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Im Wortlaut: Benedikts Nachruf auf seinen Bruder Georg Ratzinger

Wir dokumentieren hier im Wortlaut den Nachruf des emeritierten Papstes Benendikt XVI. auf seinen Bruder Georg Ratzinger, den Erzbischof Georg Gänswein beim Requiem für den verstorbenen früheren Domkapellmeister am 8. Juli im Regensburger Dom verlas.

Lieber Bischof Rudolf,

in dieser Stunde, in der du meinem Bruder den letzten brüderlichen Dienst erweist, ihm das Geleit auf dem letzten irdischen Wegstück gibst, bin ich mit dabei. Es drängt mich ein Wort des Dankes zu sagen für alles, was du in diesen Wochen des Abschieds getan hast und tust. Mein Dank gilt auch all jenen, die sichtbar oder unsichtbar in diesen Wochen bei ihm waren und ihm ihre Dankbarkeit für das gezeigt haben, was er in seinem Leben für sie getan und erlitten hat.

Hier der brüderliche Nachruf, verlesen im Regensburger Dom von Erzbischof Georg Gänswein

Das Echo auf sein Leben und Wirken, das ich in diesen Tagen in Form von Briefen, Telegrammen und Emails erhalten haben, geht weit über das hinaus, was ich mir hatte vorstellen können. Menschen aus vielen Ländern, aus allen Ständen und Berufen haben mir geschrieben in einer Weise, die mein Herz berührt. Jedem Einzelnen müsste ich eigentlich eine persönliche Antwort zukommen lassen, dazu fehlt mir leider Kraft und Zeit und ich kann bei dieser Gelegenheit nur danken für das Mitgehen in diesen Stunden und Tage. Der Satz von Kardinal Newman bewahrheitet sich für mich gerade jetzt: cor ad cor loquitur. Durch das Papier hindurch und über alles Papierene hinaus spricht Herz zu Herz.

Drei Eigenschaften: Musikalität, Geselligkeit, Frömmigkeit

Es waren vor allem drei Eigenschaften meines Bruders, die in vielen Varianten immer wiederkehrten und die auch mein persönliches Gefühl in dieser Stunde des Abschieds wiedergeben.

Zuerst und vor allem wird immer wieder gesagt, dass mein Bruder seine Berufung zum Priestertum zugleich als musikalische Berufung empfangen und verstanden hat. Schon in Tittmoning in den ersten Jahren seines Schullebens hat er sich über die Kirchenmusik sorgsam nicht nur informiert, sondern erste Schritte getan, um sie selbst zu erlernen. Er hat sich in Tittmoning oder in Aschau darüber erkundigt, wie der Beruf heiße, den ein Priester am Dom für die Kirchenmusik ausübt. Dabei hat er den Namen Domkapellmeister erfahren, in dem er irgendwie die Richtung seines Lebens angedeutet sah. Als er tatsächlich zum Domkapellmeister in Regensburg berufen wurde, war es ihm Freude und Schmerz zugleich, denn unsere Mutter war fast gleichzeitig mit Domkapellmeister Schrems aus dieser Welt abgerufen worden. Wenn Mutter weiter gelebt hätte, hätte er den Ruf nicht angenommen, Chef der Regensburger Domspatzen zu sein.

„Ihnen allen gilt auch mein herzlicher Dank in dieser Stunde, in der ich neu erfahren durfte, wie er als Priester und als Musiker priesterlicher Mensch gewesen und immer neu geworden ist“

Dieser Dienst ist für ihn immer mehr zur Freude geworden, die freilich durch vielerlei Leid erkauft werden musste. Feindseligkeit und Ablehnung haben vor allem anfangs nicht gefehlt. Zugleich ist er aber Vater für viele junge Menschen geworden, die ihm dankbar als seine Domspatzen zur Seite standen und stehen. Ihnen allen gilt auch mein herzlicher Dank in dieser Stunde, in der ich neu erfahren durfte, wie er als Priester und als Musiker priesterlicher Mensch gewesen und immer neu geworden ist.

Eine andere Eigenschaft meines Bruders möchte ich noch erwähnen. Da ist zum einen seine heitere Geselligkeit, sein Humor, seine Freude an den guten Gaben der Schöpfung. Zugleich aber war er ein Mann des direkten Wortes, indem er seine Überzeugung offen aussprach. Er hat über 20 Jahre in weitestgehender Blindheit gelebt und war so von einem guten Teil der Wirklichkeit ausgeschlossen. Dieser große Verzicht war immer schwer für ihn, aber er hat ihn auch stets von innen her angenommen und bestanden.

„Auch wenn er seine Frömmigkeit nicht zeigte, so war sie doch über alle Nüchternheit und Redlichkeit die eigentliche Mitte seines Lebens.“

Im Letzten aber war er doch ein Mensch Gottes. Auch wenn er seine Frömmigkeit nicht zeigte, so war sie doch über alle Nüchternheit und Redlichkeit die eigentliche Mitte seines Lebens.

Am Schluss möchte ich dafür danken, dass ich in den letzten Tagen seines Lebens noch einmal mit ihm zusammen sein durfte. Er hatte mich nicht um einen Besuch von mir gebeten. Aber ich spürte, dass es die Stunde war, um noch einmal zu ihm zu fahren. Um dieses innere Zeichen, das der Herr mir geschenkt hat, bin ich zutiefst dankbar. Als ich am Montag, den 22. Juni, morgens bei ihm mich verabschiedete, wussten wir, dass es ein Abschied aus dieser Welt für immer sein würde. Aber wir wussten auch, dass der gütige Gott, der uns auf dieser Welt dieses Zusammensein geschenkt hat, auch in der anderen Welt regiert und uns dort ein neues Miteinander schenken wird.

Vergelts Gott, lieber Georg, für alles, was du getan, erlitten und mir geschenkt hast. Und vergelts Gott nochmals dir, lieber Bischof Rudolf, für den ganz außergewöhnlichen Einsatz, den du in diesen für uns beide nicht leichten Wochen geleistet hast. Herzlich, dein Benedikt XVI. 

(vatican news)

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08. Juli 2020, 12:30