2019.09.23 Mons. Ivo Muser, vesvoco di Bolzano e Bressanone 2019.09.23 Mons. Ivo Muser, vesvoco di Bolzano e Bressanone 

Südtirol: Bischof und Landeshauptmann warnen vor Nationalismus

Angst vor dem Fremden, Populismus und Überfluss gepaart mit einem enormen Leistungsdruck sind die aktuell größten Herausforderungen für Südtirol. Zu diesem Fazit kamen der Bischof der Diözese Bozen-Brixen, Ivo Muser und Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher in einem Doppelinterview in der aktuellen Ausgabe des „Katholischen Sonntagsblatts“. Beide warnten übereinstimmend vor einem zunehmenden Nationalismus im Land.

Anlass des Interviews ist das noch laufende Gedenkjahr 2019, in dem in Südtirol mehrere runde „Jubiläen“ zusammenfallen. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel Südtirol 1919 an Italien und wurde zu dessen nördlichster Provinz. 1939 erfolgte das sogenannte „Hitler-Mussolini-Abkommen“, das die deutschsprachigen Südtiroler vor die Wahl stellte, entweder für Deutschland zu optieren und dorthin auszuwandern oder in Südtirol zu bleiben und die italienische Staatsbürgerschaft zu behalten. 1969 wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket hinsichtlich der Autonomie Südtirols verabschiedet.

Landeshauptmann Kompatscher sagte zum Paketabschluss 1969, dass man sich damals für den Weg des Dialogs und auch des Kompromisses entschieden habe. „Es ist besonders wichtig, dass wir aufzeigen, dass Nationalismus und Faschismus in den Krieg und in die Vernichtung geführt haben und führen“, so der Politiker. Der Paketabschluss 1969 sei ein Kompromiss gewesen, „nicht das Maximum, sondern das möglich Machbare. So wie auch die europäische Einigung der Weg des Kompromisses war, nicht das Maximum für den Einzelstaat“. Nun wollten aber viele wieder den Weg des Nationalismus gehen, warnte Kompatscher. Nachsatz: „Ich hoffe, wir haben wieder den Mut zum Kompromiss.“

Muser: „Wehret den Anfängen“

Für Bischof Muser haben sowohl die Politik als auch die Kirche in diesem Gedenkjahr die moralische Pflicht, „an die Wurzeln zu erinnern, die zur Katastrophe des Ersten Weltkrieges und dann zu Faschismus, Nationalsozialismus und Option geführt haben“. Und er wolle hinzufügen: „Wehret den Anfängen, seid kritisch bestimmten Aussagen gegenüber und schreibt gemeinsam an einer neuen Geschichte.“

Er halte es für die Stimme der Kirche und für eine verantwortungsvolle Politik ganz wichtig, „dass wir Ängste zwar benennen, sie aber niemals schüren“. Das sei die Gefahr des Populismus, „wo man den Eindruck hat, Ängste sind sehr willkommen, um die eigene Position zu vertreten“. Eine Haltung täte den Südtirolern darüber hinaus besonders gut – die Dankbarkeit.

Auch Kompatscher schlug - vor allem im Hinblick auf das Thema Migration - in die gleiche Kerbe: „Ein schlechter Ratgeber ist immer die Angst. Das Fremde macht uns zunächst immer auch Angst. Schlimm wäre es, wenn Politik und auch Kirche die Ängste schüren würden. Es braucht demütige Lösungen." Der falsche Weg sei es, sich gegenüber den Herausforderungen der Zeit zu verschließen. Dieser Weg führe in die Isolation. Kompatscher: „Deshalb halte ich die Haltung 'Wir zuerst' für so gefährlich. 'Wir zusammen mit den anderen' muss die Haltung sein.“

Trotz der wirtschaftlich und politisch stabilen Situation in Südtirol, wisse man, „dass materieller Wohlstand nicht mit Glück und Zufriedenheit gleichzustellen ist“, so Kompatscher. Neben dem Überfluss sei der „enorme Leistungsdruck“ zu einem Problem geworden. Hier sei die ganze Gesellschaft gefordert, „dass wir wieder das Wichtige und Wesentliche vom weniger Wichtigen unterscheiden können“.

Kompatscher „Religion ist mehr als Ethik“

Eine Lanze brach Kompatscher für den schulischen Religionsunterricht: „Religion ist mehr als Ethik. Ich bin überzeugt dass der Religionsunterricht nicht dazu dient, Ideologien zu verfestigen, sondern die Augen zu öffnen dafür, dass es etwas Tieferes gibt. Das brauchen Menschen heute mehr denn je.“

Beide Südtiroler Persönlichkeiten stellten sich im Interview auch hinter die Ideen und das politische Engagement der „Fridays for Future“- Schülerbewegung. In Bezug auf die Kritik an der jungen Protestbewegung strichen Kompatscher und Muser hervor, dass auch Erwachsene nicht widerspruchsfrei leben würden. Jugendliche hätten das Recht „unbequem zu sein“, betonte Muser.

(kap – tg)

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18. Oktober 2019, 15:56