Manfred Stolpe auf einem Archivbild aus dem Jahr 2004 Manfred Stolpe auf einem Archivbild aus dem Jahr 2004 

D: Wolfgang Thierse erinnert an Manfred Stolpe

Was für ein Mensch war Manfred Stolpe? Welche Rolle spielte sein Glaube? Was ist dran an den Stasi-Vorwürfen? Im Gespräch mit dem Kölner Domradio würdigt Wolfgang Thierse den am 29. Dezember 2019 verstorbenen Parteigenossen.

DOMRADIO.DE: Hat sich Manfred Stolpe um ein Zusammenwachsen Deutschlands besonders verdient gemacht?

Wolfgang Thierse: Ja, er war eine prägende Gestalt der evangelischen Kirche zu DDR-Zeiten, und er war eine prägende politische Gestalt nach der deutschen Vereinigung. In beiden Fällen, in beiden Eigenschaften, hatte er mit dem Zusammenwachsen der Deutschen zu tun. Als Konsistorialpräsident und einer der führenden Leute der evangelischen Kirchenleitung hat er viel für Menschen getan, die in den Westen gehen wollten. Er hat viele Kontakte ermöglicht, aufrechterhalten, gepflegt. Und nach 1990 als Ministerpräsident eines ostdeutschen Landes hat er dieses Land geprägt – für den Aufbau und für das, was wir innere Einheit nennen, vieles getan.

DOMRADIO.DE: Was waren die herausragendsten Eigenschaften von Manfred Stolpe?

Thierse: Er hat immer Verlässlichkeit ausgestrahlt, eine außerordentliche Ruhe. Er war ein Mann, der in sich gefestigt schien. Wenn man mit ihm redete und etwas vereinbart hatte, dann wusste man, das gilt. Diese Verlässlichkeit, die Fähigkeit, Sicherheit auszustrahlen, das war ja besonders wichtig in diesen dramatischen Umbruchzeiten der Neunzigerjahre. Da wurde er wirklich zum brandenburgischen Landesvater. Die Menschen haben ihm vertraut, dass er das Land aus den Schwierigkeiten herausführt. Wenn man sich dann noch einmal an Regine Hildebrandt erinnert, dann weiß man, dass das fast ein ideales Gespann war.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle hat das Christsein für Manfred Stolpe gespielt, auch als aktiver Politiker?

Thierse: Soweit ich das beurteilen kann, war er aus tiefer Überzeugung ein Christenmensch, ja auch ein frommer Mensch. Auch wenn er das äußerlich nicht gezeigt hat. Er war dadurch geprägt sein ganzes Leben lang. Diese Prägung kam von allem von seiner Mutter. Er hat die DDR nicht verlassen, wohl auch aus der christlichen Überzeugung heraus, dass man, wo Gott einen hingeschickt hat, bleibt und da seine Aufgabe erfüllt. Das hat er versucht. Man konnte es ihm immer auch ansehen, dass diese Ernsthaftigkeit, mit der gelebt hat, etwas mit seiner christlichen Überzeugung zu tun hatte.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist er an einer Krebserkrankung gestorben, die er schon seit 2004 gehabt hat. Er hat auch gemeinsam mit seiner Frau, die ebenfalls an Krebs erkrankt war, ein Buch geschrieben über die Krankheit, in der auch viel die Rede davon war, wie sehr sein Glaube ihm geholfen habe, dieses Schicksal zu tragen. War das ein Thema, über das Sie auch mit Herrn Stolpe Kontakt hatten?

Thierse: Nein, wenig. Er hat ja schon in seiner politisch aktiven Zeit wenig über Persönliches, Privates gesprochen. Das passte auch nicht zu ihm. Nur gelegentliche, seltene Andeutungen, wo er von sich sprach oder er auf mich als private Person eingegangen ist. Das gehörte zu seinem Lebensstil: In der Sache ruhig und entschieden und verlässlich zu agieren und nicht von subjektiven Prägungen öffentlich zu reden. Da war er, wie soll man sagen, ein protestantischer Preuße fast alter Schule.

DOMRADIO.DE: Sie sind in der katholischen Kirche aktiv, Manfred Stolpe war bekennender evangelischer Christ. Sie haben beide Spitzenpositionen in der SPD innegehabt. War da die Ökumene eigentlich auch Thema?

Thierse: Er hat das mit großem Respekt gesehen, mein katholisches Engagement, so wie ich mit Respekt gesehen habe, was er in und für die evangelische Kirche auch zu DDR-Zeiten geleistet hat. Ich habe ihn immer verteidigt gegen alle möglichen Verdächtigungen. Er hat im Auftrag der evangelischen Kirche mit dem SED-Staat, auch mit der Staatssicherheit verhandelt. Das war eine schwierige Aufgabe. Das war immer eine Gratwanderung. Wenn man so will ein Tanz über das Seil. Dass man mal ausrutscht, mag sein. Aber er war immer ein Mann der Kirche. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

DOMRADIO.DE: Das heißt, diese Vorwürfe, die es gegeben hat, er habe auch als Stasi-Spitzel gearbeitet, was dann aber später auch entkräftet worden ist. Denen haben Sie nie geglaubt?

Thierse: Nach allem, was ich aus dieser Zeit schon von ihm wusste, wusste ich, dass er da eine schwierige Rolle hatte. Im Auftrag der Kirche hat er gehandelt. Ich kann nicht im Einzelnen beurteilen, ob er dabei Fehler begangen hat. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass er immer ein Mann der Kirche geblieben ist und im Auftrag der Kirche gehandelt hat, mit Rückendeckung und dem Auftrag auch ausdrücklich der evangelischen Bischöfe.

DOMRADIO.DE: Heute ist ja viel von einem zerrissenen und gespaltenen Deutschland die Rede. Im Osten hat die AfD viele, viele Anhänger. Was bedeutet da das Vermächtnis von Manfred Stolpe. Was kann uns sein Leben an Impulsen geben?

Thierse: Das Vermächtnis ist eine Verpflichtung, sich unbeirrt für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen und sich nicht durch aktuelle Aufregungen und Vereinseitigungen darin irritieren zu lassen. In der Frage, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als die Grundlagen unseres Zusammenlebens zu leben und sie zu verteidigen, war Manfred Stolpe von stoischer Entschiedenheit. Das ist der Auftrag, der sich mit seiner Person und seinem Leben und seinem Einsatz verbindet.

(domradio)

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31. Dezember 2019, 11:55