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Klimaforscher: „Indigenes Wissen stärker in Wert setzen"

Es geht jetzt ums Ganze: Der deutsche Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber, den Papst Franziskus als Experte zur Amazonien-Synode eingeladen hat, bekräftigt im Interview mit Radio Vatikan die Dringlichkeit, mit der der Umwelt- und Klimaschutz ohne Aufschub angegangen werden muss. Und er hat ein Paar Empfehlungen für die Synodenväter mit im Gepäck.

Anne Preckel / Christine Seuss - Vatikanstadt

„Wir entscheiden in den nächsten 10 Jahren als Weltgemeinschaft ob dieses Ökosystem bestehen bleiben wird oder nicht und ob damit ein wichtiger Teil des gesamten planetarischen Systems bewahrt wird. Wenn wir den Amazonas zerstören, zerstören wir die Erde, das muss noch viel stärker reflektiert werden.“

 

Der Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung beobachtet eine „paradoxe Situation“. Einerseits laufe der Menschheit mit dem brennenden Regenwald und den Zerstörungen kostbarer Ökosysteme und Lebensräume die Zeit davon: „Wenn der Raubbau noch 10 Jahre weiter geht wird das System wahrscheinlich irreversibel kollabieren und sich das Klima von Lateinamerika verändern.“

Politik kann nicht mehr ausweichen

Andererseits ortet der Fachmann aber auch eine große „Ernsthaftigkeit“ im Umgang mit dem Thema. Die Menschen machten inzwischen ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Klimawandel: „Der letzte Sommer in Deutschland war ein Dürresommer, dieses Jahr hatten wir Temperaturrekorde. Viele Menschen spüren jetzt, dass der Klimawandel nicht eine ferne Bedrohung ist, sondern dass wir mittendrin sind.“

Hier das vollständige Gespräch zum Nachhören

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel lägen auf dem Tisch, ausgehend davon gebe sich die Jugend mit den üblichen Antworten der Weltpolitik nicht mehr zufrieden, wie die Protestbewegung „Fridays for Future“ zeige.  Drittens werde mit Papst Franziskus Umweltenzyklika „Laudato si“ und der Amazonien-Synode das Thema auch von der Kirche prioritär und auf einer Ebene behandelt, die an den „guten Willen“ aller Menschen appelliere.

„Dieses Dreieck Jugend, Glaube und Wissenschaft, das hat sich jetzt formiert und den ganzen Diskurs verändert. Das ist ein Diskurs, dem die Politik einfach nicht mehr ausweichen kann, was sie 20 Jahre lang getan hat.“

Indigene haben das entscheidende Wissen

Ein Schlüssel zum Schutz des „gemeinsamen Hauses“ und zur Umsetzung jener „integralen Ökologie“, die Papst Franziskus in Laudato si umschreibt, sind für Schellnhuber die indigenen Völker. Sie seien mit ihrem Wissen der eigentlich Dreh- und Angelpunkt des Wandels, von ihnen gilt es viel zu lernen. Der Klimaforscher findet, dass die Klimadebatte eigentlich viel stärker von ihnen ausgehen und lernen müsse, auch bei der laufenden Amazonien-Synode im Vatikan.

„Die Debatte muss im Grunde vom Kopf auf die Füße gestellt werden...“

„Sie sind für mich Pioniere des Fortschritts statt rückständig Zurückgebliebene, die man endlich mit den Segnungen der Moderne sozusagen beglücken muss. Das ist die völlig falsche Sichtweise. In einer Welt wo das Arbeiten mit der Natur und Lernen von der Natur dominiert, sind die Indigenen eigentlich die besten Piloten, und deshalb muss die Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt werden.“

Die enorme Bedeutung des Wissens um die Natur zeige sich heute etwa im Bereich der Bioökonomie. So orientiere man sich bei Häusern der Zukunft am Design der Natur als bestem Baumeister, nennt Schellnhuber ein konkretes Beispiel.

„Wie könnte eine Erzählung aussehen, die das Wissen der Indigenen auch wieder in Wert setzt?“

Der Klimaforscher wünscht sich, dass die indigene Sichtweise auch bei der Amazonien-Synode stärker berücksichtigt wird. Schließlich gehe es bei Debatten über Mensch, Glaube und Umwelt auch um „ein Narrativ“, eine Art des Erzählens, das deren Wissen „wieder in Wert setzt“: „Das war ja eigentlich der Plan, ist in den Vorbereitungen zur Synode auch passiert, aber ich habe zuletzt wenig davon vorgefunden…", bedauert Schellnhuber.

Synoden-Schlussdokument: Bitte keine Anekdoten

Für das Schlussdokument der Synode hat Schellnhuber deshalb ein Anliegen: „Das darf auch nicht so geschehen, dass ins Schlussdokument der Amazonien-Synode jetzt so ein paar Zitate reinkommen, so als Anekdoten, als Schmuck, das ist nicht genug - ich muss mich in die Seele eines Stammes hineindenken und fragen: wie könnte eine Erzählung aussehen, die das Wissen der Indigenen auch wieder in Wert setzt.“

Neben dem Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber sind für die Amazonien-Synode als weitere Experten aus Deutschland der Hauptgeschäftsführer der Bischöflichen Aktion Adveniat, Michael Heinz, der Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel sowie die in Peru wirkende Missionsärztliche Schwester Birgit Weiler aus Duisburg geladen.

(vatican news – pr/cs)

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23. Oktober 2019, 10:08