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Der Davidstern an der Außenseite einer Synagoge Der Davidstern an der Außenseite einer Synagoge 

D: „Wir sind froh, dass Juden unter uns leben”

Als katholische Kirche öffentlich gegen antisemitische Äußerungen in der Politik vorzugehen, ist „manchmal mit Ärger verbunden”, aber unerlässlich. Das sagte im Gespräch mit Radio Vatikan der Bischof von Erfurt, Ulrich Neymeyr. Wir befragten den mitteldeutschen Bischof zur ökumenischen Antisemitismus-Plakataktion #jüdisch - beziehungsweise - christlich: näher als Du denkst, die im Januar beginnt.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Deutschland hat eine einzigartig unmenschliche Geschichte des Antisemitismus. Heute, 75 Jahre nach dem Ende des Holocaust, sehen wir in Deutschland sogar ein versuchtes Attentat auf eine Synagoge, und wir sehen auch antisemitische Wortmeldungen wieder zunehmen. Woran liegt das?

Bischof Ulrich Neymeyr: Ich denke, dass das verschiedene Ursachen hat. Man wird ja sicher auch unterscheiden müssen zwischen Wet- und Ostdeutschland. Weil in Ostdeutschland keine Auseinandersetzug mit Antismistismus und Holocaust stattgefunden hat. Aber es gibt auch grundsätzlich die Haltung, dass man jetzt lang genug über den Holocaust in Sack und Asche gegangen sei und es jetzt auch mal gut sei. Dann ist es gar nicht weit, von einer Verharmlosung des Antisemitismus und auch des gewalttätigen Antisemitismus weiterzukommen zu einer Gutheißung, dass so etwas geschieht. Ein bisschen eine Widerholung dessen, was wir es in Halle [beim versuchten Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019] erleben mussten.

„Ja. Der Antisemitismus hat christliche Wurzeln“

Die Antisemitismus-Kampagne der deutschen Bischöfe ist eine ökumenische Kampagne. Warum ist diese ökumenische Zusammenarbeit bei kaum einem anderen Thema so sinnvoll wie hier? Gibt es einen christlich gefärbten Antisemitismus in Deutschland?

Bischof Ulrich Neymeyr: Ja. Der Antisemitismus hat christliche Wurzeln. Es gab auch Wegbereiter des Antisemitismus und Holocaust unter Christen, katholischen wie evangelischen. Hier ist es auch nötig, Geschichte aufzuarbeiten. Und heute ist es nötig, in der Gegenwart, den Christen zu verdeutlichen, wie wir als Christen unser Verhältnis zum Judentum sehen.

Nämlich?

Bischof Ulrich Neymeyr: Ich bin dankbar, dass es seit dem II. Vatikanischen Konzil die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum gibt. Hier sind große Fortschritte erzielt worden, und 60 Jahre nach der Konzilserklärung Nostra Aetate wurde 2015 eine wichtige Erklärung dieser Kommission veröffentlicht, in der steht, dass Gott seinen Bund mit dem Volk Israel niemals aufgekündigt hat, sondern dass dieser Bund weiterbesteht. Also nicht: Wir sind als Christen in einem neuen Bund, und der alte hat aufgehört zu existieren – das ist nicht so! Der alte Bund Gottes mit Israel besteht nach wie vor. Deswegen sollen wir die Juden als unsere älteren Schwestern und Brüder bezeichnen, wie es auch Johannes Paul II. getan hat. Papst Benedikt hat darauf hingewiesen, dass das Verhältnis Gottes im Bund zu seinem Volk nicht nur ein juristisches Verhältnis ist, sondern ein persönliches Verhältnis. Und er hat vorgeschlagen zu sagen, dass Gott den Bund mit Israel nie bereut hat. Es ist wichtig, dass Christen das wissen.

Erinnerungen an die Reichsprogromnacht, auf die Stadtmauer von Jerusalem projiziert
Erinnerungen an die Reichsprogromnacht, auf die Stadtmauer von Jerusalem projiziert

Christen und Juden: Gut im Dialog, mäßig in der Praxis?

Tatsächlich ist auf der Ebene des Dialogs das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und dem Judentum nie besser als heute gewesen. Auf der anderen Seite sehen wir, wie gesagt, Antisemitismus wachsen. Gibt Ihnen das zu denken?

Bischof Ulrich Neymeyr: Ja, das gibt mir sehr zu denken. Ich sehe zunächst den Auftrag, möglichst viele Christen zu erreichen, dass sie wissen, wie das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum definiert ist. Das ist eine Frage der theologischen Ausbildung, dass Pfarrer und Religionslehrerinnen vorbereitet sind, nicht Vorgestriges sagen, sondern auf der Höhe der theologischen Entwicklung predigen und ihren Unterrricht gestalten. Das Anliegen verfolgen wir auf vielen Ebenen. Deshalb haben wir gerne die Initiative aufgegriffen, die eigentlich eine Idee der evangelischen Kirche in Berlin war, bei der dann die deutschen Bistümer und die evangelischen Landeskrichen mitgemacht haben, weil es schön ist, mit kurzen Plakaten und prägnant darüber nachzudenken, was das Gemeinsame und Unterschiedliche ist zwischen Ostern und Pessach, zwischen Pfingsten und Sukkot und Sonntag und Sabbat. Wir hoffen, dass durch diese Aktion auch bei der Erwachsenenbildung das, was momentan Stand des Verhältnisses ist, in die Köpfe der Christen kommt.

Papst Franziskus hat gesagt: ,Ein Christ kann kein Antisemit sein!‘ Wir sehen aber, wenn wir den Blick über die christlichen Gegebenheiten hinaus erweitern, einen antireligiösen oder auch einen muslimischen Antisemitismus. Was können wir als Christen tun, um jüdische Menschen in unseren Gemeinschaften besser zu schützen?

Bischof Ulrich Neymeyr: In dem Fall ist es unser Auftrag, die Botschaft auch in die Gesellschaft hineinzutragen. Dann ist es nicht mehr eine theologische Frage, sondern der Menschlichkeit und Humanität, die keinen Menschen ausschließt, aus welchen Gründen auch immer, wegen seiner Herkunft oder Religion. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, diese Botschaft in die Welt hineinzusagen. Das ist manchmal mit Ärger verbunden, wenn man sich zu konkreten Äußerungen von Politikern zu Wort meldet, aber auch eine grundsätzliche Herausforderung für die Gesellschaft: zu zeigen, wie die Juden unter uns leben, und zum Ausdruck zu bringen, wir sind froh, dass Juden unter uns leben, dass wir ihre Kultur unter uns haben, die uns bereichert!

Das war das Grundanliegen einer großartigen Idee, die in Köln geboren worde. Dort wurde eine Urkunde gefunden, derzufolge im Jahr 321 mit Sicherheit Juden in Köln gelebt haben. Damit können wir nächstes Jahr 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland begehen. Wir haben uns hier in Thüringen einklinken können, weil ein archäologischer Befund der Synagoge in Erfurt bezeugt, dass es in Thüringen schon 900 Jahre jüdisches Leben gibt. Dazu wird es es eine Reihe von Veranstaltungen, hoffentlich trotz Corona, geben können. So etwas ist ein wichtiger Beitrag: nicht nur politisch und öffentlich sich gegen jede Form von Antisemitismus zu wenden, sondern auch positiv zu sagen, wir sind froh, dass Juden unter uns leben, und wir wollen auch wahrnehmen, wie sie leben und ihren Glauben feiern.

#beziehungsweise: jüdisch und christlich

Die katholische und die evangelische Kirche wollen in Deutschland ab Januar 2021 mit einer Plakatkampagne gegen Antisemitismus vorgehen und für ein stärkeres Miteinander zwischen Christen und Juden werben. Die Initiative "#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst" wurde vergangene Woche in Berlin vorgestellt. Sie vereint 13 Plakatmotive für Januar 2021 bis Januar 2022, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede jüdischer und christlicher Feiertage wie Chanukka und Weihnachten oder Purim und Fasching thematisieren. In Planung ist auch ein Begleitprogramm mit Predigtreihen, religionspädagogischen Projekten und Podiumsveranstaltungen.

(vatican news)

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23. November 2020, 08:08