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Ein Blick auf eine Brücke über die Ahr, die durch das Hochwasser in Ahrweiler, Rheinland-Pfalz, Westdeutschland, am 18. Juli 2021 zerstört wurde. Ein Blick auf eine Brücke über die Ahr, die durch das Hochwasser in Ahrweiler, Rheinland-Pfalz, Westdeutschland, am 18. Juli 2021 zerstört wurde. 

D: „Es gibt noch viele Verletzungen in den Menschen“

Ein halbes Jahr nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands sind die Folgen noch immer zu sehen. In den betroffenen Gebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz dauern die Aufräumarbeiten weiter an. Unser Kollege Michael Pauken hat mit Dechant und Pfarrer Jörg Meyrer aus Bad Neuenahr Ahrweiler über die Situation der Menschen und Kirchen 6 Monate nach der Flut im Ahrtal gesprochen.

Michael Pauken: Jörg Meyrer ist Pfarrer von, in und um Bad Neuenahr Ahrweiler. Jetzt ist das sechs Monate nach dieser verheerenden Flut kein schönes Gespräch oder gibt es Grund zur Freude? Haben sich die Dinge sechs Monate danach auch schon wieder zum Positiven gewendet?

Pfarrer Jörg Meyrer: Es gibt beides. Es gibt noch viel Verletzung in den Menschen. Das wird noch nach dem Halbjahres-Gedenken nochmal deutlich. Viele Erinnerungen kommen hoch und die sind immer noch schmerzhaft. Dennoch haben wir schon ganz viel geschafft.

Hier das Interview mit Pfarrer Jörg Meyrer zum Nachhören

Michael Pauken: Zum Stichwort „Verletzungen“: Was können die Kirchen, oder auch die Gemeinden tun? Was kann man da überhaupt tun? Kann man da helfen?

Pfarrer Jörg Meyrer: Wir können zuhören, können Räumen des Gesprächs bieten. Das machen wir auch, Wir können uns beteiligen an den Beratungsdiensten, und das tun wir ebenfalls. Es gibt Beratungsdienste des Kreises, und dort thematisieren wir, dass man auch immer noch traurig sein darf.

Michael Pauken: Es gab oder gibt immer noch die Angst. Es war ja unheimlich viel Hilfe da, auch etliche Ehrenamtliche. Sind die jetzt noch da oder hat die Angst sich bestätigt, dass es doch deutlich weniger geworden ist?

Pfarrer Jörg Meyrer: Es ist deutlich weniger geworden. Der Helfer-Shuttle, der das Gros organisiert hat und koordiniert hat, der hat auch Pause gemacht, und zwar jetzt über die Wintermonate. Tatsächlich wird jedoch im Moment gar nicht so viel Ehrenamtliches gebraucht. In den Häusern ist es meistens geschafft. Wir müssen jetzt auf Handwerker warten, denn da kann jetzt nicht jeder, der aus dem Büro kommt, jetzt die Elektrik verlegen oder den Estrich auf den Boden legen. Das geht einfach nicht, aber viele fahren jetzt, wenn es wieder wärmer wird, auch noch mal hoch und laden die Menschen auch noch mal ganz bewusst ein, um dann auch draußen noch mal aktiv zu werden. Da gibt es noch ganz viel zu tun. Das wird aber dann auch ins Frühjahr verlegt.

Nach der Flutkatastrophe
Nach der Flutkatastrophe

Michael Pauken: Wenn man die Zeitung aufschlägt, jetzt am Wochenende, da war ich schon beeindruckt davon, dass zehn Seiten Geschichten der Menschen vorgestellt wurden. Du kennst wahrscheinlich noch viel mehr Geschichten. Man hört aber auch immer wieder mal, dass das mit dem Geld und mit den Spenden nicht so richtig in die Gänge kommt. Was bekommst du damit?

Pfarrer Jörg Meyrer: Ich höre auch, dass die Anträge doch komplizierter sind, als es am Anfang gedacht war, und dass auch jene, die Zusagen vom Bund und vom Land erhalten haben, im Moment noch immer nicht erfüllt sind. Also sind bisher nur relativ wenige Anträge angekommen. Spendengelder werden ausbezahlt. Wir haben unsere Spendeneinnahmen ausbezahlt, und zwar mit der Stadt zusammen. Da gibt es, glaube ich, schon eine ganze Menge, was fließt, aber auch da spüre ich, dass es noch ganz viel Bedarf gibt, also Möglichkeiten, Spenden für Projekte nochmal zu initiieren. Auch da beteiligen wir uns dran. Wir werden noch lange Spendengelder brauchen, und Projekte wird es auch noch lange geben müssen. Also, von daher darf man auch noch bisschen Geduld haben.

Michael Pauken: Die Pfarrei ist ja mit der Lorenzo-Stiftung verbunden, da haben ja auch ganz viele von uns Geld hin gespendet. Was ist da passiert?

Pfarrer Jörg Meyrer: Wir haben tatsächlich ein ganz großer Teil der Spendengelder, die für die Opfer und für die Menschen direkt gedacht waren, mit der Stadt zusammen ausgegeben, und zwar in Form von Gutscheinen, die die Menschen dann in der Stadt einlösen können, also in den Geschäften der Stadt. Das schien uns ein sehr machbarer Weg zu sein, weil wir keine Bedürftigkeitsprüfung leisten können bei 20.000 betroffenen Menschen. So hat jeder, der im Flutgebiet gewohnt hat, ein Gutschein bekommen und kann damit einkaufen gehen. Das schien uns, zusammen mit der Stadt, ein sehr gangbarer Weg. Das ist übrigens auch sehr dankbar angenommen worden.

Malteser helfen nach der Flutkatastrophe
Malteser helfen nach der Flutkatastrophe

Michael Pauken: Wenn wir jetzt über die kirchliche Infrastruktur reden, dann erinnere ich mich an Bildern auf Facebook von eurer Kirche. Wie sieht es aus bei den sakralen Gebäuden?

Pfarrer Jörg Meyrer: Die Gebäude, die geflutet sind, können wir noch nicht nutzen und zwar noch lange nicht. Die Kirche St. Laurentius steht ohne Boden und ohne jeden Inhalt da. Das wird noch lange dauern, bis wir da wieder Gottesdienst feiern können.

Michale Pauken: Das heißt, im Moment feiert ihr Gottesdienste immer noch in anderen Räumen?

Pfarrer Jörg Meyrer: Genau und zwar in ehemaligen Kirchen wie den Kalvarienberg, in einer ehemaligen Klosterkirche und in einer ehemaligen Pfarrkirche. Wir sind noch nicht in den normalen Kirchen, das wird noch lange dauern.

Michael Pauken: Und dennoch habt ihr fusioniert. War das so geplant oder war das jetzt aus der Situation heraus?

Pfarrer Jörg Meyrer: Wir haben im August gemerkt, dass eine riesige Aufgabe auf uns zukommt. Allein mit den Gebäuden war das der Fall. Und da haben die Gemeinderäte und Verwaltungsräte entschieden, die Fusion ein Jahr vorzuziehen. Denn eigentlich hätten wir das im nächsten Jahr gemacht, damit wir mit einer Stimme auch reden können und der Stadt gegenüber, den Kreis gegenüber, auch dem Bistum und dem Land gegenüber. Und ich hoffe, dass das jetzt auch gut gelingt, denn so können auch noch mal neue Kräfte in die Pfarrgemeinde eingebunden werden. Und ich hoffe, dass wir die auch finden, damit man dann auch gemeinsam nach vorne gehen können.

Michael Pauken: Ich glaube, im Bistum einmalig ist es, dass es Geschäftsführer geben soll, zumindest habt ihr so jemand ähnliches gesucht. Seid ihr denn schon fündig geworden?

Pfarrer Jörg Meyrer: Ja, wir haben jemanden gefunden, und zwar hat das Bistum den Verwaltungsleiter für den pastoralen Raum vorgezogen, der dort angestellt sein soll, mit Verwaltungskompetenz. Wir hoffen, dass wir das zum 1. Februar dann auch hinkriegen.

(pm – mg)

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17. Januar 2022, 12:57