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Missbrauchsaufarbeitung: Gemeinsames „starkes Fundament"

Als „starkes Fundament“ für die Aufarbeitung von Missbrauch im kirchlichen Bereich in Deutschland wertet im Gespräch mit Radio Vatikan der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, die jüngste Abmachung der Bischöfe mit der Regierung zum Thema. Mit einer „Gemeinsamen Erklärung“ hatte sich die Bischofskonferenz am Dienstag für einheitliche Standards der Aufarbeitung von Missbrauch in allen Diözesen ausgesprochen.

Radio Vatikan: Herr Rörig, der gemeinsame Schritt der Kirche und Regierung sei „ohne Vorbild in Deutschland“ und könne beispielgebend für den Kampf gegen Missbrauch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sein, heißt es in der gemeinsamen Presseerklärung der Bischöfe und von Ihnen vom Dienstag. - Was ist das Besondere an der neuen Abmachung, die Sie als Unabhängiger Beauftragter der Regierung mit der DBK nun getroffen haben?

Rörig: Das Besondere ist, dass wir jetzt in Deutschland für die katholische Kirche ein sehr starkes Fundament für die konkrete Aufarbeitung von verjährtem sexuellem Missbrauch haben – und zwar durch die Einrichtung von unabhängigen Aufarbeitungskommissionen in allen 27 Diözesen, in denen auch Betroffene und unabhängige Experten fest eingebunden sind. Und in der Gemeinsamen Erklärung konnten wir vereinbaren, dass die Vertreter der Bistümer in den Kommissionen nicht die Mehrheit innehaben.

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Radio Vatikan: Es soll fortan eine „umfassende, vergleichbare und abgestimmte Aufarbeitung“ sexuellen Missbrauchs in den deutschen (Erz-)Diözesen garantiert werden, ist zu lesen. Was sind die konkreten Aufgaben der Aufarbeitungskommissionen?

Rörig: Die Aufgaben der Kommissionen sind sehr klar beschrieben. Sie haben die Aufgabe, den Missbrauch aufzuarbeiten, das heißt Tatsachen, Ursachen und Folgen von Missbrauch in den Einrichtungen in den einzelnen Diözesen zu erfassen und auch die konkreten Strukturen vor Ort zu identifizieren, die sexuellen Missbrauch ermöglicht und erleichtert haben und dessen Aufdeckung erschwert haben. Und es geht auch darum, zu identifizieren, wie der administrative Umgang mit Tätern und Täterinnen und auch mit Betroffenen erfolgt ist, um daraus auch Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen. Die Kommissionen haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit über ihre Ergebnisse und Erkenntnisse zu unterrichten. Einmal im Jahr treffen sich alle Vorsitzenden der einzelnen Kommissionen zu einem Austausch – das finde ich sehr wichtig, weil es geht ja auch darum, eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Bistümern herzustellen.

Radio Vatikan: Missbrauch begünstigende Strukturen sollen nachgezeichnet werde, sagen Sie. Die MHG-Studie von 2018 hatte ja systemische Probleme der Kirche bei der Missbrauchsaufarbeitung benannt. Inwiefern wäre eine strukturelle Änderung denkbar, welche Konsequenzen können wir erwarten?

Rörig: Die MHG-Studie hatte systemische Probleme im Bereich der Kirche selbst festgestellt – zum Beispiel die Frage der Rolle der Frau oder auch die Machtverhältnisse innerhalb des Bereiches der Geistlichen. Mit diesen Fragen haben wir uns absichtlich nicht beschäftigt, das ist innerkirchliche Angelegenheit. Mit der Gemeinsamen Erklärung haben wir uns konzentriert auf die strukturellen Fragen der Aufarbeitung, auf die Sicherstellung eines Betroffenen-sensiblen Umgangs mit den Betroffenen und wir haben uns konzentriert auf die Unterstützung der Betroffenen bei ihrer individuellen Aufarbeitung, da geht es auch um seelsorgerliche und therapeutische Hilfen, die den Betroffenen zugesagt wurde, es geht um Gesprächsangebote mit Verantwortlichen der Kirche, aber auch um die Unterstützung der Vernetzung von Betroffenen, ihr Empowerment, so dass möglichst die Aufarbeitung auf Augenhöhe individuell stattfinden kann.

Radio Vatikan: Zentral ist laut der gemeinsamen Erklärung die Rolle der durch Missbrauch Betroffenen in der zukünftigen Aufarbeitung verankert. Inwiefern?

Rörig: Wir haben für die Zusammensetzung der Kommissionen festgelegt, dass mindestens zwei Betroffene darin Mitglied sind neben mindestens zwei unabhängigen Expertinnen und Experten.

Radio Vatikan: Der Betroffenen-Zusammenschluss Eckiger Tisch sagte gestern in einer Presseerklärung, man erwarte sich, dass sich alle Bischöfe auf die Einhaltung der definierten Standards verpflichten – haben Sie das Signal, dass alle Bischöfe da verbindlich mitgehen? Und gibt es so etwas wie Mechanismen, die garantieren, dass die Abmachungen auch umgesetzt werden?

Rörig: Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass mit der Annahme der Gemeinsamen Erklärung jetzt so etwas wie eine unumkehrbare und verbindliche Entscheidung getroffen wurde von den Bischöfen. Das ist eine sehr wichtige Entscheidung, ich habe auch von einer historischen Dimension gesprochen. Und ich glaube nicht, dass sich hier auch nur ein Bischof die Entscheidung leichtgemacht hat und natürlich schon mitgedacht hat, dass es jetzt darauf ankommt, dass jetzt die Aufarbeitung im jeweiligen Bistum konkret vorangebracht wird. Es haben sich auch schon erste Bistümer bei mir gemeldet, um zu schauen, wie das, was bisher schon zur Aufarbeitung unternommen wurde, jetzt mit der Gemeinsamen Erklärung in Einklang gebracht werden kann. Jetzt kommt es darauf an, dass die Ortsbischöfe zügig die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen in ihren Bistümern schaffen, so dass dann auch mit den Anhörungen, Erhebungen, Untersuchungen begonnen werden kann und dann auch die Ergebnisberichte möglichst nach einem Jahr erstmals schon veröffentlicht werden.

Radio Vatikan: Das Thema Missbrauch war in Deutschland ja ein Hauptmotor des Synodalen Weges. Welche Hoffnung setzen Sie hinsichtlich der Missbrauchsprävention in diesen Reformweg?

Rörig: Ich bin von staatlicher Seite diesbezüglich zurückhaltend, dazu bin ich verpflichtet, wünsche aber der katholischen Kirche, dass bei den zentralen Fragen, die dort besprochen werden – Frauen, Macht, Klerikalismus, Zölibat – zukunftsweisende Entscheidungen getroffen werden.

Radio Vatikan: Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf? Der Eckige Tisch hat etwa kritisiert, dass die Ordensgemeinschaften in der Vereinbarung nicht mit dabei sind.

Rörig: Die Orden waren an den Gesprächen, die wir mit Bischof Ackermann hatten, beteiligt. Jetzt ist es auch wichtig, dass für die katholischen Orden eine Lösungsmöglichkeit gefunden wird, Missbrauch in ihren eigenen Zuständigkeiten aufzuarbeiten. Wir wissen ja, dass katholische Orden häufig Träger von katholischen Bildungseinrichtungen waren. Ich bin da aber mit der deutschen Ordensoberen-Konferenz in der Diskussion, um hier einen Lösungsweg zu finden vor dem Hintergrund der Entscheidung der Bischöfe.

Die Fragen stellte Anne Preckel.


(vatican news – pr)

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29. April 2020, 14:05