Die Heilige Familie Die Heilige Familie 

Unser Sonntag: Sehnsucht nach Gott

Fast ist es in diesem Jahr wie ein dritter Weihnachtsfeiertag, meint Kardinal Woelki. Maria und Josef versuchen, das Normale zu leben und das Außergewöhnliche zu integrieren. Dabei, so der Kardinal, sei das Fest nicht zum Hohn und Spott all derer, die sich an Weihnachten gestritten haben, in die Weihnachtsoktav gelegt worden. Es gehe vielmehr darum, dass Jesus den Großteil seines Lebens ganz normal als Sohn eines Zimmermanns verbrachte.

Rainer Maria Kardinal Woelki

Fest der Heiligen Familie (Lk 2,22-40) 

In diesem Jahr scheint es so als würden wir noch einen Tag länger Weihnachten feiern – dabei feiern wir eigentlich sogar eine ganze Woche lang die Geburt des Herrn. Die Weihnachtszeit dauert noch länger. Aber diesmal ist es so als hätten wir mit dem heutigen Sonntag der Heiligen Familie einen dritten Weihnachtsfeiertag. Für all diejenigen, die es nicht geschafft haben, an den beiden ersten Tagen, ihre Familie zu sehen, gibt es also noch eine Verlängerung. Gerade in Zeiten von Corona mag das eine willkommene Entzerrung sein. Alle, die noch nicht satt geworden sind, haben heute noch einmal die Möglichkeit einen guten Sonntagsbraten zu genießen. Alle die, die noch nicht richtig entspannen konnten – heute ist noch einmal Gelegenheit dazu.

Unser Sonntag - hier zum Nachhören

Für manche mag das anstrengend sein. Das ganze Essen. Die ganze Zeit hockt man mit der Familie aufeinander. Manch einer ist dessen schon längst überdrüssig geworden. Manch einer sehnt sich schon lange wieder nach dem Alltag. Man kann ja nicht immer nur feiern. Man kann nicht immer nur im Ausnahmezustand leben.

„Wie gehen Maria und Joseph mit all dem Außergewöhnlichen in ihrem Leben um?“

Auch im Evangelium nach Lukas – so kann man den Eindruck haben – geht das Leben langsam weiter. Der ganzen Aufregung – die Verkündigung durch den Engel, die unglaubliche Empfängnis, die Schwangerschaft mit dem Sohn Gottes, die Frage, ob Maria und Joseph ein Paar bleiben, der Besuch Mariens bei ihrer Cousine Elisabeth mit den großen Lobeshymnen auf Gott und den Prophezeiungen, die lange Wanderung von Nazareth nach Betlehem, die Suche nach der Herberge, die Geburt bei Ochs und Esel, Engel und Hirten, ihr Jubel – auf all das folgt nun die Frage: und jetzt? Wie geht es weiter? Während manch einer von uns noch staunend vor der Krippe im Wohnzimmer sitzt und das große Wunder, das Gott Mensch wurde, betrachtet und sich darüber freut, geht für Maria und Joseph das Leben in gewisser Weise in den Alltag über. Wie gehen sie mit all dem Außergewöhnlichen in ihrem Leben um? Wie integrieren sie Weihnachten in ihr Leben? Nun, es führt offensichtlich nicht dazu, dass Maria und Joseph sich zurücklehnen, sich selbst feiern und Gott machen lassen. Sie scheinen sich nicht als etwas Besonderes zu empfinden und eine Sonderbehandlung zu erwarten.

Jesus lebte ganz normal als Zimmermann

Sie versuchen das Normale zu leben und das Außergewöhnliche zu integrieren, das sie immer wieder zum Staunen bringt. Das Fest der Heiligen Familie, das wir heute feiern, erinnert daran auf seine eigene Weise. Es ist ja nicht zum Hohn und Spott all derer, die sich an Weihnachten gestritten haben, denen gezeigt wurde, meine Familie ist offensichtlich nicht heilig, in die Weihnachtsoktav gelegt worden. Papst Leo XIII., dem das heutige Fest ein besonderes Anliegen war, stellt heraus, dass Jesus den Großteil seines Lebens ganz normal als Sohn eines Zimmermanns verbrachte und selbst als solcher zusammen mit seiner Familie, mit Maria und Joseph, in Nazareth lebte. Diese Familie - so zeigt uns das Evangelium – musste einiges zusammen durchstehen. Sie ist wie wir. Der Sohn Gottes hat eine menschliche Familie, die ihm Liebe und Geborgenheit gibt. Erst die letzten drei Jahre seines Lebens wirkt er in der Öffentlichkeit, wirkt Wunder und verkündet die Frohe Botschaft. Vorher führte er ein ganz normales Leben. Nicht umsonst heißt es im Evangelium nach Markus: „Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria“ (Mk 6,2f).

„Maria und Joseph halten sich an die althergebrachten jüdischen Gesetze“

In all dem Außergewöhnlichen, was die Geburt Jesu umrahmt, versuchen Maria und Joseph so zu leben, wie es für fromme Juden üblich ist. Sie halten sich an die althergebrachten jüdischen Gesetze. Das, was sie von Kindesbeinen an gelernt hatten, das, was damals übliches Verhalten für Juden war, die dem Gesetz folgen – auch für Maria und Joseph ist das weiterhin die Richtschnur für ihr Leben. So erzählt es auch Lukas: „Als sich für sie die Tage der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung erfüllt hatten, brachten sie das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn darzustellen, wie im Gesetz des Herrn geschrieben ist: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn heilig genannt werden. Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.“ (Lk 2,22ff). Einige Zeit nach der Geburt Jesu machen sich Maria und Joseph also auf den Weg zum Tempel nach Jerusalem. Dort wurde 40 Tage nach der Geburt des ersten männlichen Nachkommen dieser dem Herrn geweiht und wieder ausgelöst. Gleichzeitig wurde auch die Mutter kultisch, in einem für uns heute archaisch anmutenden Ritus „gereinigt“.

Das Staunen der Eltern Jesu

Das scheinbar Gewöhnliche, das Maria und Joseph demütig zu leben versuchen, wird jedoch immer wieder durchbrochen. Immer wieder gibt es Begebenheiten, die die Eltern zum Staunen bringen. So auch bei diesem Besuch im Tempel. Dort begegnen sie zuerst dem vom Heiligen Geist erfüllten Simeon, dann der Prophetin Hanna. Dass Simeon vom Heiligen Geist erfüllt ist, wird unter anderem daran deutlich, dass er Jesus direkt als den langerwarteten Messias erkennt. Das bringt Maria und Joseph zum Staunen. Der Messias, der Gesalbte, ist einer alten Verheißung gemäß ein Nachfahre des König Davids. Er ist dazu bestimmt, Israel von fremder Herrschaft zu befreien und zu alter Größe zurückzuführen.

Rainer Maria Kardinal Woelki
Rainer Maria Kardinal Woelki

Mehr noch – mit der Zeit entwickelt sich die Hoffnung auf den Messias als denjenigen, mit dem eine unzerstörbare Friedensherrschaft, die Gottesherrschaft beginnt. Denn der wahre König gilt als Garant für Gerechtigkeit, Frieden und Wohlfahrt seines Volkes. Diese Vorstellung verbindet sich mit der apokalyptischen Erwartung, dass man an einer Zeitenwende steht. Die alte Zeit ist vergangen, eine neue wird anbrechen. Die Endzeit wird bald beginnen. Das gehörte zum verbreiteten Lebensgefühl der Juden zur Zeit Jesu. Immer wieder hatte man den Messias mit herausragenden Persönlichkeiten wie dem persischen König Kyros identifiziert. Immer wieder blieb aber der leise Zweifel, dass das noch nicht alles war, dass die Verheißung noch nicht erfüllt ist, dass da noch jemand größeres kommt.

„Der Heilige Geist verleiht Simeon die Gabe, den Messias im scheinbar Gewöhnlichen, im vermeintlich Alltäglichen zu entdecken.“

Wenn Simeon in dem kleinen Säugling den Messias erkennt, schwingt all das mit. Er sieht in dem kleinen Kind, das Maria und Joseph zur Darstellung in den Tempel bringen, mehr als das Offensichtliche. Er muss nicht erst fragen, wie später Johannes der Täufer. Der Heilige Geist, der auf ihm ruht, verleiht ihm die Gabe, den Messias im scheinbar Gewöhnlichen, im vermeintlich Alltäglichen zu entdecken.
Er steht damit im Gegensatz zu einem gesättigten Weihnachtsgefühl, wie wir es vielleicht manchmal verspüren. Die Versuchung ist ja groß, vom Feiern des Weihnachtsfestes nun so zum Alltag überzugehen, dass von dem Großartigen, das da passiert ist und das wir jedes Jahr feiern, nichts mehr übrigbleibt. Dass wir es im Alltag völlig vergessen. Dass wir es nicht integrieren, sondern einfach ignorieren, dass Gott in die Welt gekommen ist. Aber Simeon steht auch in einem zweiten Punkt im Gegensatz zu einem gesättigten Weihnachtsgefühl. Er steht vor uns als jemand, der sehnlichst den Messias erwartet.

Routinemäßig Weihnachten feiern?

Man möchte fast sagen: „Ja, hast du denn gar nichts mitbekommen von Weihnachten?“ Das, was für uns schon normal ist, das, was wir seit Tagen, das, was wir routinemäßig jedes Jahr feiern – mal mit mehr Bewusstheit und Betrachtung, mal mit weniger – das ersehnt Simeon mit seinem ganzen Herzen. Sein Jubel zeigt, wie groß sein Wunsch nach der Begegnung mit dem Messias war. Sein ganzes Leben wartete er darauf, den Christus des Herrn, den Gesalbten zu sehen. Simeons Jubel ruft uns seine Erleichterung von weitem entgegen. Aus jedem Wort schallt das „Endlich“. Er macht die tiefe Sehnsucht deutlich, die in unserem Herzen schlummert: die Sehnsucht nach Rettung, nach Liebe, nach Geborgenheit. Die Sehnsucht nach der Begegnung mit Gott. Und die Sehnsucht von ihm geliebt und in seine Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Häufig liegt unsere Sehnsucht nach Geborgenheit bei Gott unter so vielen alltäglichen Gedanken und Sorgen begraben, manchmal sind wir auch einfach zu satt. Simeon hat seine Sehnsucht bei sich wachgehalten.

Gott ist noch größer

 

Er kann deshalb erkennen: das ist es, was ich immer wollte. Jetzt kann ich sterben. Er hat gefunden, wonach er sich gesehnt hat. Das Happy End des Simeon steht schon am Anfang des Lukasevangeliums. Wir aber wissen: da wird noch so viel mehr passieren. Der Messias, wie wir ihn im Glauben erkennen, übertrumpft noch die Hoffnung Israels. Die Gemeinschaft mit Gott übertrumpft noch die Gemeinschaft der kleinen heiligen Familie, die bis hierher schon so viel gemeinsam durchgestanden und dem kleinen Kind Jesus in all dem Ungemach schon so viel Geborgenheit gegeben hat. Gott ist noch größer. Da wartet noch so viel mehr auf uns. Das, was Simeon schon erfüllte, das ist noch lange nicht das Ende.

(radio vatikan - claudia kaminski)

 

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26. Dezember 2020, 11:00