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Impfstoff in einem Heim in Berlin Impfstoff in einem Heim in Berlin 

D: 13 Prozent der Weltbevölkerung hält Hälfte der Impfstoffe

Das katholische Hilfswerk Misereor ruft Deutschland und die Europäische Union dazu auf, im Zuge der Corona-Pandemie allen Menschen gleichermaßen und rasch einen Zugang zu Impfstoffen gegen das Virus zu ermöglichen. Nach Ansicht von Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des katholischen Werks für Entwicklungszusammenarbeit, wäre es dringend erforderlich, die im Umfeld der Weltgesundheitsorganisation WHO gegründete Initiative COVAX (Covid-19 Vaccines Global Access) finanziell so auszustatten, dass flächendeckende Impfungen auch in Ländern mit hoher Armutsquote zügig eingeleitet werden können.

Gerade im Geiste der Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus sei es jetzt nötiger denn je, solidarisch zu sein, so Spiegel im Gespräch mit Radio Vatikan. Er erinnert daran, dass es Studien gebe, denen zufolge 13 Prozent der Weltbevölkerung sich rund die Hälfte der Impfstoffe gegen Covid gesichert haben. Experten befürchten, dass die Verwirklichung einer flächendecken Impfung noch Jahre dauern könnte, wenn die wohlhabenden Nationen nicht bereit seien, diesbezüglich mehr zu investieren.

„Machen wir uns nichts vor“, mahnt Spiegel, „die Welt wird die Covid-19-Krise nur dann bewältigen können, wenn wir sie überall und nicht nur bei uns bekämpfen.“ Er bezieht sich dabei auch auf Äußerungen von Tilman Rüppel vom Missionsärztlichen Institut in Würzburg, mit dem Misereor eng zusammenarbeitet. Rüppel warnt vor einem „Impfnationalismus“, der nur die Pandemie im eigenen Land im Blick hat und deren globale Tragweite verkennt.

Zum Nachhören - was Pirmin Spiegel von Misereor über Impfgerechtigkeit sagt

Impfstoff als globales öffentliches Gut

Es gehe jetzt darum, das Virus in allen Ländern dieser Erde so schnell wie möglich unter Kontrolle zu bringen, sagt der Experte. Gelinge dies nur in einzelnen Regionen, habe das Corona-Virus Zeit zu mutieren, also sich genetisch zu verändern, und könne noch schwerer bekämpft werden.

„Und da sieht man und wird sehr deutlich, dass die Ungleichheit in unserer Welt auch abgebildet wird in der Frage des Zugangs zu den Impfstoffen. Von daher ist Impfstoff ein globales, öffentliches Gut. Deshalb muss es Kontingente geben für die gesamte Weltbevölkerung, um sie proportional der jeweiligen Bevölkerung zu verteilen und die Gefährdungsgrade sowie Vulnerabilität zu berücksichtigen.“

Es sei nichts gewonnen, wenn wir als Gesellschaft zwar durch eine Impfung geschützt würden, diese jedoch ihre Wirksamkeit verliere, weil das Virus in einem anderen Land mutiere und von dort wieder zu uns getragen werde, zitiert Spiegel den Wissenschaftler Rüppel.

Patent-Regelungen aussetzen

Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis unterstützt Pirmin Spiegel Forderungen nach einer befristeten Aussetzung von Patenten auf die verschiedenen Impfstoffe, um diese zeitnah produzieren und erwerben zu können. Die Corona-Lage sei in vielen Ländern des Südens nach wie vor sehr angespannt. Blickpunkt Brasilien: „Hier berichten uns unsere Partnerorganisationen bei mehr als acht Millionen Infizierten und über 200.000 Corona-Toten von zum Teil verheerenden Zuständen“, so Spiegel. In Manaus zum Beispiel seien die Krankenhäuser überfüllt, es fehle an Schutzausrüstung. Noch wurde in dem lateinamerikanischen Land auch kein Impfstoff durch die staatliche Gesundheitsbehörde zugelassen.

Mitverursacht werde die Problematik durch das Verhalten von Präsident Jair Bolsonaro. Dieser verbreite Falsch-Informationen über angebliche Folgen von Impfungen und blockiere den Impfstart, indem, weil er nicht ausreichend Geld für den Kauf von Spritzen und Nadeln freigebe und den rechtzeitigen Kauf von Impfstoffen verpasst habe, berichten Misereor-Partner.

Proteste in Mexiko gegen Anti-Covid-Maßnahmen
Proteste in Mexiko gegen Anti-Covid-Maßnahmen

Mexiko: Fast die Hälfte von Armut bedroht

Dramatisch sei die Situation auch in Mexiko: Dort seien über 134.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Insgesamt infiziert haben sich mehr als 1,5 Millionen. Das Land mit einer Bevölkerung von knapp 130 Millionen Menschen, der zehntgrößten Bevölkerung der Welt, verzeichnet die viertmeisten Todesfälle im Zusammenhang mit dem Corona-Virus. Die Pandemie verschärfe die bestehenden sozialen Ungleichheiten. Bis zu 45 Prozent der mexikanischen Bevölkerung, die vor der Krise ein niedriges oder mittleres Einkommen bezogen, seien von Armut bedroht. Und die Regierung beschränke sich auf Appelle, um die Pandemie einzudämmen, berichten Misereor-Partner.

Vertrag des Impfstoff-Herrstellers mit Bolvien: AstraZeneca-Vertreter und Präsident Luis Arce (rechts)
Vertrag des Impfstoff-Herrstellers mit Bolvien: AstraZeneca-Vertreter und Präsident Luis Arce (rechts)

In Ländern wie Bolivien oder Argentinien fehle es an genügend Finanzmitteln, um leistungsstarke und zuverlässige Impfstoffe kaufen zu können. Aufgrund dessen setze etwa die Regierung in La Paz vor allem auf den aus russischer Produktion stammenden Impfstoff Sputnik. Dieser Impfstoff wurde weniger ausgiebig getestet als andere Präparate, und seine hinreichende Wirksamkeit sei umstritten.

Aus Bolivien melden Misereor-Partner, dass es vor allem in ländlichen Regionen an der notwendigen Infrastruktur und Ausstattung für Impfungen (Kühlsysteme etc.) mangele, ebenso an geschultem Personal. Die Regierung lasse es auch an wichtigen Informationen fehlen, etwa zur Gesamtzahl der garantierten Impfstoffe, deren Zuverlässigkeit, Verträglichkeit, Wirksamkeit und Preise. Zudem verweigere sie zivilgesellschaftlichen Organisationen die Beteiligung bei der Bewältigung der Pandemie.

Mehr Impfstoff als nötig

„Einige wohlhabende Länder haben sich bereits mehr Impfstoffe gesichert, als sie zur Versorgung ihrer eigenen Bevölkerung benötigen“, sagt Spiegel. In vielen Staaten des Südens müsse die Bevölkerung dagegen lange warten, bis ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht. „Sorgen wir dafür, dass alle Menschen, die dies wünschen, schnell geimpft werden können“, mahnt der Misereor-Chef.

„Im Sinne universaler Geschwisterlichkeit und Solidarität benötigen Armgemachte und Verletzlichste eine besondere Achtsamkeit. Und wir sollten trotz der Pandemie weitere gravierende und sich verschärfende Krisen des Südens nicht aus dem Blick verlieren: Hunger, fehlender Zugang zu Gesundheitsversorgung, mangelnde Bildungschancen, die Folgen des Klimawandels sowie Geschlechterungerechtigkeit.“

(vatican news/pm – mg)

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14. Januar 2021, 12:59