Der Hamburger Michel beim Sonnenaufgang Der Hamburger Michel beim Sonnenaufgang 

Unser Sonntag: Hölle ist selbstgewählte Gottesferne

Wenn der Himmel der Ort der vollendeten Gemeinschaft mit Gott ist, wo unser ‚Ja‘ zu ihm, im Moment des Todes gesprochen, uns in die Auferstehung mit ihm zieht, dann muss es konsequenter Weise auch einen Ort geben, wo das ‚Nein‘ gegenüber Gott seinen Platz hat - meint Sascha Jung.

Sascha Jung

Lk 20,27-38

Unter den Theologen wird gern diese Anekdote erzählt: eine Witwe kam regelmäßig ins Pfarrbüro, um für ihren verstorbenen Mann Messintentionen zu bestellen – finanziell für den Pfarrer eine sichere Einnahmequelle! Doch dann stellte die Dame die Bestellungen von heute auf morgen ein. Ihre Begründung auf Nachfrage des geistlichen Herrn: „Ich denke, dass mein Ehemann jetzt im Himmel ist.“

Unser Sonntag - hier zum Nachhören

Der Pfarrer, interessiert an weiteren Geldzahlungen für die Messe, intervenierte: „Es mag aber auch sein, dass Ihr Gatte noch mit den Füßen im Fegefeuer steht!“ Die schlagfertige Antwort der Frau: „Das macht nichts. Der hatte ohnehin immer kalte Füße; dann holt er sich im Himmel auch keinen Schnupfen.“ –

„Unser Gesellschaft hat Sterben und Tod ausgelagert“

So nett die Anekdote auch daherkommt, so zielt sie auf ein sehr ernstes Thema ab, das gegenwärtig doch um Anerkennung kämpft. Zum einen, da sich unsere Gesellschaft zunehmend schwer damit tut, einen guten Umgang mit Sterben und Tod zu pflegen. Wenn früher in der Familie gestorben wurde, so geschieht dies heute in Pflegeeinrichtungen oder in Krankenhäusern – der Tod wird ‚outgesourct‘. Eltern halten das heikle Thema ‚Tod‘ von ihren Kindern fern, wenn ein Sterbefall eintritt, und empfinden es als Herausforderung, mit ihnen über die Endlichkeit des Lebens sprechen zu müssen. Denn damit verbunden ist immer die Frage: und was kommt nach dem Leben hier auf der Erde? Kommt da nichts, oder geht es irgendwie weiter? Dann muss man die Karten auf den Tisch legen, muss Farbe bekennen, ob eine der vielen Antwortmöglichkeiten der großen Weltreligionen für einen selbst nicht nur eine mögliche Option, sondern vielmehr Grundsatz all seines Hoffens ist. Für uns Christen ist das die Frage nach dem Dreh- und Angelpunkt unseres Glaubens: an die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt, wie es im Glaubensbekenntnis formuliert ist.

Der Glaube an die Auferstehung ist nicht mehr selbstverständlich

An diesem ‚heiklen‘ Punkt nimmt das Gespräch zwischen den Pharisäern, die eine Auferstehung der Toten kategorisch verneinen, und Jesus so richtig an Fahrt auf. Mit ihrem Fallbeispiel erreichen sie auch eine gewisse Zuspitzung in dieser Frage, was ein bisschen an den Witz der eingangs erzählten Anekdote erinnert – eine Zuspitzung, die diese Frage auch in unserem Leben erfährt, wenn sich die Frage nach dem ewigen Leben im Angesicht des Todes stellt. –
Im Anschluss an Beerdigungen, bei denen ich in der Ansprache nicht nur das Leben der verstorbenen Person gewürdigt, sondern auch von meinem Glauben an die Auferstehung der Toten Zeugnis gegeben habe, wurde ich oft von ‚guten Christen‘ und ‚überzeugten Katholiken‘, wie sie sich zumindest nach außen zeigen, angesprochen, die mir dann von ihren persönlichen Zweifeln am österlichen Glauben erzählten. Mich hat es erstaunt, wie viele Christen doch an diesem Glaubenssatz nagen. So selbstverständlich das Bekenntnis zu Christus ist, so unselbstverständlich ist der Glaube daran, dass auch wir von den Toten auferstehen werden.

„Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden (vgl. Lk 20,38)“

Deshalb ist es gut, dass wir auch einmal außerhalb der österlichen Zeit und gerade jetzt im Monat November, wenn die Natur uns das Sterben vor Augen führt, wir uns an die Verstorbenen erinnern und sich das Kirchenjahr seinem Ende zuneigt, diese Botschaft hören: „Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden“ (vgl. Lk 20,38). Dieser eine Satz Jesu hat es in sich. Und dieser Satz des Evangeliums bereitet inhaltlich vor, was in der Folge erzählt werden wird: die Geschichte des Leidens und der Erweckung Jesu von den Toten! Denn das Gespräch zwischen Jesus und den Pharisäern findet im Erzählstrang des Lukasevangeliums zwischen Palmsonntag und Ostern statt, in der Dramatik von ‚Hosianna‘ und ‚ans Kreuz mit ihm!“. Dieser Satz fällt mitten in den entscheidendsten Stunden des Lebens Jesu – damit dieser Satz uns in den ebenso entscheidenden Stunden unseres Lebens Halt und Hoffnung gibt: „Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden!“ –

Paulus wusste um die Anfälligkeit des Osterglaubens

Schon der Apostel Paulus weiß darum, wie anfällig doch der Osterglaube ist. Diese eine Stelle im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth zeigt, wie der Apostel förmlich um die Worte ringt, um zu ermutigen und zu stärken. Und er scheint fast auf das heutige Evangelium zurückgreifen zu wollen, wenn er da schreibt: „Wenn aber verkündet wird, dass Christus von den Toten auferweckt worden ist, wie können dann einige von euch sagen: Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht? Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube“ (vgl. 1 Kor 15,12-14).
Vielleicht ist es wichtiger denn je, gerade über diese Zweifel einmal ins Gespräch zu kommen. Das wäre auch wichtig für den Verkündigungsdienst der Kirche, damit dieser näher an der Realität des Lebens und des Glaubens der Menschen ist. Gerade da tun sich doch auch Defizite auf! Oft kann man den Eindruck gewinnen, dass die Katholiken noch katholischer, die Frommen noch frömmer gemacht werden sollen. Die Eindringlichkeit der Worte ist kaum zu überhören und verfehlt ihre Wirkung gerade dann nicht, wenn in den Bildern von Himmel, Hölle und Fegefeuer gesprochen wird. Selbst Papst Franziskus scheut es nicht, sich dieser Bilder zu bedienen.

Der Mensch kann auch Nein zu Gott sagen

Aber was steckt dahinter, wenn Kirche und Theologie im 21. Jahrhundert in wissenschaftlichen Diskursen und geistlichen Worten davon spricht? Das zu verstehen, ist nur im Kontext der Freiheitsgeschichte des Menschen möglich. Die Erkenntnis aus der Philosophie aber auch die theologische Überzeugung, dass Gott den Menschen als Freiheitswesen erschaffen und ihn seiner Welt überantwortet hat, damit er dort in Verantwortung seines Gewissens und in Ausübung seines freien Willens agiert, schließt ein, dass der Mensch sich für Gott frei entscheiden kann und somit auch bewusst entscheiden muss. Das bedeutet aber, dass der Mensch auch ‚Nein‘ gegenüber Gott sagen kann. Wenn der Himmel der Ort der vollendeten Gemeinschaft mit Gott ist, wo unser ‚Ja‘ zu ihm, im Moment des Todes gesprochen, uns in die Auferstehung mit ihm zieht, dann muss es konsequenter Weise auch einen Ort geben, wo das ‚Nein‘ gegenüber Gott seinen Platz hat – also der Ort der größtmöglichen Ferne zu Gott.

„Fegefeuer - Purgatorium - ist ein Reinigungsort“

Dieser Ort ist dann aber kein Ort der Verdammnis, kein Ort, wo Gott den Menschen als Strafe hinschickt, sondern ein Ort der Gottesferne, den sich der Mensch frei gewählt hat. Dies meint das Bildwort der ‚Hölle‘. Und aus der christlichen Perspektive der Hoffnung heraus müsste man direkt anschließen: aber wir hoffen natürlich, dass die Hölle menschenleer ist! Das Fegefeuer schließlich ist kein Ort zwischen Himmel und Hölle, wie es meist gedacht wird. Auch kirchenamtlich wurde dies lange Zeit so gelehrt, dies auch in Verbindung mit dem ‚Limbus‘, einer Art ‚Vorhölle‘, wo u.a. die Seelen der ungetauften Kinder verortet wurden, die wegen der fehlenden Taufe nicht in den Himmel kommen könnten, ebenso die Seelen derer, die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossen seien. Zum Glück hat Papst Benedikt XVI. im April 2007 offiziell festgestellt, dass diese Meinung vom Lehramt der Kirche nicht weiter unterstützt werde kann; er hat gewissermaßen die Vorhölle abgeschafft; Gott sei Dank!

Fegefeuer ist notwendig: aus Scham

Das Fegefeuer ist das, was in der lateinischen Bezeichnung ‚Purgatorium‘ sprachlich gefasst ist: ein ‚Reinigungsort‘. Wir Menschen wissen ja, dass wir zwar zur Heiligkeit berufen sind und durch die Taufe auch die Heiligkeit als eine Art ‚Erbbesitz‘ als Kinder Gottes in uns tragen. Aber diesem so hohen Anspruch werden wir nicht immer gerecht; wir fallen in die Umkehrung des Guten, in die Sünde. Wenn wir nach dem Tod vor Gott stehen, dem Urgrund und der Fülle der Liebe, dann wird uns bewusst werden, wann und wie wir in unserem Leben den Menschen und auch Gott Liebe ‚schuldig‘ geblieben sind. Dieses Bewusst-Werden der Mangelerscheinungen an Liebe wird uns schmerzen, wird uns mit Scham erfüllen. Doch Gott wird dies in diesem Moment auch heilen und diesen Mangel an Liebe mit seiner Barmherzigkeit ausfüllen.
Dieser ‚Schmerz‘ will mit dem Bild des ‚Feuers‘ zum Ausdruck gebracht werden. Es ist kein Feuer, das von außen auf uns zu kommt, sondern etwas, das in uns brennt. Aus der Medizin wissen wir, dass eine Wunde brennt, damit der Körper seine Selbstheilungskräfte aktivieren kann. Ähnlich ist es hier: es wird uns Läuterung und Heilung zuteil! Der Prophet Sacharja beschreibt es so: „Ich will (den Teil der Übriggebliebenen aus dem Volk) ins Feuer werfen, um es zu läutern, wie man Silber läutert, um es zu prüfen, wie man Gold prüft. Sie werden meinen Namen anrufen und ich werde sie erhören.

„Gott verstößt nicht, wer sich vor sein Antlitz der Liebe stellt und um seine Sündenschuld weiß“

Ja, ich werde sagen: Es ist mein Volk. Und das Volk wird sagen: der Herr ist mein Gott“ (Sach 13,9). Und auch hier ist wichtig festzustellen: das Fegefeuer ist kein Zwischenort! Wir stehen dann schon vor Gott – das Fegefeuer ist ein Ort innerhalb des Himmels, innerhalb der Gemeinschaft mit Gott! – Auf diesem theologischen Hintergrund wird noch einmal deutlich, was das Evangelium auf eine schlichte, aber gehaltvolle Formel bringt: „Er ist doch kein Gott der Toten, sondern von Lebenden“ (vgl. Lk 20,38). Gott hat keine Freude am Untergang des Menschen! Er verstößt nicht, wer sich vor sein Antlitz der Liebe stellt, wer um seine Sündenschuld weiß und sich gerade deshalb von ihm in den Arm unendlicher Liebe nehmen lassen möchte. 

Dieser eine Satz Jesu, in den entscheidendsten Stunden seines Lebens gesprochen, er kann auch uns in den entscheidenden Stunden unseren Lebens Halt und Zuversicht schenken. Das wünsche ich Ihnen – nicht nur an diesem Sonntag, sondern an allen Tagen Ihres Lebens.
(vatican news - claudia kaminski)

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09. November 2019, 11:00