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Prof. Dr. Katharina Westerhorstmann Prof. Dr. Katharina Westerhorstmann 

D: Kritischer Blick auf die Impfpflicht

Im deutschsprachigen Raum wird eine Impfpflicht mit Blick auf Corona heiß diskutiert. Peter Liese, CDU-Europapolitiker und Arzt aus dem Sauerland, hat dem Domradio gegenüber erklärt, es sei für Christen eine moralische Pflicht, sich impfen zu lassen, auch wenn die Impfung nicht zu 100 Prozent schütze. Italien hat sie für über 50-jährige schon eingeführt.

 

Claudia Kaminski - Vatikanstadt

Radio Vatikan sprach dazu mit der in Österreich tätigen deutschen Moraltheologin Katharina Westerhorstmann.

Radio Vatikan: Was hat Sie dazu veranlasst, sich auf der Website der österreichischen Regierung zur Impfpflicht oder zur diskutierten Impfpflicht zu äußern?

Katharina Westerhorstmann: In Österreich liegt jetzt gerade der Entwurf vor für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, die mit wenigen Ausnahmen für alle Personen ab 18 Jahren gelten soll. Und mir scheint, dass es sich bei dieser geplanten Einführung um einen zu drastischen Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte der Einzelnen handelt. Nicht weil ich gegen eine Impfung wäre oder auch gegen eine berufsbezogene Impfpflicht, sondern weil ich denke, dass es mehr Ausnahmen geben müsste. Und dass die Gewissensentscheidung von Personen, die sich gar nicht impfen lassen möchten oder können oder wollen, berücksichtigt werden müsste.

Hier zum Nachhören

Radio Vatikan: Welche grundlegenden Aspekte sehen Sie denn, dass eine allgemeine Impfpflicht Ihrer Meinung nach keinen Sinn macht ?

Katharina Westerhorstmann: Wir haben in den vergangenen Monaten gesehen, dass die Infektionsgefahr nicht vorhersehbar ist. Wir haben aktuell die Omikron-Variante als die am meisten verbreitete (oder sie ist dabei, die am meisten verbreitete zu werden), die doch nach jetzigen Informationen mit deutlich milderen Verläufen einhergeht, was zu einer Immunisierung führt. Das heißt, es wäre möglich, dass über einen kürzeren Zeitraum viel mehr Menschen immunisiert werden - einfach dadurch, dass sie den Virus haben oder hatten.

„Ein zweites Argument ist die Frage der Verhältnismäßigkeit - Unsicherheiten der Wirksamkeit der Impfung, Dauer des Schutzes...“

Und das, meine ich, ist zum Beispiel ein Argument gegen die Einführung einer Impfpflicht, wobei der Einzelne, wobei die Rechte des Einzelnen einfach zu stark eingeschränkt werden.

Ein zweites Argument ist die Verhältnismäßigkeit. Als vor einigen Wochen der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme veröffentlicht hat, haben vier Mitglieder des Deutschen Ethikrates, drei Juristen und eine Theologin, sich gegen die Empfehlung ausgesprochen - ein Minderheitenvotum. Ihre Begründung lautete, dass die Unsicherheiten in der Pandemie und auch die Unsicherheiten der Impfung oder der Wirksamkeit der Impfung, der Dauer des Schutzes durch die Impfung deutlicher herausgestellt werden müssten und dass sie eigentlich nicht erlauben, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen.
Das ist zum Beispiel ein recht starkes Argument, wie ich finde.

Sie selbst haben eine Grundimmunisierung und sind auch „geboostert“, haben also schon die sogenannte Auffrischimpfung erhalten. Die WHO hat sich jedoch mehrfach dafür ausgesprochen, auf das „Boostern“ beispielsweise in Europa zu verzichten. Wie stehen Sie dazu?

Katharina Westerhorstmann: Wenn jetzt die WHO sagt, dass genau dieser Aspekt der Solidarität auch international entscheidend sein muss beim Umgang mit den Impfstoffen, meine ich, dass das ein wichtiges Argument ist. Wenn also einzelne Staaten nicht nur alleine ihre Quote erhöhen (was legitim ist), sondern darüber hinaus noch sagen ‚Wir brauchen noch den Booster‘ und das sehr stark bewerben, dann führt das dazu, dass einfach andere Länder zu wenig Impfstoff haben und wir nicht weltweit eine deutliche Erhöhung der Grund-Immunisierung bekommen.
Und das deswegen, weil wir eine Art ‚America first‘-Politik in unseren Ländern leben - weil wir doch nur auf die eigene Nation schauen, und nur auf unsere Quote. Die Erinnerung der Weltgesundheitsorganisation, solidarisch zu sein im internationalen Kontext im Hinblick auf die Pandemie, denke ich, ist ein wichtiger Aspekt.

In Ihrem Statement an die österreichische Regierung erwähnen Sie auch die Autonomie. Inwiefern hat Autonomie oder die persönliche Freiheit des Menschen etwas mit Impfpflicht zu tun?

„Eine allgemeine Impfpflicht würde eine Grundlage unserer medizinischen Versorgung aushebeln, nämlich das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden“

Katharina Westerhorstmann: Eine allgemeine Impfpflicht würde eine Grundlage unserer medizinischen Versorgung aushebeln, nämlich das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden. Ein Eingriff am oder im menschlichen Körper, der von der Person abgelehnt wird, ist normalerweise Körperverletzung.
Deswegen gibt es die vier bioethischen Prinzipien, von denen eines die Autonomie ist, die den Menschen davor sichern soll, dass medizinische Behandlungen an ihm vorgenommen werden, ohne dass er das möchte, ohne dass sie das möchte.


Radio Vatikan: Ein weiteres Stichwort, das Sie auch genannt haben und das ich für sehr interessant halte, ist das der psychischen Gesundheit. Was hat es denn damit auf sich?

Katharina Westerhorstmann: Es gibt in unserer Gesetzgebung immer wieder die Möglichkeit, dass Menschen aus Gewissensgründen oder aus persönlicher Überzeugung bestimmte Verfahren ablehnen können. Und mir scheint, gerade weil es so viele Unsicherheiten in dieser Pandemie gibt, müssen Menschen die Möglichkeit haben zu sagen: ‚Ich kann und will die Impfung einfach nicht. Ich kann mich einfach nicht impfen lassen, weil ich nicht davon überzeugt bin.‘ Das kann man gut finden oder nicht, aber die Möglichkeit, sich aus Gründen der Unsicherheit gegen eine Impfung zu entscheiden, muss einfach bleiben.

Radio Vatikan: Papst Franziskus ruft in dem Zusammenhang (in seiner Neujahrsrede an Diplomaten an diesem Montag) zu Wirklichkeitspflege auf und sagt aber auch, dass Impfstoffe keine magischen Heilungswerkzeuge seien und dass die Bürger mit einbezogen werden müssten. Was meint er Ihrer Meinung nach damit?

„Zum Beispiel hätte man in den deutschsprachigen Ländern schon lange jedem einen Impf-Termin zustellen können, gegen den man sich dann entscheiden könnte“

Katharina Westerhorstmann: Ich denke, die Regierungen sollten sich darauf beschränken, die Impfungen zu fördern mit viel mehr Möglichkeiten als bisher. Da ist längst nicht alles ausgeschöpft. Zum Beispiel hätte man in den deutschsprachigen Ländern schon lange jedem einen Impf-Termin zustellen können, gegen den man sich dann entscheiden könnte. Aber das hätte auf jeden Fall die Immunisierung verstärkt und die Quote gehoben.
Und das würde die Autonomie des Einzelnen nicht umgehen, sondern würde den Einzelnen ernst nehmen. Ich denke, dass das auch im Sinne des Papstes ist, dass es nicht zu so starker Spaltung in der Gesellschaft kommt, weil Freiheitsrechte nicht respektiert werden.

Radio Vatikan: Könnten Sie erklären, warum die europäische Gemeinschaft oder auch die deutschsprachigen Länder es nach zwei Jahren Pandemie nicht geschafft haben, besser und klarer zu kommunizieren? Was stimmt da nicht?

Katharina Westerhorstmann: Das ist eine schwierige Frage. Mir scheint, ein Grund ist wirklich die Unsicherheit, in der wir uns befinden, und dass niemand die prophetische Gabe hat vorauszusagen, was sicher kommen wird . Wenn man aber gleichzeitig zum Beispiel jetzt die Impfpflicht als die einzige Möglichkeit darstellt, dann führt so etwas zu Vertrauensverlust, weil man den Eindruck gewinnt, etwas wird als einzige Möglichkeit dargestellt, obwohl es vielleicht andere Optionen gibt, die man noch gar nicht ausgeschöpft hat.

Westerhorstmann ist Mitglied der Synodalversammlung des Synodalen Wegs. Das Interview mit ihr führte Claudia Kaminski.

(vatican news - ck)

 

 

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11. Januar 2022, 11:28