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D: Neues Missbrauchs-Gutachten wird „ungemütlich“

„Schuldzuweisungen ohne Belege“: Strafrechtler attestieren der für das Erzbistum Köln erstellten Missbrauchsstudie gravierende Mängel. Von einer Veröffentlichung hat das Erzbistum daher Abstand genommen.

Die von der Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl erarbeitete Missbrauchsstudie sollte mögliches Fehlverhalten von Verantwortungsträgern des Erzbistums Köln bei Fällen sexualisierter Gewalt untersuchen. „Das Gutachten ist nicht gerichtsfest“, sagte der Frankfurter Strafrechtler Matthias Jahn am Montag vor Journalisten in Köln.

Nach Worten des Kölner Strafrechtsexperten Björn Gercke finden sich in der Untersuchung „vermeintliche Schuldzuweisungen mit starken Worten, ohne Belege zu bringen“. Gercke soll für das Erzbistum bis zum 18. März 2021 ein neues Gutachten verfassen.

„Einen derartig beschränkten Gutachterauftrag hätte die Sozietät abgelehnt“

Die Münchner Kanzlei wies die Vorwürfe zurück. Die vom Erzbistum Köln beauftragte Stellungnahme Jahns und des Erlanger Kriminologen Franz Streng zu ihrer Untersuchung leide selbst unter einem grundlegenden methodischen Fehler: „Der uns im Dezember 2018 erteilte Auftrag bestand in einer umfassenden Bewertung des Handelns der Bistumsverantwortlichen.“ Eine Beschränkung auf die bloße Rechtmäßigkeitskontrolle sei gerade nicht vorgesehen gewesen: „Einen derartig beschränkten Gutachterauftrag hätte die Sozietät auch abgelehnt.“

Sachfremde Motive wie die Prominenz der Verantwortungsträger?

Jahn warf der Kanzlei vor, aus den 189 ausgewerteten Personalakten 15 angeblich gravierende Fälle herausgegriffen zu haben, ohne dies näher zu begründen. Dies werde vielen Opfern nicht gerecht, die in der Untersuchung keine Berücksichtigung gefunden hätten. Laut Jahn könnten bei der Auswahl sachfremde Motive wie die Prominenz der Verantwortungsträger eine Rolle gespielt haben. Die namentliche Erwähnung von Verantwortungsträgern könne zudem bei Mängeln zivilrechtliche Klagen nach sich ziehen.

Auch Gercke sprach von einer willkürlichen Auswahl von Beispielen. So werde etwa der Fall eines jüngst von der Staatsanwaltschaft Köln erneut angeklagten Geistlichen nur mit einer halben Seite thematisiert. Laut dem Strafrechtler umfasst der an ihn ergangene Auftrag, Rechtsverstöße von Bistumsverantwortlichen zu identifizieren - auf Basis eines juristischen Gutachtens und nicht nach moralisch-ethischen Maßstäben.

Kardinal Woelki von Köln
Kardinal Woelki von Köln

243 Beschuldigte

Einwände, der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wolle Erkenntnisse zurückhalten, wiesen die nun mit der Studie betrauten Strafrechtler zurück. „Das Gutachten wird für das Erzbistum ungemütlich werden“, sagte Gercke. Sein Team aus fünf Anwälten und wissenschaftlichen Mitarbeitern werde jeden einzelnen der insgesamt 312 Verdachtsfälle würdigen.

Seine Kanzlei sei im Oktober vom Erzbistum beauftragt worden; ihr seien dazu die 189 auszuwertenden Personalakten und 236 Interventionsakten zugestellt worden. Es gebe 243 Beschuldigte und 386 von sexueller Gewalt Betroffene.

Sprecher des Betroffenenbeirats nun doch für Veröffentlichung

Laut Gercke gibt es ein großes Problem mit „defizitären Akten“. Er warf Westphal Spilker Wastl unter anderem vor, sich nicht darum bemüht zu haben, die Urheberschaft unleserlicher Signaturen auf Vermerken etwa mit Hilfe des Kölner Diözesanarchivs aufzuklären. Auf einer solchen Notiz beruhen zum Beispiel Vertuschungsvorwürfe, die sich laut Medien gegen den früheren Personalchef und späteren Generalvikar der Erzdiözese, Stefan Heße, in der unveröffentlichten Studie richten. Der heutige Hamburger Erzbischof weist diese Anschuldigungen zurück.

Unterdessen hat sich der Sprecher des Betroffenenbeirats des Erzbistums Köln, Patrick Bauer, nun doch für eine sofortige Veröffentlichung der kritisierten Studie ausgesprochen.

(kna/katholisch.de – sk)
 

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03. November 2020, 13:53