Gewalt gegen Frauen ist auch in Deutschland ein Problem Gewalt gegen Frauen ist auch in Deutschland ein Problem 

D: Istanbul-Konvention mangelhaft umgesetzt

Ein aktueller Bericht zu Gewalt gegen Frauen kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland die Istanbul-Konvention nur mangelhaft umgesetzt habe. Weibliche Asylsuchende und ihre geschlechtsspezifischen Fluchtgründe würden kaum in den Blick genommen. Die Untersuchung wurde von PRO ASYL, den Flüchtlingsräten und der Universität Göttingen durchgeführt.

Erst vor wenigen Wochen kritisierten deutsche Politikerinnen, dass die Türkei aus der Istanbul-Konvention ausgetreten sei. Es handelt sich dabei um das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Der Studie zufolge sei in Deutschland selber zwar die Übereinkunft in Kraft, doch die Umsetzung mangelhaft.

Hier das Interview mit Martin Lessenthin von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte

Die Bundesrepublik habe sich dazu verpflichtet, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen, einen Beitrag zur Beseitigung ihrer Diskriminierung zu leisten sowie ihre Gleichstellung und ihre Rechte zu fördern, erinnert der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. in einer Stellungnahme. Geflüchtete Frauen und Mädchen seien in besonderer Weise von Gewalt bedroht und betroffen. Doch sie würden in vielerlei Hinsicht „durchs Raster fallen“. Insbesondere problematisch seien die Erkennung von möglichen Fällen, die Unterbringung und die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Asylgründe, aber auch, wenn es um psychologische Beratung gehe.

Das ist das Ergebnis eines heute veröffentlichten Schattenberichts von PRO ASYL, Uni Göttingen sowie den Flüchtlingsräten Niedersachsen, Bayern, Brandenburg, Hessen und Sachsen-Anhalt an das Expertengremium des Europarats (Grevio), das die Einhaltung der Istanbul-Konvention überwacht. Die Istanbul Konvention gelte in Deutschland wie ein Bundesgesetz – die Bundesregierung verletze also mit der Nichteinhaltung des Abkommens ihre eigenen Gesetze.

Andrea Kothen von PRO ASYL erläutert: „Wir brauchen die bundesweite Einführung eines transparenten und flächendeckenden Identifizierungsverfahrens vulnerabler Personen. Nur wenn es hierfür ein einheitliches, verbindliches System gibt, kann in der Folge sichergestellt werden, dass die betroffenen Frauen ihre Rechte wahrnehmen können.“

Vergewaltigungen und Genitalverstümmelung als Fluchtgrund

Viele geflüchtete Frauen stammten aus Ländern, in denen sie aufgrund von Kriegs- und Krisensituationen besonders gefährdet seien. Ihre Fluchtgründe seien vielfältig: Genitalbeschneidung (FGM/C), straffrei bleibende Vergewaltigungen, Zwangsverheiratungen auch von minderjährigen Mädchen, häusliche Gewalt, Entführungen, Vergewaltigungen als Kriegswaffe und anderes.

„Der Anteil der Fälle, in denen Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Gründe Flüchtlingsschutz erhalten, müsste hoch sein – ist er aber nicht. Im Schattenbericht wird festgestellt: Etliche Frauen fallen durch die Raster einer nicht ausreichend sensibilisierten Asylstruktur“, so Laura Müller, Referentin für Gewaltschutz beim Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Selbst benannte geschlechtsspezifische Gewalt führe oft nicht zur Flüchtlings-Anerkennung. Gewalt an Frauen werde nach wie vor in den Asylverfahren nicht hinreichend thematisiert. Sie werde nicht selten im Bereich „privater Lebensführung“ verortet und nicht als strukturelles Problem erkannt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sei hier gefordert, zu einer verbesserten Anerkennungspraxis zu kommen. In den Anhörungen müssten Frauen aktiv, trauma- und gendersensibel ermutigt werden, von Gewalterfahrungen zu berichten. Überdies sollte das BAMF eine aussagekräftige Statistik zur Berücksichtigung von geschlechtsspezifischer Gewalt im Asylverfahren einführen.

(pm – mg)

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16. Juli 2021, 11:25