Bischof Gerhard Feige von Magdeburg Bischof Gerhard Feige von Magdeburg 

D: Bischof Feige sieht AfD als gesamtdeutsches Problem

Entgegen allen Prognosen hat die CDU bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt die meisten Stimmen geholt. Der Zuspruch der Bevölkerung zur AfD ist jedoch noch groß, die Partei wurde zweitstärkste Kraft. Ist die AfD ein ostdeutsches Problem? Darüber haben unsere Kollegen vom Kölner Domradio mit dem Bischof von Magdeburg, Gerhard Feige, gesprochen.

DOMRADIO.DE: Die AfD ist nicht stärkste Kraft geworden. Das wäre den Umfragen zufolge tatsächlich denkbar gewesen. Sind Sie erleichtert?

Dr. Gerhard Feige (Bischof von Magdeburg): Ich habe gebangt an dem Sonntag - und war dann sehr überrascht, erfreut. Und ich bin auch stolz auf dieses Ergebnis als jemand, der in Sachsen-Anhalt geboren wurde und hier auch lebt.

Es gab ja unterschiedliche Umfragen, und nicht alle Umfragen hatten wirklich ein Kopf-an-Kopf-Rennen dieser beiden Parteien gesehen. Aber immerhin, es ist ein deutlicher Abstand von 37 Prozent zu 21 Prozent; das ist schon ein klarer Sieg, den die CDU errungen hat und vor allem natürlich Ministerpräsident Haseloff. Das ist an seiner Person noch wesentlich festzumachen.

Hier zum Nachhören
Oliver Kirchner, AfD-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt
Oliver Kirchner, AfD-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt

„Westdeutsches Führungspersonal und ostdeutsches Fußvolk“

DOMRADIO.DE: Trotzdem hat jeder Fünfte in Sachsen-Anhalt AfD gewählt. Der Landesverband gilt als besonders rechts, wird auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, sorgte kürzlich für viel Aufregung als er sagte, viele Ostdeutsche seien noch nicht in der Demokratie angekommen. Ist das der Grund für den hohen Zuspruch der AfD in Sachsen-Anhalt?

Feige: Das würde ich bestreiten. Und zwar habe ich heute gerade gelesen, dass die AfD wesentlich gepunktet hat bei den unter 34-Jährigen. Und das sind ja alles Leute, die die DDR nicht mehr erlebt haben. Von daher müsste man sich mal überlegen, was da wirklich für Gründe dahinter stehen.

Ich sehe die AfD durchaus als ein gesamtdeutsches Problem an, denn in früheren Zeiten - und zum Teil jetzt auch noch - hat sie hier westdeutsches Führungspersonal gehabt und ostdeutsches Fußvolk. Das ist also eine gesellschaftliche Mischung, die da zustande gekommen ist.

„Veränderungserschöpft“

Natürlich können auch Gründe aus früheren Zeiten mit eine Rolle spielen, aber da würde ich den Blick nicht nur auf die Zeit von 1990 richten, sondern auf die Zeit vor allem auch danach, die gravierenden Umbrüche, die belastenden Entwicklungen. Jemand hat jetzt mal gesagt, viele seien inzwischen veränderungserschöpft. Da ist etwas dran.

Und vor allem: Wir haben ja auch in den 30 Jahren die Schwächen der Demokratie erlebt. Sie hat ja nicht nur Vorzüge, sondern sie kann auch missverstanden und missbraucht werden. Es gibt Machtkämpfe, Postengeschacher und Korruption. Und wer da sehr ideale Vorstellungen hat, der kann auch manchmal an diesem System seine Zweifel haben.

Also ich würde sagen, es ist ein Mix an sehr verschiedenen Gründen, die dazu führen, dass immer noch jeder Fünfte in Sachsen-Anhalt AfD wählt.

Katholik aus Wittenberg - und Wahlsieger: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU)
Katholik aus Wittenberg - und Wahlsieger: Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU)

„Gravierende Unterschiede zwischen AfD-Programm und katholischer Soziallehre“

DOMRADIO.DE: Die Kirchen gehören ja offensichtlich auch zum Feindbild der AfD. Der Landtagsabgeordnete Tillschneider hat 2017 mal gesagt: Der Austritt aus einer vom Christentum abgefallenen Kirche ist erste Christenpflicht. Warum?

Feige: Ja, das war damals vor allem die Entwicklung, wo so viele Flüchtlinge zu uns kamen und wir deutlich Position bezogen haben für Nächstenliebe und Solidarität. Das war der AfD ein Dorn im Auge.

Als Kirche sind wir ja hier nur wenige. Das heißt, 3 Prozent Katholiken, etwa noch 15 Prozent evangelische Christen. Aber wir zählen dann gewissermaßen in deren Augen zur Elite, und die Elite wird durch sie insgesamt angegriffen.

Wir üben immer wieder deutliche Kritik an deren Menschenbild und ihren Werten. Wir haben ja auch mal - die Katholischen Büros im Osten - eine Studie in Auftrag gegeben, die verglichen hat zwischen dem Parteiprogramm der AfD und der katholischen Soziallehre, gewissermaßen. Da gibt es gravierende Unterschiede und das verhehlen wir nicht, sondern bringen das durchaus in die Diskussion mit ein.

„Beim Meinungsfreiheit-Plakat musste ich schmunzeln“

DOMRADIO.DE: Nun war die AfD in den vergangenen fünf Jahren im Magdeburger Land als stärkste Kraft der Opposition vertreten. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Politik der AfD denn in den vergangenen Jahren gemacht?

Feige: Die Atmosphäre im Landtag ist rauer geworden. Die Fraktion hat sich aber im Laufe der Zeit zum Teil auch zerlegt.

Wenn ich so die Plakate aus dem letzten Wahlkampf mir anschaue, dann wird mir schon etwas komisch. Eins hatte den Titel Widerstand an der Wahlurne, das heißt also im Prinzip, gegen alle anderen.

Oder wo ich besonders geschmunzelt habe, was ich sehr sonderbar finde, ist das Plakat Meinungsfreiheit bewahren. Alle, die anderer Meinung sind als die AfD, werden gewissermaßen als Lügenpresse bezeichnet. Man toleriert eigentlich keine anderen Meinungen als die eigene. Und dann kommt das Wahlplakat Meinungsfreiheit bewahren. Damit meint man wahrscheinlich, seine kruden Vorstellungen ungefragt in der Öffentlichkeit ausbreiten zu können.

„Ich sehe nicht einen so großen Riss“

DOMRADIO.DE: Viele Menschen in Ostdeutschland fühlen sich benachteiligt, haben das Vertrauen in die Institutionen verloren und haben AfD gewählt, weil sie sich durch die traditionellen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Was muss denn jetzt passieren, damit dieser Riss, der durch die Gesellschaft geht, nicht größer wird? Inwiefern kann auch die Kirche dann dazu beitragen?

Feige: Ich sehe nicht einen so großen Riss. Wenn man mal bedenkt: 60 Prozent haben gewählt - so hoch ist die Wahlbeteiligung - und 20 Prozent davon etwa AfD. Das heißt, 12 Prozent in der Gesellschaft insgesamt. Aber es ist wichtig, dass der Dialog in unserer Gesellschaft weitergeht. Und wir Kirchen - ich sagte schon, wir sind nur eine kleine Kraft, aber - wir mischen uns ein mit Bildungsprojekten, wir vernetzen uns mit anderen Vernünftigen in der Gesellschaft und wir legen Wert darauf sowohl Bedürftige am Rande der Gesellschaft als auch Flüchtlinge zu unterstützen, um da eine Balance auch zu halten.

Und schließlich würde ich noch sagen, dass jeder einzelne Christ Zivilcourage an den Tag legen muss, in seiner Umgebung widersprechen muss, wenn markige oder simple Parolen da zu hören sind, die nicht unserem christlichen Menschenbild entsprechen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

(domradio – mg)

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08. Juni 2021, 10:25