Magdalena Holztrattner, Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreich Magdalena Holztrattner, Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreich 

Österreich mit neuer Regierung: „Hoffen, dass der Hass verschwindet“

Licht und Schatten weist aus Sicht der katholischen Soziallehre das Programm der neuen Regierung in Österreich auf, die am Dienstag angelobt wurde. Im Gespräch mit uns lobt die Direktorin der katholischen Sozialakademie Österreichs, Madgalena Holztrattner, den Fokus auf Klima- und Geschlechtergerechtigkeit. Sie hoffe auch, dass sich die Stimmung in Österreich mit dieser Regierung „wieder ändert hin zu mehr Vertrauen, Solidarität, Achtsamkeit im Umgang miteinander.“
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Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Radio Vatikan: Erstmals bestimmt eine Koalition aus Konservativen (ÖVP) und Grünen die politischen Geschicke in Österreich. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dieser neuen Regierung?

Holztrattner: Meine Hoffnung lege ich darauf, dass sich die Stimmung in Österreich mit dieser Regierung wieder ändert hin zu mehr Vertrauen, Solidarität, Achtsamkeit im Umgang miteinander. Es geht darum, das Gemeinwohl wieder in den Mittelpunkt zu stellen, also der gemeinsame politische und gesellschaftliche Blick darauf, dass das gute Leben aller Menschen in Österreich – und auch darüber hinaus – möglich bleibt. Sprache ist ein Hauptinstrument von Politik. Daher hoffe ich, dass sowohl Abwertung ganzer Menschengruppen, Hass nicht nur in den sozialen Medien und eine populistische Politik der zu einfachen schwarz-weiß-Lösungen mehr und mehr aus Österreich verschwindet.

Radio Vatikan: Wie beurteilen Sie die politischen Ziele der neuen türkis-grünen Regierung mit Blick auf die soziale Frage?

Holztrattner: Der Sozialstaat wurde in Österreich bereits in mehreren Regierungskonstellationen der vergangenen Jahrzehnte sukzessive abgebaut. Da wünsche ich mir als Direktorin der ksoe, dass staatlich gesicherte Solidarität bei individuellen Krisen wie Krankheit, Armut im Alter, Arbeitslosigkeit oder Leben mit Behinderung in Form eines starken Sozialstaates weiterhin die Lebensqualität der Bevölkerung positiv beeinflusst. Die soziale Gerechtigkeit eines Staates zeigt sich nämlich dann am besten, wenn man ihn aus der Perspektive von Menschen beurteilt, die vom Leben gebeutelt werden oder die schlicht nicht in Österreich zur Welt kamen.

Radio Vatikan: Und bei der geplanten öko-sozialen Steuerreform?

Holztrattner: Da liegt meine große Hoffnung darin, dass Österreich sich mit umsichtig und mutig angesetzten Schritten zum Vorzeigeland der EU mausert und beweist, dass Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stärke auch gut zusammen gelebt werden können.

Radio Vatikan: Das Regierungsprogramm umfasst auf 300 Seiten sechs große Kapitel, darunter Wirtschaft, Klima, Europa und Migration, soziale Sicherheit und Armutsbekämpfung, Bildung. Beurteilen Sie das Programm als ausgewogen? Oder gibt es Lücken?

Holztrattner: Lücken sind menschlich – auch in einem ambitionierten Regierungsprogramm. Wo ich mir allerdings Sorgen mache, ist die Frage, wie die Umsetzung der genannten Ziele in Klimaschutz und Armutsminderung v.a. für Frauen und Kinder sowie die Senkung der Steuerlast auf den Faktor Erwerbsarbeit oder die Finanzierung der Pflegeinitiative erreicht werden können, wenn zugleich keine neuen Schulden gemacht werden und andere Einnahmequellen wie die öko-soziale Steuer erst mittelfristig erschlossen werden sollen. Auch neue Einnahmequellen wie die Besteuerung von Flugkerosin oder kurzfristiger Gewinne aus Finanztransaktionen können fast nur im europäischen oder internationalen Konsens erschlossen werden. Wie das finanziell aufgehen soll, ist im Regierungsprogramm nicht deutlich zu erkennen.

„Wie das finanziell aufgehen soll, ist im Regierungsprogramm nicht deutlich zu erkennen“

Eine Lücke nehmen wir auch wahr mit Blick auf Arbeit und ihre innovativen Formen. Die Generation 50plus, die besonders hart von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen ist, wird nicht hervorgehoben. Auch wird Arbeit durchgehend weiterhin gleichgesetzt mit Erwerbsarbeit, wobei aber unbezahlte Arbeit wie Pflege, Erziehung oder Ehrenämter das Funktionieren der Gesellschaft bedingt.

Radio Vatikan: Die ÖVP hat im Regierungsprogramm ein Kopftuchverbot für unter 14-jährige Schülerinnen durchgesetzt. Wie interpretieren Sie dieses Anliegen?

Holztrattner: Dieser Punkt ist als Zugeständnis der von der FPÖ zur ÖVP gewechselten Wählerschaft zu interpretieren, und er ist sehr problematisch. Bereits die österreichische Bischofskonferenz hat sich gegen dieses Kopftuchverbot geäußert, da hier die Frage von Religionsfreiheit genauso betroffen ist wie der -  aus Frauenperspektive betrachtete - Eingriff in die körperliche Integrität grade von jungen Frauen. Die Maßnahme zielt wohl auf die Integration Zugewanderter und auf den Schutz von Frauen gegen (geistliche) Gewalt – aber das muss anders gelöst werden.

Radio Vatikan: Und wie?

Holztrattner: Zum Beispiel durch breite Bildungs- und Aufklärungsarbeit in allen Bevölkerungsschichten, für Männer wie Frauen. Oder durch die Stärkung von auch beruflichen Zukunftsperspektiven gerade von Migranten und Migrantinnen nicht deutscher Muttersprache. Jedenfalls: Mitglieder einer Glaubensrichtung oder einer Bevölkerungsgruppe plakativ abzuwerten und auszugrenzen, dient nicht dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und dem Vertrauen in einer pluralen Welt.

Radio Vatikan: Österreich hat 2015 und 2016 sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, danach kam ein massiver Meinungs- und politischer Umschwung in Bezug auf die Flüchtlingsfrage, die heute noch zentral für die Befindlichkeit im Land ist. Österreichs neue Regierung will eine „Sicherungshaft [von Migranten] zum Schutz der Allgemeinheit“ einführen. Gerechtfertigt?

Holztrattner: Auch hier sehe ich, wie beim Kopftuchverbot, Zugeständnisse der Regierung an populistische Kräfte im Land. Die Unsicherheiten, die mit dem Zuzug von Flüchtlingen im Jahr 2015 in der Bevölkerung zu merken ist, hat auch damit zu tun, wie diese Menschen durch die Politik beurteilt werden, die in Österreich Schutz suchen vor Tod, Vergewaltigung, Krieg und politischer Verfolgung.

„Dass sich viele Menschen von Flüchtlingen bedroht fühlen, hat wohl auch damit zu tun, dass die Besitzverhältnisse in Österreich ungleich verteilt sind“

Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt und hat ein - noch- starkes soziales Netz. Dass sich viele Menschen von Flüchtlingen bedroht fühlen, hat wohl auch damit zu tun, dass der Reichtum und die Besitzverhältnisse in Österreich ungleich verteilt sind - Stichwort leistbares Wohnen oder Altersarmut von Frauen. Mit Blick auf den Umgang mit Geflüchteten ist auch darauf zu achten, inwiefern sie als Projektionsfläche allgemeiner gesellschaftlicher Unsicherheiten missbraucht werden. Auch die demographische Entwicklung ist ohne Zuzug – und gute Integration der Zugezogenen – nicht zu bewältigen. Ohne Einwanderung ist Österreich vom Aussterben bedroht.

Radio Vatikan: Kanzler Sebastian Kurz hat sein Programm auf die Formel gebracht: „Klima schützen und Grenzen schützen“. Was ist zu diesem Slogan aus Sicht der katholischen Soziallehre zu sagen?

Holztrattner: Sozialethik fragt immer nach dem Wie und dem Warum gesellschaftlicher Verhältnisse. Und danach, wie sehr die Menschen in ihrer Würde im Zentrum stehen. Ist es möglich, „Klima- und Grenzschutz“ enkeltauglich und zugleich entsprechend den Menschenrechten zu gestalten? Ist das gute Leben, das damit der österreichischen Bevölkerung versprochen wird, auch für jene gut, die erst in 20 Jahren geboren werden oder die heute in Ländern leben, die von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind? Der Bau neuer Mauern hilft nicht, die Fluchtursachen zu bekämpfen

Radio Vatikan: Für Österreich ist es die erste konservativ-grüne Regierung. Wo sehen Sie den großen Schwenk im Vergleich zur gestürzten Vorgängerregierung aus Konservativen und Rechtskonservativen (FPÖ)?

Holztrattner: Dass die beiden – auch sozialethisch relevanten - Themen Klimagerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit nicht nur im Vorwort dieses Regierungsprogramms zentral verortet sind, sondern sich als Querschnittthemen in den meisten Kapiteln findet, kann als deutlicher Schwenk weg von der Grundhaltung der letzten gewählten türkis-blauen zur jetzigen türkis-grünen Regierung beurteilt werden. Dasselbe gilt für die wieder genannte Aufwertung der Sozialpartnerschaft sowie die Stärkung der Integration von Zugewanderten.

 

(vatican news)

 

 

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08. Januar 2020, 14:05