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Lockdown in der Wiener Innenstadt Lockdown in der Wiener Innenstadt 

Österreich: Debatte über Gottesdienst-Lockdown

Die Entscheidung der österreichischen Bischöfe, den von der Regierung verhängten zweiten Lockdown auch durch die Aussetzung öffentlicher Gottesdienste zu unterstützen, hat zu einer innerkirchlichen Debatte geführt.

Die Ausgangsfrage lautet: Ist dieser knapp dreiwöchige Verzicht auf einen grundlegenden Glaubensvollzug, um die Covid-Pandemie eindämmen zu helfen, verantwortungsvoll oder aber zu willfährig gegenüber der Politik? Dazu hat sich am Mittwoch der Präsident der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), Leopold Wimmer geäußert, außerdem mit dem Wiener Dogmatikprofessor Jan-Heiner Tück und dem Pastoraltheologen und Werteforscher em. Prof. Paul Zulehner auch zwei namhafte Theologen.

KAÖ-Präsident Wimmer hält das Aussetzen der Gottesdienste während der Zeit des Lockdowns für gerechtfertigt. Er verwies auf die Infektionszahlen und das Risiko einer Triage auf den Intensivstationen der Krankenhäuser. „Uns alle, denen der Besuch von Gottesdiensten wichtig ist, trifft eine solche Maßnahme natürlich hart, und es ist auch für das Pfarrleben eine starke Einschränkung“, räumte Wimmer gegenüber Kathpress ein. Das wüssten auch die Bischöfe.

„Jene, die die Einschränkungen ablehnen, darf ich an die Zeit des Exils des jüdischen Volkes, wie sie in der Bibel geschildert ist, erinnern“

Dennoch sei deren Entscheidung zurecht gefallen, und auch andere Kirchen und Religionsgemeinschaften hätten ähnlich gehandelt, wies der KAÖ-Präsident hin. Er ermutigte die Katholiken, Online-Angebote zum Mitfeiern von Gottesdiensten zu nutzen und so die Wochen des Lockdowns zu überbrücken.

„Jene, die die Einschränkungen ablehnen, darf ich an die Zeit des Exils des jüdischen Volkes, wie sie in der Bibel geschildert ist, erinnern“, so Wimmer weiter. Auch damals habe das ungewollte Entferntsein vom Tempel geschmerzt, es habe aber auch eine „ganz starke Besinnung auf das Wesentliche“ gegeben. So wie das babylonische Exil für die jüdischen Gläubigen werde auch die jetzige Pandemie wieder ihr Ende finden. Schlussappell des KAÖ-Präsidenten: Für Christen sollte es selbstverständlich sein, ihr Möglichstes zu tun, um die Ausbreitung des Virus einzubremsen – „auch in Solidarität mit jenen, die vom Lockdown noch viel stärker in ihrer Existenz getroffen sind“.

Tück: Maßnahme „keineswegs alternativlos“

„Die katholische Kirche wird zum verlängerten Arm staatlicher Gesundheitspolitik“: Mit dieser Kritik reagierte Prof. Tück in einem Gastkommentar für „Die Presse“ am Mittwoch auf die Bereitschaft der Bischöfe, „beim Lockdown mitzuziehen“, wie Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender der Bischofskonferenz am Samstag nach Rücksprache mit Regierungsvertretern mitteilte. Gottesdienste bis 7. Dezember auszusetzen sei ein „herber Einschnitt“ und „keineswegs alternativlos“, zumal den Kirchen ausdrücklich eingeräumt wurde, die „religiösen Grundbedürfnisse“ der Gläubigen auf ihre Weise zu regeln. Tück befürchtet, wie er schrieb, einen erneuten „Säkularisierungsschub“, den schon der erste Lockdown gebracht habe.

Dass sich Gläubige abkehren, Ministranten nicht wiederkommen, Kirchenchöre verstummen werden, werde „nun noch einmal durch die Bischöfe selbst befördert“, so der Vorwurf des Theologen. Das Zweite Vatikanische Konzil habe von der Eucharistie als „Quelle und Höhepunkt kirchlichen Lebens“ gesprochen. „Jetzt droht in der katholischen Kirche erst einmal eine Phase der Versteppung und ein liturgischer Tiefpunkt, den es selbst in Zeiten des Krieges und der Pest so nicht gegeben hat“, warnte Tück.

Solidarisch mit wem?

Steigende Infektionszahlen und Solidarität mit der Gesellschaft sprächen für den Entschluss der Bischöfe, räumte der Dogmatiker ein: „Wenn alle leiden, dann soll die Kirche nicht ausscheren!“ Man könne das Solidaritätsargument aber umdrehen und „fragen, ob die Entscheidung nicht mangelnde Solidarität mit jenen erkennen lässt, die trotz Einschränkungen die Gottesdienste weiter besucht haben“. Die kleine Herde der Gläubigen, denen der Messbesuch ein echtes Bedürfnis ist, fühle sich „von den eigenen Hirten im Stich gelassen“, so Tück.

Bisher hätten die Präventionsmaßnahmen in den Kirchen bestens gewirkt. Statt über Maßnahmen nachzudenken, wie man Gottesdienste auch in Lockdown-Zeiten feiern kann, hätten die Bischöfe nun die staatlichen Direktiven übernommen. Tück spekulierte über noch ganz andere Motive für den Eucharistieverzicht: Sorge um das Image der von Finanz- und Missbrauchsskandalen geschädigten Kirche, Angst vor Clusterbildungen in Gottesdiensten oder vor Protesten der Zivilgesellschaft.

„Salus animarum suprema lex - das Heil der Seelen ist das oberste Gesetz“, erinnerte der Theologe an das leitende Prinzip des Kirchenrechts. Nun entstehe der Eindruck, als hätten die Bischöfe dies angesichts der Pandemie umgeschrieben: „Salus corporum suprema lex - die körperliche Gesundheit ist das oberste Gesetz“.

Zulehner: Es gab „Halleluja-Superspreaderevents“

Ihn störe an der laufenden Diskussion, „dass nur über den öffentlichen (!) Gottesdienst gestritten wird“, schrieb der Pastoraltheologen Paul Zulehner am Mittwoch in seinem Blog. Die sich gerade jetzt stellenden diakonischen und seelsorglichen Aufgaben der Kirche aber blieben zu Unrecht unbeachtet. Es gebe in der momentanen Pandemie viele Verlierende und Vergessene - durch Homeschooling Überforderte, Vereinsamte, Arbeitslose, Schutzsuchende, wies Zulehner hin.

Statt also über das „Aussetzen von Gottesdiensten in den Kirchen“ zu debattieren, wäre es aus seiner Sicht „weit dringlicher, über das ‚Einsetzen eines Gottesdienstes an den Armen‘, an den verwundeten Menschen und an der verwundeten Natur zu diskutieren“. Die biblische Aussage Gottes „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“, an die Papst Franziskus unentwegt erinnere, gelte gerade auch in der Corona-Krise. Und das geschehe, wie Zulehner schrieb: Er kenne Gemeinden, welche im ersten Lockdown höchst kreativ ihre Aktivität vom rituellen Gottesdienst hin zu solidarischem, spirituell getragenem Handeln verlagert hätten.

Aus der Sicht des Pastoraltheologen blieb der Regierung angesichts stark angestiegener Infektionen keine andere Wahl als ein Lockdown. „Dann ist es wohl auch ethisch zulässig, dass die Kirchen als gewichtige gesellschaftliche Player ebenso wie Museen und Theater mit dem erbetenen Aussetzen von Gottesdiensten einen substanziellen Beitrag leisten.“ Dass dies „leider“ sinnvoll ist, belegte Zulehner mit Meldungen über orthodoxe oder freikirchliche Gottesdienste, die sich „als Halleluja-Superspreaderevents gerade in Risikogruppen entpuppt“ hätten. Er selbst kenne eine Dorfkirche, in denen Gläubige bei der Messfeier ohne Maske eng zusammensitzen, und auch der Pfarrer trage keine. „Sie vertrauen auf Gott und nicht weltlichen Vorgaben“, berichtete Zulehner. Eine Theologie, die am Boden der leider oft höchst unerfreulichen alltäglichen Realitäten steht, werde solche unerwünschte Nebenwirkungen beachten, mahnte er.

(kap – sk)
 

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19. November 2020, 11:48