Berliner Theater vor einer Aufführung von Ferdinand von Schirachs Werk über Sterbehilfe Berliner Theater vor einer Aufführung von Ferdinand von Schirachs Werk über Sterbehilfe 

D: Sterbehilfe-Urteil bringt vieles ins Wanken

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat in diesem Jahr das Verbot organisierter Sterbehilfe gekippt. Die Begründung: Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Die katholische und die evangelische Kirche in Württemberg haben nun eine Orientierungshilfe zum Sterbehilfe-Urteil veröffentlicht. Das gemeinsam erarbeitete Papier enthält eine Stellungnahme beider Kirchen und gibt Seelsorgenden Unterstützung, wie sie in ihrer täglichen Arbeit mit dem nun eingeräumten Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben umgehen können.

Die ARD hat diese Woche einen Fernsehfilm zu Ferdinand von Schirachs neuem Theaterstück „Gott“ ausgestrahlt. Konkret geht es darin um den Fall eines 78-jährigen, gesunden, aber lebensmüden Mannes, der sein Leben durch ein Medikament und mit Hilfe seiner Ärztin beenden will. Die zentrale Frage: Soll der Mann das tödliche Präparat bekommen, um sich selbstbestimmt das Leben zu nehmen? Rechtlich ist das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seit Februar möglich, die ethische Debatte hält an.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, hat heftige Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts geäußert. Es sei „unerhört“, dass sich Karlsruhe so einseitig auf die Weltanschauung von Sterbehilfebefürwortern gestützt habe, sagte der Limburger Bischof in der ARD-Sendung „Hart aber Fair“.

Durch das Urteil sieht sich auch die Pastoral vor neuen Herausforderungen. Eine Orientierungshilfe haben nun die beiden großen Kirchen in Württemberg herausgebracht. Im Interview hat Johannes Wieczorek von unserem Partnersender Radio Horeb mit Domkapitular Heinz Stäps aus dem Bistum Rottenburg Stuttgart gesprochen. Er ist Hauptabteilungsleiter Glaubensfragen und Ökumene und hat an der Orientierungshilfe mitgearbeitet.

Zum Nachhören - das Interview mit Monsignore Heinz Stäps zum Sterbehilfe-Urteil
Sterbende begleiten
Sterbende begleiten

Radio Horeb: Herr Monsignore Stäps, aus Sicht des Vatikans sind aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid weiter ethisch verboten. Die Glaubenskongregation bekräftigte in einem Schreiben vom September die katholische Lehre, nach der solche Schritte die ethischen und rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung überschreiten. Wo sind denn aus katholischer Sicht die ethischen und rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung?

Monsignore Stäps: Also, da muss man zunächst mal sagen, dass wir als Christen  zuallererst Mal nach dem Willen Gottes Fragen werden. Es ist natürlich für uns besonders wichtig, dass wir erkennen, wie der Wille Gottes für unser Leben ist und wir versuchen uns in diesen Willen Gottes einzuschwingen und innerhalb dieses Willens zu handeln. Darum geht es zuallererst und dann ist die menschliche Selbstbestimmung natürlich immer als von Gott geschenkt zu begreifen. Jede Freiheit ist von Gott geschenkt und es damit auch eine bedingte Freiheit. Es kann nie eine absolute Selbstbestimmung, eine absolute Freiheit des Menschen geben, und zwar einfach, weil er Geschöpf Gottes ist und immer auf Gott  verwiesen bleibt. Deshalb gehört dazu, dass der Mensch Geschöpf ist und auch eine gewisse  Passivität gehört dazu. Er wird ja auch nicht aufgrund einer eigenen Entscheidung geboren und so kann er auch nicht durch den eigenen Willen sterben. So ist die christliche  Position. Der eigene Tod ist deshalb grundsätzlich unverfügbar für den Christen und es kommt dazu, dass diese Zeitspanne, die von Gott als unser Leben uns gegeben wird, als Geschenk und als Aufgabe wahrgenommen wird und dass Gottes Hand entgegengenommen wird, um sie zu  gestalten. Darum geht es aus christlicher  Sicht.

„Papst Franziskus spricht vollkommen zu Recht von einer Wegwerfkultur, die sich hier auftut. Aus christlicher Sicht verbietet sich jede Abqualifizierung von menschlichem Leben als lebensunwert aufgrund der Würde, die uns durch die Gottesebenbildlichkeit gegeben worden ist.“

Radio Horeb: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. So lautet der erste Artikel im Grundgesetz. Der Tod wird durch das Urteil als ja Ausweg vielleicht auch aus dem Leid gesehen. Wie verändert sich denn die Sicht auf Leben und Tod durch das Urteil?

Monsignore Stäps: Sie hat zunächst einmal die Freigabe eines assistierten Suizids anerkannt und das ist dahingehend auch zu beklagen, da es eine unkontrollierte Ausweitung nach sich ziehen wird, bis hin zur aktiven Sterbehilfe, die da natürlich auch im Raum steht und dies müssen wir natürlich auf dem Hintergrund des Christentums als eine Einschätzung von lebenswertem oder eben lebensunwerten Lebens - Stichwort Euthanasie - ablehnen. Papst Franziskus spricht vollkommen zu Recht von einer Wegwerfkultur, die sich hier auftut. Aus christlicher Sicht verbietet sich jede Abqualifizierung von menschlichem Leben als lebensunwert aufgrund der Würde, die uns durch die Gottesebenbildlichkeit gegeben worden ist und deshalb spricht das Dokument, auf das Sie anspielen, auch vom Verbrechen gegen das menschliche Leben und in der zukünftigen Entwicklung müssen wir insbesondere wirtschaftliche Erwägungen in diesem Zusammenhang ausschließen können. Es darf nicht zu einer Ökonomisierung des Sterbens  kommen.

Radio Horeb: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt sich auch die Frage nach dem Ausmaß und Formen des unterstützten Suizids, wie er kontrolliert werden kann. Sie haben es schon angedeutet, zudem auch die Frage nach der zeitlichen Dimension zwischen dem Wunsch und der  Umsetzung. Wie bewerten Sie diese Fragestellungen?

Monsignore Stäps: Ja, genau. Damit sind ja nicht alle Fragen beantwortet, sondern im Gegenteil, es werden ja ganz neue Fragen aufgeworfen. Zum ersten Mal müsste man nach diesem Urteil  klären, wie aufgrund des Urteils künftig mit Patienten umgegangen werden muss, die ihren aktuellen Willen nicht mehr selbst äußern können. Welche Relevanz wird dann den mutmaßlichen Willen beigemessen? Wie ist in diesem Zusammenhang der Status von Patientenverfügungen, deren Willensäußerung unter Umständen ja lange Zeit zurückliegt, einzuschätzen? Dann ist die Frage, wie steht es um die autonome Willensäußerung derer, die nicht in der Lage sind in dem Sinne des assistierten Suizids umzusetzen, die also ganz konkret gesprochen, eine ausführende Hand zur Durchführung des eigenen Suizids benötigen und was mir besonders wichtig ist, ist die Frage, wie mit Menschen verfahren werden soll, die nicht unheilbar krank sind, aber dennoch sterben wollen. Das Urteil sagt ja ausdrücklich, dass in jeder Phase der menschlichen Existenz dies möglich ist und da tun sich für mich Welten auf, wo es wirklich zu fragen ist, ob das heißt, dass jeder Mensch in jeder Phase seines Lebens einen assistierten Suizid beanspruchen kann.

„Es geht also jetzt nicht darum, eine Position abzugeben.“

Radio Horeb: Herr Monsignore Stäps, die katholische und evangelische Kirche in Württemberg haben sich auf eine Orientierungshilfe zum Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts  verständigt. Das gemeinsam erarbeitete Papier enthält eine Stellungnahme der katholischen und evangelischen Kirche, wie positionieren sich die beiden Kirchen denn?

Monsignore Stäps: Da muss man zunächst sage, dass es kein lehramtliches Schreiben ist. Es ist kein Positionspapier, sondern das hat ja nicht umsonst den Titel „Orientierungshilfe“. So es ist also vor allen Dingen eine pastorale Perspektive, die wir einnehmen. Wir wollen Hilfestellungen geben und wir sind gar nicht diejenige, die eine lehramtliche Position der katholischen oder evangelischen Kirche abgeben könnten. Es geht also jetzt nicht darum, eine Position abzugeben. Trotzdem sind natürlich Positionen drin, da haben Sie vollkommen recht, z.B. die Position, die wir vollkommen unisono teilen, dass wir die aktive Sterbehilfe ablehnen.

Radio Horeb: Die Orientierungshilfe gibt Seelsorgern Unterstützung, wie sie in ihrer täglichen Arbeit mit dem nun eingeräumten Recht auf selbstbestimmtes Sterben umgehen können. Welche Ansätze der Unterstützung bietet denn das Papier?

Monsignore Stäps: Es geht, vor allen Dingen um eine Einordnung. Wir wollen versuchen, dieses Urteil, das doch sehr viel Unsicherheit hervorgerufen hat, einzuordnen, damit die Menschen besser damit umgehen können und damit vor allen Dingen die Seelsorgerinnen und Seelsorger damit umgehen können und sich auch positionieren können und damit vor allen Dingen der Mut zur seelsorgerischen Begleitung nicht leidet unter dem neuen Urteil, sondern im Gegenteil, dass Menschen sich noch mal konkret in die Seelsorge an kranken Menschen begeben.

Menschen beraten
Menschen beraten

Radio Horeb: Gibt es denn auch generell Beratungs- und Begleitungsangebote, also einerseits vielleicht an einzelne Frivaten aber auch für Einrichtungen, auch wenn wir an die Frage denken, was ist mit den Menschen, die in der katholischen Einrichtung Suizidbeihilfe fordern oder verlangen, wie geht man damit um?

Monsignore Stäps: Zunächst einmal haben wir natürlich eine ganze große Bandbreite von Einrichtungen und von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die hier beraten können. Das sind zum einen die Krankenhausseelsorgerinnen und Seelsorger. Da ist natürlich auch die Telefonseelsorge und dann im großen Bereich der Caritas gibt es sehr viel Beratungsangebot, das von jedem genutzt werden kann und zu dieser konkreten Frage, wie damit umzugehen ist, wenn jemand in einer katholischen Einrichtung eine Suizidbeihilfe verlangt, dann ist es natürlich so, dass man darauf den Menschen in keiner Weise jetzt ausgrenzen kann und sagen, der tut das, was Gott verboten hat und daher kümmern wir uns nicht mehr um ihn. Ganz im Gegenteil, gerade da ist die Seelsorge natürlich ganz wichtig und ich bin fest davon überzeugt, dass wenn dieser Mensch gut begleitet wird, auf der einen Seite medizinisch, auf der anderen Seite seelsorgerlich, dass sich dann auch solche Positionen verändern können.

Radio Horeb: Fehlt teilweise nicht die Wertschätzung für ältere Menschen, aber auch für Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen und zwar gerade in der heutigen Leistungsgesellschaft?

Monsignore Stäps: Genau, das ist das Problem, also das ist die große Gefahr, die sich hier auftut, dass Menschen, die krank sind, die behindert sind, die nicht dem Standard entsprechen, dass die an den Rand gerückt werden und im schlimmsten Falle sogar ausgegrenzt und aussortiert werden, also mir ist wirklich das Blut in den Adern gefroren, als sich jetzt in der Diskussion um Corona zum ersten Mal im Fernsehen tatsächlich die Positionen gehört habe, dass jemand sich dafür stark gemacht hat, dass Menschen über 84 keine Beatmungsgeräte mehr bekommen sollen. Soweit sind wir mittlerweile gekommen und ich halte das für unglaublich und das ist natürlich die Pflicht der Kirche, sich für diese Menschen einzusetzen, die oft keine eigene Stimme haben.

Radio Horeb: Muss hier vielleicht noch stärker die Stimme der Kirche auch vernehmbar werden, dass auch diese Menschen angenommen, gewollt und geliebt sind und dass sie einen Platz auch in der Gesellschaft haben und nicht nur am Rand von der Gesellschaft?

Monsignore Stäps: Ja, unbedingt, ich denke, in früheren Zeiten war es so, dass man ja ganz besonders auf die alten Menschen gehört hat. Sie galten als weise und waren sozusagen in die Mitte der Gesellschaft gerückt worden und ihr Rat war ganz wichtig. Heutzutage hat man so eine Wertschätzung der Jugend, dass die alten Menschen an den Rand geraten und hier ist es wirklich die Aufgabe der Kirche, die Gewichte zu verschieben und zu zeigen, wie wichtig für unsere Gesellschaft alte Menschen sind und dass wir sie unbedingt brauchen und nicht an den Rand der Gesellschaft drücken dürfen.

Radio Horeb: Die Unmöglichkeit der Heilung in der Perspektive des herannahenden Todes anzuerkennen, bedeutet nicht das Ende des medizinischen oder pflegerischen Handelns. So steht es im Schreiben des Vatikans mit dem Titel „Der barmherzige Samariter“. Ist hier nicht auf die Frage nach dem Leid zentral?

Monsignore Stäps: Ganz genau, also ich denke, das ist wirklich eine ganz wichtige Frage. Das ist gut, dass wir darüber noch sprechen, denn natürlich geht es zunächst einmal darum, dass wir Leid lindern müssen, wenn Menschen Schmerzen haben, ist es wichtig, dass die Medizin in der Lage ist, das zu lindern. Doch auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch den Sinn des Leidens neu entdecken. Jesus ist am Kreuz gestorben, um uns zu zeigen, dass Leid sinnvoll ist und dass es mit der Gegenwart Gottes verbunden ist und dass wir Gott im Leid entdecken  können und darum muss es bei dieser ganzen Diskussion auch darum gehen, dass wir das Leid nicht einfach wegschieben, sondern versuchen, im Leid Gott zu begegnen.

Johannes Wieczorek im Gespräch mit Domkapitular Msgr. Dr. Heinz Stäps. Er ist Leiter der Hauptabteilung – Glaubensfragen und Ökumene im Bistum Rottenburg Stuttgart. Stäps hat an der Orientierungshilfe zum Sterbehilfe-Urteil mitgearbeitet, die die katholische und die evangelische Kirche in Württemberg nun veröffentlicht haben.

(radio horeb - mg)

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25. November 2020, 10:40