...noch ist Grabesruhe ...noch ist Grabesruhe 

Unser Sonntag: Der Ostermorgen verändert alles

Prof. Dr. Katharina Westerhorstmann macht zum Hochfest deutlich, dass der Ostermorgen die ganze Geschichte verändert. Letztlich geht es für uns alle um die Begegnung mit Jesus in der Ewigkeit.

Prof. Dr. Katharina Westerhorstmann

Ostern 2021

Sind Sie ein Oster-Mensch? Oder eher ein Karfreitags-Mensch?

Ostern erscheint als dieser lichtvolle Tag an dem das Tor zur Ewigkeit aufgestoßen wurde. Karfreitag dagegen ist eher Inbegriff des Leidens, der Dunkelheit, der Ausweglosigkeit und Verlorenheit. Obwohl er auch schon geprägt von der Wärme der Barmherzigkeit Gottes ist, bleibt er doch ein Tag, der einem manchmal unendlich lang vorkommt und an dem man seine menschliche Verlorenheit und Ohnmacht besonders schmerzlich spürt.

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Manchmal liegt die empfundene Ohnmacht auch nur darin, dass man nicht mit-fühlen kann, dass das Leiden Jesu so fern scheint, so wenig real. Ich frage mich manchmal, ob das Abgestumpft-Sein ist: sich nicht mehr vom Leiden wirklich berühren lassen zu können.

Verhaltener Jubel am Ostermorgen?

Diese Gefühllosigkeit ist vielleicht ein Grund, warum der Jubel am Ostermorgen im eigenen Herzen manchmal so verhalten klingt. Viele Menschen fühlen sich dem Gekreuzigten näher als dem Auferstandenen - zumindest in manchen Phasen des Lebens…

Maria von Magdala ist die erste am leeren Grab – Sie verkündet den Aposteln die Auferstehung. Ich stelle sie mir als jemanden vor, die an jenem Morgen von einem Karfreitags-Menschen zu einem Ostermenschen wurde.

Noch in der Dunkelheit geht sie zum Grab, um bei Jesus zu sein, der gestorben ist. Ihre ehrlichen Tränen, von denen der Evangelist berichtet, sind vielleicht mehr als das, wozu die meisten von uns fähig sind. Sie erinnern an die Tränen der Frau aus dem Evangelium, die sich Jesus weinend näherte und deren Tränen auf die Füße Jesu tropften… An diesem Ostermorgen sind die Tränen der Maria von Magdala Tränen des Verlustes und der Liebe. Die Spiritualitätsgeschichte kennt sogar die Gabe der Tränen: Sich aus Liebe zum Herrn innerlich bewegen zu lassen, die eigene Erbärmlichkeit als real zu verstehen. Bei Maria von Magdala sind die Tränen dieses Morgens nicht nur Ausdruck des Schmerzes über den Tod Jesu. „Jemand hat den Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“

„Ihre Tränen sprechen auch von der inneren Leere, die Maria am Grab spüren muss.“

Das Grab ist leer. Ihre Tränen sprechen auch von der inneren Leere, die Maria am Grab spüren muss.
In die Tränen hinein eine Stimme: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“
Schon früher im Johannesevangelium taucht eine solche Frage auf: Im ersten Kapitel fragt Jesus die beiden Jünger Simon und Andreas, die ihm folgen wollen, „Was sucht ihr?“. Am Abend nach der Brotvermehrung heißt es, die Menschen fuhren auf die andere Seite des Sees, nach Kafarnaum, „sie suchten Jesus“. Jesus wird ihnen später vorwerfen: „Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid.“ (Joh 6,26) Auch die suchen ihn, die ihm nach dem Leben trachten. Sie suchen ihn, um ihn auszuliefern. Als die Hohenpriester mit den Pharisäern Jesus nach dem letzten Abendmahl im Garten Gethsemane am Fuß des Ölbergs finden, fragt er auch sie: „Wen sucht ihr?“ Und seinen Jüngern kündigt er an: „Ihr werdet mich suchen, und ihr werdet mich nicht finden.“ Joh 7,34

Die besondere Liebe der Maria von Magdala

Nun Maria, die Suchende, von der Thomas von Aquin schreibt: Sie lief in der Frühe als erste zum Grab, weil sie diese besondere Liebe zu Jesus im Herzen hatte. Jesus erkennt diese Liebe, denn – so heißt es über ihn – „Er wusste, was im Menschen war“. Als Maria ihn am Grab das erste Mal anschaut mit Augen voll von Tränen, erkennt sie ihn noch nicht. Obwohl er doch der ist, den sie sucht, der Vertraute, der Herr. Auch seine Stimme erkennt sie nicht sofort. Ähnlich ergeht es auch den Emmausjüngern: Sie erkennen ihn nicht an der Gestalt und auch seine Stimme erscheint ihnen nicht vertraut. Doch die Suche ist entscheidend. Im Psalm 105 ist zu lesen: „Sucht sein Angesicht allezeit.“

„Dein Angesicht, Herr, habe ich gesucht – und gefunden.“

Die Offenbarung des Johannes verheißt, dass einmal „Gott alle Tränen abwischen wird“ (Offb 7,17), wenn die Suche an ihr Ziel gekommen ist, wenn das ewige Ostern kommt. Für Maria von Magdala geschieht etwas Ähnliches an diesem Morgen, in diesem Moment als er sie anspricht: Maria! Herz und Auge werden ihr geöffnet, sodass sie ihn erkennt: Rabbuni, Lehrer, Meister. Mit Maria von Magdala möchte man hier den Psalm 27 sprechen: Dein Angesicht, Herr, habe ich gesucht – und gefunden. Später wird sie über diesen Augenblick bekennen: „Ich habe den Herrn gesehen!“

Der Ostermorgen verändert alles

Der Ostermorgen verändert alles: Die ganze Geschichte der Menschheit und der Welt nimmt eine neue Wendung. Nach Thomas von Aquin ist Ostern Tag eins der neuen Schöpfung, der Tag, der alles verändert. Benedikt XVI. schreibt darüber in seinem Buch „Jesus von Nazareth“: Die Auferstehung ist der alles entscheidende Moment. An ihm entscheidet sich, ob „Jesus nur war oder ob er auch ist.“ (267) Für Maria von Magdala ist Jesus eben nicht nur der Gestorbene, sondern der Lebendige. Er ist nicht nur Erinnerung, sondern Gegenwart – wie er versprochen hat „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20)

„Er kommt uns als der Auferstandene, der Lebendige, ab jetzt durch die Geschichte – letztlich aus der Ewigkeit – immer entgegen“

Für uns Christen verändert der Ostermorgen die ganze Geschichte. Sie erhält ihren Sinn nicht mehr nur aus der Folge von Ereignissen, aus dem stetigen Sich-Entfalten und Sich-Entwickeln. Die Zukunft ist vielmehr schon verheißen, sie kommt uns gewissermaßen bereits entgegen. Jesus lebt. Und er kommt uns als der Auferstandene, als der Lebendige, ab jetzt durch die Geschichte – letztlich aus der Ewigkeit – immer entgegen. Das bedeutet die Umkehrung der gesamten Perspektive: Der österliche Glaube erlaubt uns einen Blick in die Ewigkeit, die erfüllt ist von Gottes Gegenwart – und unsere Hoffnung ist es, nach dem Tod, in dieser Ewigkeit bei Ihm zu sein.

Wir sollen ausstrahlen auf andere

Und gleichzeitig begegnet er uns in dieser Zeit, geht mit uns und möchte, dass wir ihm begegnen und sein Auferstehungslicht auf andere ausstrahlen. Das geht wohl nur, wenn wir auch das Kreuz im eigenen Leben annehmen und versuchen, Seine Gegenwart darin zu erkennen. Vor allem auch im Leiden der Anderen. Der tschechische Theologe Tomas Halik erinnert uns daran auf bewegende Weise, wenn er in seinem Buch „Berühre die Wunden“ schreibt:

„Jesus identifizierte sich mit allen Kleinen und Leidenden – alle schmerzlichen Wunden, alles Elend der Welt und der Menschheit sind also die ‚Wunden Christi‘. An Christus glauben, ‚mein Herr und mein Gott‘ ausrufen dürfen – das werde ich nur dann können, wenn ich diese Seine Wunden berühre, von denen auch heute unsere Welt voll ist. Sonst sage ich ‚Herr! Herr!‘ nur leer und unnütz, ohne jede Wirkung.“

Der Sinn des Leidens

Das ist auch ein tiefer Sinn der Kirche. In diesen Zeiten haben viele Menschen ihre gefühlte Heimat in der Kirche verloren. Und doch ist es die Berufung der Christen, die Berufung der Kirche, Jesus in den Leidenden zu entdecken und ihnen nahe zu sein. Johannes Paul II. hat dies in seinem Apostolischen Schreiben „Salvifici doloris“ so ausgedrückt:

„Wenn also der Mensch während seines irdischen Lebens in der einen oder anderen Weise auf dem Weg des Leidens geht, müßte die Kirche zu allen Zeiten … dem Menschen gerade auf diesem Weg begegnen. Die Kirche, die aus dem Geheimnis der Erlösung im Kreuz Christi geboren wird, muß die Begegnung mit dem Menschen vor allem auf dem Weg seines Leidens suchen.“ (Nr 3)

Osterfreude muss anbrechen

Das bedeutet, im Leidenden Christus erkennen und zu berühren und im eigenen Leiden Seine Gegenwart erkennen. Mutter Teresa lebte aus dieser Überzeugung. Ihrem Tagebuch nach war sie eher ein Karfreitagsmensch. Stetig vernahm sie das Wort Jesu in ihrem Innern: „Mich dürstet“. Und trotzdem spürte sie die Berufung, im eigenen Leben das Osterlicht sichtbar werden zu lassen – vor allem für die anderen, zum Wohl der anderen. Als Christen Jesus auszustrahlen, das erschien ihr sogar als die vornehmste Berufung. Sie schreibt:
„Die Freude darüber, Jesus zu lieben,
geht aus der Freude hervor,
an Seinen Leiden Anteil zu haben.
Lasst daher nicht zu, bekümmert oder bedrückt zu sein,
Sondern glaubt an die Freude der Auferstehung.
In jedem unserer Leben muss
wie im Leben Jesu,
die Auferstehung geschehen,
die Osterfreude muss anbrechen.“ (Komm sei mein Licht 247)

Möglich ist dies wohl nur, wenn wir als Menschen, die an Jesus als den Lebendigen glauben, ihn in unser Leben aufnehmen. Mit ihm leben. Ihm in den Sakramenten begegnen, vor allem in seiner verborgenen Gegenwart in der Eucharistie, in der wir Communio mit ihm erfahren – innige Gemeinschaft. Darüber hinaus bedeutet das „In Christus sein“, „In Christus bleiben“, wie wir es bei Paulus lesen, auch in seiner Liebe zu bleiben. Es geht darum, jetzt bei Ihm zu bleiben – um dann – nach dem Tod, für immer bei Ihm zu Sein – und auf ewig bei ihm zu bleiben. Was für eine Perspektive! Da möchte man doch zum Ostermenschen werden und mit dem Lied von Niko Nilken und Mia Friesen singen:


„Die Ewigkeit ist mein Zuhause
Du hast sie mir ins Herz gelegt
Auch wenn ich sterben werde, weiß ich
Dass meine Seele ewig lebt
Und diese Hoffnung wird mich tragen
Bis ich dir gegenüber steh.“

Für uns alle, nicht nur für die, die sich selbst eher zu den Karfreitagsmenschen zählen möchten, steht dieser Moment, dieser Augen-Blick mit dem Herrn noch aus, an dem alle Tränen abgewischt werden und das Licht des Ostermorgens bis in die letzte Dunkelheit der eigenen Existenz hineinleuchtet. Ich wünsche uns, dass wir auf diesem Weg mit ihm bleiben, dass wir die Gelegenheit ergreifen, ihn zu berühren, ihn auch im und trotz manchem Leiden zu entdecken, um dann die herrliche Ostererfahrung ebenfalls machen zu dürfen – wie Maria: Ich – habe den Herrn gesehen.
(radio vatikan - claudia kaminski)

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03. April 2021, 09:43