Jesuitenpater Hans Zollner Jesuitenpater Hans Zollner 

Kinderschutzexperte: Vertrauen zurückgewinnen ist ein langer Weg

Die Bekanntgabe des Papstes das päpstliche Geheimnis bei Missbrauchsfällen aufzuheben, wertet der Kinderschutz-Experte Pater Hans Zollner als weiteren Schritt für mehr Transparenz. Das sagte der deutsche Jesuit im Gespräch mit Radio Vatikan an diesem Mittwoch. Um das durch die Missbrauchskrise verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen, wird die Kirche einen langen Atem und jahrzehntelange ernsthafte Anstrengungen im Bereich der Aufarbeitung und Prävention brauchen, betonte er in einem Interview mit „Kathpress“.

Im Gespräch mit unseren Kollegen der italienischen Abteilung würdigte Pater Zollner die Papst-Entscheidung. Das Interview mit Kathpress hingegen fand statt noch kurz bevor die Ankündigung der Aufhebung des päpstlichen Geheimnisses bei Missbrauchsfällen bekannt wurde. Die katholische Kirche in Österreich wie auch in einigen anderen Ländern Zentraleuropas, in den USA, Kanada oder Australien, sah Zollner im „Kathpress“-Interview auf einem guten Weg in Sachen Missbrauchsprävention und Aufarbeitung. Die Kirche leiste sehr viel, wesentlich mehr als dies in anderen Bereichen der Gesellschaft der Fall sei, so der Eindruck des Jesuiten. Freilich gebe es immer noch mehr zu tun.

Zum Nachhören

„Das geht nicht von heute auf morgen, die Menschen müssen spüren, dass es der Kirche ernst ist und sie wieder ein sicherer Ort für Kinder, Jugendliche und andere Schutzbefohlene ist“, so Pater Zollner.

Resultate der Kinderschutz-Konferenz

Die Aufhebung des päpstlichen Geheimnisses bei Missbrauchsfällen war eines der Resultate des vatikanischen Kinderschutz-Gipfels im vergangenen Februar. Pater Zollner war an der Gestaltung der Konferenz maßgeblich beteiligt. Der Gipfel habe weltweit Schwung in die Auseinandersetzung mit der Problematik gebracht, würdigt der Jesuit die Nachwirkungen des Bischofstreffens. Papst Franziskus habe zudem die Kirchenrechtsnormen gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche verschärft. Die neuen Vorschriften des Dokuments mit dem Titel „Vos estis lux mundi“ (Ihr seid das Licht der Welt) gelten zunächst für drei Jahre und traten mit dem 1. Juni 2019 in Kraft. Unter anderem müsse jede Diözese bis 1. Juni 2020 ein Prozedere entwickeln, wie Missbrauchsfälle anzuzeigen sind. Ein weiterer wichtiger Schritt sei etwa die allgemeine Meldepflicht für Geistliche und Ordensleute, wenn ein Verdacht von Missbrauch vorliegt. Und dabei gehe nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern auch um Machtmissbrauch.

„Sag den beiden, dass ich für sie bete“

Papst Franziskus sei das Thema ein besonders großes Anliegen, so Zollner. Er berichtete unter anderem dass sich der Papst privat immer wieder mit Betroffenen treffe. Franziskus habe sich bei ihm - Zollner - einmal bei einer Begegnung im Vatikan nach dem Befinden von zwei deutschen Missbrauchsopfern erkundigt, die 15 Monate zuvor in Zollners Begleitung mit dem Papst ein längeres Gespräch geführt hatten. Franziskus habe sich an alle Details noch erinnern können – „an ihre Geschichte, ihren Beruf, woher sie kamen, wie sie familiär aufgestellt waren. Und dann sagte er mir: Sag den beiden, dass ich für sie bete.“

Als er dies kurz darauf den beiden Angesprochenen mitgeteilt habe, seien diese davon sehr bewegt gewesen, so Zollner. Es liege in der „großen Verantwortung“ der Kirche, wie sie den Glauben lebe und ihre Botschaft glaubwürdig verkünden könne, so der Jesuit. Besonders gelte dies gegenüber den „Kleinsten und Verwundeten“, der die Kirche Empathie und Zuwendung schulde.

Zollner hielt am Montagabend an der Universität Wien einen Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Sexueller Missbrauch von Minderjährigen: Verbrechen und Verantwortung“. Der Jesuit ist Theologe, Psychologe und Psychotherapeut und lehrt seit 2003 am Institut für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom; seit 2010 ist er dort Vizerektor. Zollner ist u.a. aber auch Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission und Präsident des „Centre for Child Protection“ an der Gregoriana.

Lage in Osteuropa

Zur Situation der Kirche in Osteuropa wies der Jesuit darauf hin, dass das päpstliche Kinderschutzzentrum im vergangenen September in Zagreb in Zusammenarbeit mit der kroatischen Bischofskonferenz und der örtlichen katholischen Universität eine internationale Konferenz veranstaltet hatte; mit Teilnehmern aus 22 Ländern Mittel- und Osteuropas. Positive Entwicklungen ortete der Jesuit etwa in Polen, Tschechien oder der Slowakei.

Viele Menschen, die im Kommunismus aufgewachsen sind, würden sich aber mit der Thematik außerordentlich schwertun. Als Katholik habe man über Jahrzehnte ein kirchenfeindliches Klima erlebt und die Kirche sei zugleich der letzte Hort von Freiheit gewesen. Priester seien Repräsentanten dieser Freiheit und die einzigen Widerständler gewesen. Und deshalb sei es für viele Menschen so schwer einzugestehen, „dass es auch damals in der Kirche Missbrauch gegeben hat“, erläuterte Zollner.

Missbrauch und Liturgie

Zollner hatte in der Vergangenheit immer wieder bemängelt, dass es in der Kirche kaum eine Diskussion gebe zur Frage: „Was will Gott uns mit diesem Skandal sagen?“ Seine persönliche Vermutung dazu: „Gott will uns aufrütteln. Wir waren zu selbstzufrieden und nicht imstande, adäquat mit Kindern und Jugendlichen umzugehen. Gott ruft uns auf, uneingeschränkt zu dem zu stehen, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten falsch gelaufen und an Verbrechen passiert ist in der Kirche.“ Jesus identifiziere sich mit den Verwundeten und denen, die geheilt werden müssen. Es gelte das biblische Prinzip: „Die Wahrheit wird auch frei machen.“ Und er fügt noch einen Nachsatz an: „Und nur die Wahrheit.“

Im März 2020 werde genau zu diesen Fragen auch ein theologischer Kongress an der Gregoriana stattfinden, kündigte Zollner an. Eine der Fragen, die dabei behandelt werden sollen: Wie kann das Thema Missbrauch im Rahmen der Liturgie adäquat eingebracht werden. Zollner: „Viele Betroffenen haben das Anliegen, dass wir für und mit ihnen häufiger beten, als das derzeit der Fall ist.“ Ganz generell müsse das Leid der Opfer stärker in der Liturgie Platz finden, „in kreativer Weise und die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, selbst zu Wort zu kommen“.

(kap – mg)

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18. Dezember 2019, 09:46