Kardinal Gerhard Ludwig Müller Kardinal Gerhard Ludwig Müller 

Unser Sonntag: Der König der Wahrheit

Kardinal Müller geht in seinem Kommentar zum Sonntagsevangelium auf das Königtum Jesu ein, das so verschieden ist von weltlichen und menschlichen Machtstrukturen. Christus ist der Gottmensch - eingetreten in die Schwäche unseres Menschseins - ohne Legionen oder Polizeikontingente steht er Pilatus gegenüber.

Kardinal Ludwig Gerhard Müller

Joh 18, 33b–37

Ich erinnere mich in der Jugendzeit an eine Predigt, in der versucht worden ist, das Fest Christkönig zu erklären. Es wurde ja von Papst Pius XI. nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt.

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Nach dem Ersten Weltkrieg sind die großen Kaiser- und Königreiche in Österreich-Ungarn, in Russland und in Deutschland zusammengebrochen, und aus diesen Ländern wurden dann mehr oder weniger Demokratien, beziehungsweise wurde dort eine nicht königliche oder monarchistische Regierung eingeführt. Denen gegenüber hat man dann betont, dass Jesus der König ist.

Es geht um das Königtum Gottes 

Natürlich kann das Königtum Jesu nicht verstanden werden in Analogie zu einer bestimmten Staatsform, wie der Monarchie, der Oligarchie, der Aristokratie, oder der Demokratie, es geht um etwas ganz anderes. Es geht um das Königtum Gottes. Jesus hat das Reich Gottes verkündet. Schon im Alten Bund ist die Rede von Gott als dem König der ganzen Schöpfung, dem König Israels, aber nicht in einem politischen Sinn, in dem es um die Macht von Menschen über Menschen geht. Gott braucht seine Macht, seine Allmacht, nicht dadurch zu beweisen, indem er sich erhöht und andere unterdrückt, wie es im Verhältnis der Menschen untereinander ist.

Jesus hat einmal zu den Jüngern gesagt: ihr wisst, dass die Mächtigen, die Könige die Machthaber, die Kaiser ihre Menschen, die Menschen unterdrücken und sich ihnen gegenüber aufspielten, dass sie ihre Macht missbrauchen. Gott ist so unendlich, dass er durch die Schöpfung der Welt nichts hinzu gewinnt, aber auch durch die Schöpfung sich nicht eine eigene Konkurrenz aufbaut - er verliert auch nichts. Die Souveränität Gottes besteht darin, dass er uns von seiner unendlichen Güte mitteilt, unser Sein und Dasein schenkt, dass wir so geschaffen sind, dass alles auf ihn hin geordnet wird, denn Gott ist die Güte. Gott ist die Wahrheit. Gott ist die Liebe.

Pilatus ist der Inbegriff der weltlichen Macht

Nun sind wir in dieser eigenartigen Situation, dass Pilatus der Inbegriff der weltlichen Macht als Stellvertreter des Kaisers in Palästina, bei einem unterdrückten Volk, in einer römischen Provinz, auf einmal Christus gegenüber steht, den wir ja glauben und erkennen als das Wort, das von Anfang an bei Gott war, das Wort, das Gott ist, das Wort, das Fleisch geworden ist. Christus ist der Gottmensch, wahrer Gott und wahrer Mensch, die zweite Person des dreifaltigen Gottes, die unser Menschsein angenommen hat - eingetreten ist in die Schwäche unseres Menschseins, nicht selber gesündigt hat, aber die menschliche Natur unter den Bedingungen der Sünde, der Gott-Entfremdung, der inneren Desorientierung angenommen hat. Er ist das Lamm Gottes - selber unschuldig, das aber die Sünde der Welt auf sich genommen hat und er steht ohne Legionen, ohne Polizeikontingente, ohne eine Zaubermacht dem Machthaber dieser Welt gegenüber.

„Wir haben im Alten Testament schon eine ganz andere Konnotation des Königtums“

Das Ganze verdichtet sich in diesem Begriff König. Was heißt eigentlich König: Der Leiter und Lenker eines Gemeinwesens. Wir haben im Alten Testament schon eine ganz andere Konnotation des Königtums, als es uns bei den großen Reichen Ägypten, in Babylonien, in Persien überliefert ist. Die Großkönige, die Pharaonen, die Regierenden, die sich Gott gleich dünken, den Göttern gleich dünken.

Im Alten Testament ist König David ein Hirte. Der König ist ein Hirte, der sich um die Menschen sorgt, der sie nicht mit einem Machtwort dirigiert, sondern der sie auf die gute Weide hinführt und leitet, sie beschützt. In diesem Sinn ist Gott der Hirte seines Volkes und Jesus ist der gute Hirt, der für seine Schafe sein Leben hingibt, der uns auf die gute Weide seiner Gnade und des Wortes und seiner Liebe führt, und dieser Jesus, der in Wahrheit der Sohn Gottes ist. Er steht dieser irdischen Macht gegenüber, im römischen Reich, das auch manches Gutes gebracht hat, aber doch letztlich auf Gewalt aufgebaut war, wo sich viel Unrecht, Unterdrückung und Freiheit ereignet hat. Man muss nur einmal denken an die vielen Sklaven, die es gegeben hat, die vielen Menschen, die in den Provinzen lebten, die nicht das römische Bürgerrecht hatten und deshalb unterdrückt und ausgebeutet worden sind, die sehen mussten, wie sie einigermaßen durchkommen. Die immer Gefahr gelaufen sind, schwerstens bestraft zu werden, bis hin zu den Massenkreuzigungen, wenn sie auch nur im Ansatz versucht haben, ihre Freiheit gegenüber dieser Allgewalt, militärischen und polizeilichen Gewalt der Römer zu behaupten.

Wer ist Pilatus?

Der Dialog, das Gespräch, die Auseinandersetzung, spitzt sich zu: Was ist das für ein Königtum, nicht der Macht und der Gewalt, sondern das Königtum der Wahrheit. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme, hier geht es nicht um die Gewalt, sondern hier geht es um die Wahrheit und die wirkliche Freiheit des Menschen. Hier stehen sich die göttliche Liebe und die menschliche, letztlich angemaßte Gewalt und Macht von Menschen über Menschen gegenüber. Wer ist Pilatus? Doch auch nur ein römischer Beamter, der versucht - wie viele Politiker bis zum heutigen Tag - seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, eine Karriere zu machen, aufzusteigen, sich dabei auch zu bereichern und reich zu werden, vielleicht dann nach Rom, nach Hause zu gehen - mit viel Geld, das man aus den Provinzen herausgepresst hat und sich dann ein angenehmes Leben zu machen auf einem großen Landgut mit vielen Sklaven.

Die große Frage 

Dem steht gegenüber der Herrscher dieser Welt, der allen Menschen, auch dem Pilatus, auch den römischen Kaisern, den Großkönigen, den Pharaonen, das Leben gegeben hat - der Schöpfer, der uns geschaffen hat nach seinem Bild und Gleichnis. Die große Frage auch der Philosophie seit Sokrates, Platon, Aristoteles, aber auch der Zyniker und Nihilisten: Was ist Wahrheit? Die daran zweifeln, dass es überhaupt eie Wahrheit gibt, dass wir also überhaupt fähig sind, uns nach der Wahrheit zu orientieren und man doch einfach sagt, pragmatisch geht es letztlich um die Wahrheit, um das Recht, um das Gute, und zuletzt geht es darum seinen Vorteil durchzusetzen. Der Egoismus, vielleicht etwas gezügelt, aber der Egoismus des Kampfes aller gegen alle, das ist das eigentliche Gesetz der Geschichte. Nein, Jesus sagt es gerade andersherum. 

Das wahre Gesetz der Geschichte

Das wahre Gesetz der Geschichte, die Geschichte, die die Menschheit zu ihrem Glück und zu ihrem Ziel hinbringt, das ist die Wahrheit, die von Gott ausgeht. So wollen wir auf die Wahrheit hören, die von diesem demütigen Christus, dem Sohn Gottes, ausgesagt wird, dem Sohn Gottes, der unser Menschsein angenommen hat. Der uns auch helfen kann in unserem Sterben. Denn alle menschliche Macht, die der Medizin, der Politik, der Gesellschaftsgestaltung, alle Macht nützt nichts, wenn wir einmal sterben müssen. Dann fallen wir in die Hände Gottes und dann hilft uns nur dieser König, der die Wahrheit ist. Jeder, der aus der Wahrheit ist, der die Tiefe der Wirklichkeit von Gott her versteht, der hört auf die Stimme Jesu Christi. Er ist der wahre König, nicht in einem politischen Sinn, sondern im Sinne der Schöpfung, der Erlösung, der Versöhnung, der Vollendung des Menschen in der Gemeinschaft des dreifaltigen Gottes, er ist der König der Liebe und der Wahrheit. 

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski) 

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20. November 2021, 09:50