen hat auf die Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachtens zum Erzbistum München-Freising vom letzten Donnerstag reagiert. Eine besonders ausführliche Stellungnahme veröffentlichte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf an diesem Montag.

Kohlgraf macht darauf aufmerksam, dass schon eine Reihe von Diözesen ähnliche Studien publiziert hätten, darunter auch das Bistum Mainz. Man müsse allerdings beachten, dass diese Studien methodisch unterschiedlich angelegt seien: „Es gibt juristische, historische und andere Ansätze“.

Kohlgraf kann verstehen, dass die Studien hohe Aufmerksamkeit erführen. „Menschen wollen Verantwortliche benannt wissen, besonders wenn es um prominente Namen geht. Ich halte es aber für notwendig darauf hinzuweisen, dass Studien nicht die Aufarbeitung sind“, so Kohlgraf. „Sie sind ein Mosaikstein, aufzudecken, zu verstehen und daraus Konsequenzen zu ziehen“.

Die Betroffenen gehören in den Mittelpunkt, nicht die Täter

In der Berichterstattung stelle er eine „ansonsten oft kritisierte Fixierung auf die Täter“ fest. „Zumindest gegenüber dem Leid einzelner Betroffener ist die Berichterstattung über Täter in der Kirche dominant.“ Damit werde man aber dem „sehr komplexen Thema der Aufarbeitung“ nicht gerecht. Die Betroffenen müssten im Mittelpunkt stehen.

„Ich will nicht in dem Sinne Stellung nehmen, dass ich als Nichtbeteiligter über die versagenden Verantwortlichen urteile und Forderungen stelle“, fährt der Mainzer Bischof fort. „Diese stehen ja deutlich im Raum.“ Stattdessen wolle er über seine „persönliche Betroffenheit“ sprechen. Viele der führenden Gestalten der katholischen Kirche in Deutschland, die jetzt wegen ihres Umgangs mit Missbrauchsfällen kritisiert würden, hätten ihn geprägt und beeindruckt; heute könnten sie nicht mehr seine Vorbilder sein. Allerdings sei die Kirche „mehr als der Bischof“, und auch Bischöfe blieben „Menschen mit Fehlern“.

Der Dom von Mainz
Der Dom von Mainz

 

„Aus dem Stolz, für Jesus Christus unterwegs zu sein, ist bei mir immer wieder auch Scham geworden“

„Es erschüttert durchaus meinen Glauben, wenn auch ich heute wegen des augenscheinlichen Versagens kirchlicher Amtsträger kritisiert werde. Aus dem Stolz, für Jesus Christus unterwegs zu sein, ist bei mir immer wieder auch Scham geworden und der Wunsch, die Erde möge sich unter mir auftun.“ Es habe in den letzten Jahren nicht nur im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen Situationen gegeben, in denen er „Scheu“ gehabt habe, sich öffentlich zu zeigen.

„Für diese oft versagende Kirche muss ich als Bischof stehen, und das werde ich wohl noch viele Jahre tun.“ Natürlich sei seine Befindlichkeit nicht „das Hauptproblem heute“, aber er wolle nicht verhehlen, „dass ich mir auch Sorgen mache um die vielen Menschen, die jetzt wegen des Versagens in Mithaftung genommen werden und müde sind“.

Trotz der Hilflosigkeit nicht weglaufen

Kohlgraf wörtlich: „Ich will ihnen einfach sagen, dass ich manche kritische, wütende und erschöpfte Äußerung nur zu gut verstehen kann und auch Hilflosigkeit verspüre. Dennoch kann ich vor meiner Aufgabe nicht weglaufen, und ich bin dankbar für die vielen Menschen, die mich und sich gegenseitig im Glauben stützen.“

Es bleibe weiter die entscheidende Aufgabe, „das Evangelium zu leben“. „Das tun viele, und ich will es mit ihnen tun. Und wir werden an Lösungen arbeiten müssen, den Betroffenen zum Recht zu verhelfen, mit ihnen zusammen und für sie.“

„Das braucht Zeit - haben wir die?“

Die Kirche müsse sich die derzeitige Kritik nach dem Münchner Gutachten „gefallen lassen und zu Herzen nehmen“, so der Mainzer Bischof. Eine Kontrolle der Kirche sei notwendig und finde auch schon statt. Allerdings habe manche Äußerung, die man derzeit höre, „auch einen durchaus populistischen Zungenschlag“.

Zu vereinzelter Kritik, die Kirche sei nicht selbst zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen imstande, schreibt Kohlgraf, es sei „tatsächlich mühselig, auch für die Betroffenen“. Die Kritik komme bei ihm an. „Aber ich kenne keine Großinstitution, an der ich mich orientieren könnte. Ich musste an die Wahrheitskommissionen in Südafrika denken. Vielleicht wäre so etwas eine Hilfe auch hierzulande. Aber das braucht Zeit. Haben wir die?“

Der Staat müsse jedenfalls bei einer solchen Kommission „die Betroffenen aller gesellschaftlichen Bereiche in den Blick nehmen, nicht nur die der Kirche“ – aus Kohlgrafs Sicht „eine Mammutaufgabe für viele Jahre“.

(bistum mainz – sk)
 

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24. Januar 2022, 14:11