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Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz 

Unser Sonntag: Hin zur Vollendung

Gottes Gerechtigkeit ist umfassend. Sie sieht unter unseren Lack unter dem es versteinerten Schmerz, Geiz und Sucht gibt, meint die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz im Kommentar zum Evangelium. Und all das wird von Gott gesehen und gegen das Gute „verrechnet“. Am Ende wird es genau zugehen, und das ist unsere Hoffnung.

Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz


Lk 16, 19–31


Wieder hören wir ein Gleichnis, das weh tut. Der Bohrer bohrt am Nerv des Gewissens, und wir zucken zusammen und können doch nicht weghören. Die Lazarus-Geschichte ist umso eindrücklicher, als sie bei Lukas zwischen der zweiten und dritten, also letzten Leidensankündigung Jesu steht, an ernster Stelle also, am biographischen Umbruch nach der Zeit des umjubelten Anfangs und der folgenden schleichenden Ablehnung Jesu bis zum verschwörerischen Hass der Obrigkeit. In dieser Zeit werden die Reden Jesu drängend, reißen den abgründigen Ernst der Lage auf - als wollten sie die abschüssige Entwicklung noch einmal umkehren.

Unser Sonntag - zum Nachhören:

Entscheidende Wahrheiten formuliert Jesus im Entweder-Oder. Reich oder arm, in Freuden oder aussätzig – und später: Unterwelt oder Abrahams Schoß. Peinlich. Denn der durchschnittliche mitteleuropäische Christ lebt im Wohlstand. Natürlich, wir spenden auch, sogar mehr als Brosamen, aber das kratzt nicht an der gedeckten Tafel.

„Wir selbst bereiten unser Leben in der Ewigkeit vor“

Das fällt als erstes ins Auge und trifft. Weiter verstehen wir, dass unser Leben in der Zeit etwas für immer vorbereitet - unser Leben in der Ewigkeit. Paulus hat später diesen neuen Zeitbegriff ausformuliert. In den alten Religionen ist Zeit von der Wiederkehr geprägt, so wie sich die Jahreszeiten drehen, wie der Nil jedes Jahr wieder Ägypten segensreich überflutet oder es dürre sehen lässt, wie in Indien die Wiedergeburt ein weiteres Leben ermöglichen soll… In solchem endlosen Kreisen wird Zeit austauschbar, erschöpft sich nicht, aber weil sie endlos ist, wird sie damit gleichgültig. Was ich heute nicht tue, kann ich im nächsten Frühjahr tun, kann ich im nächsten Leben tun…

Der Herr kommt wie der Dieb in der Nacht

Niemals gibt es einen wirklich neuen Anfang. Aber bei Paulus muss die Zeit „ausgekauft“ werden. Denn der Herr kommt „wie ein Dieb in der Nacht“ und zwingt das Dasein, sich auszustrecken auf ihn, das heißt „im Licht“, im „Wachen“ bleiben. Christliche Existenz lebt aufhin, in Spannung: alles zu tun im Angesicht der ewigen Zukunft. Damit löst sich die Gegenwart aus der Verklammerung ins Hier und Jetzt. Christus bringe ein neues Zeitverhältnis: Aus dem gleichgültigen Kreisen wird gespannte Zeit, wie ein Pfeil, der auf der Sehne liegt und auf das Ziel abgeschossen werden will.

„Statt Ende heißt es nun Voll-Endung“


Damit haben wir ein Ziel, nicht ein Ende. Oder, um das schöne Wort zu verwenden: statt Ende heißt es nun Voll-Endung. Wir gehen auf eine Fülle zu - oder auf eine Leere. Wenn die Rede vom Jüngsten Gericht ist, klingt es zuweilen so, als werde über uns entschieden, über unseren Kopf hinweg, im unzugänglichen Ratschluss Gottes. (Es ist gleichsam unser heidnisches Herz, das uns diese Undurchschaubarkeit Gottes einflüstert.) Der Koran nährt solche Vorstellungen von der Willkür Gottes, der die einen verdammt, die anderen an sich zieht; auch Calvin hat in der Vorherbestimmung durch Gott, wie es bei Paulus steht, Ähnliches lesen wollen. So ist es aber nicht. Wir selbst sind es, die unser Leben in der Ewigkeit vorbereiten. Und zwar heute, unter den geduldigen Augen Gottes. Aber eines Tages ist die Vorbereitung abgeschlossen, und bis dahin müssen wir abgegeben haben, was zu teilen war und uns nicht zustand, wo wir vielmehr die Freigebigkeit Gottes hätten nachahmen dürfen. Wir selbst wirken mit an der Voll-Endung, nicht passiert uns nur zufällig.

Wir sind Mitwirkende an der Wahrheit unseres Lebens

Wir sind cooperatores veritatis, ja: Mitwirkende an der Wahrheit, auch an der Wahrheit unseres Lebens. Das ist herausfordernd, und wie jede Herausforderung gibt sie zugleich Kraft. Herausfordernd, ja bestürzend ist auch das Ende des Gleichnisses. Es gab ja den wirklichen Lazarus, den Bruder Marthas und Marias von Bethanien, einem der wenigen heimatlichen Orte Jesu. Dieser Lazarus, der Freund, über den Er weinen konnte, kam tatsächlich von den Toten zurück, nach drei Tagen der Verwesung roch er schon unangenehm; er kam durch das Machtwort des Herrn, kurz vor dessen eigenem Tod, in die entsetzte Nachbarschaft zurück. Es ist die dritte und letzte Totenerweckung nach dem Jüngling von Nain und dem Töchterlein des Jairus; sie alle nehmen Jesu eigene Auferstehung leibhaftig vorweg. Was aber geschieht nach der Rückkehr des Lazarus von Bethanien ins Leben? Ein unerhörter Umschwung des Glaubens an den Messias? Nein, die Auferweckung des Lazarus ist letztlich der Auslöser dafür, dass der Hohe Rat den Tod Jesu beschließt, weil er das Volk verführe, ja, Lazarus solle zum Schweigen gebracht werden (Joh 12,10f). Wortwörtlich also zeigt es die Sinnlosigkeit der Rückkehr eines Toten zu den Lebenden, um sie zu warnen - vielmehr wird er als Betrüger kaltgestellt. Abrahams Worte im Gleichnis nehmen diese Episode vorweg - ein Hinweis also auf das Vorherwissen Jesu, aber auch auf seine abgründige Trauer über die Verschlossenheit der Herzen, die durch nichts aufzusprengen ist.

„Es muss offenbar genügen, einfach zu wissen, dass es eine Auferstehung geben wird“

Noch etwas leuchtet im Gleichnis auf: Abrahams Schoß. Es ist eines der wunderbaren Bilder, die uns erlauben, aus dem jetzigen Dasein einen ungefähren Blick in das künftige zu werfen. Wie gerne würden wir wissen, wirklich sehen, wirklich begreifen, was uns erwartet. Auch Paulus verspricht ja, darüber Klarheit zu geben, wörtlich „uns nicht im Unklaren zu lassen“, und doch bleibt das Künftige wenig konturiert. So muss es offenbar genügen, einfach zu wissen, dass es eine Auferstehung geben wird. Aber in diesem Gleichnis wird unserem Bewusstsein ein Anker gegeben, an dem es in seinen unsicheren Suchbewegungen Halt finden kann. Abrahams Schoß - welches Bild der Ankunft, der Bergung, des Heimatlichen und Warmen! Ein anderes Bildwort gibt uns Jesus noch vor seinem Abschied von den Wohnungen, die er vorbereitet. Noch schöner: von den vielen Wohnungen, also der Stadt, wo wir die wiederzufinden hoffen, die wir geliebt haben.

Endlich zuhause!

Endlich zuhause! Und Abrahams Schoß deutet darauf hin, dass dort Raum ist für seine Kinder und Kindeskinder, die seinem Glauben entsprungen sind und die er väterlich einsammelt. Hätten wir nur diese beiden Bilder, abgesehen von Jesu eigener leiblichen Auferstehung, könnten wir unsere Unsicherheit an den Bildern schon sättigen.
Wer einen Menschen verloren hat, den er liebt, vielleicht mehr als alles sonst geliebt hat, sucht ja nach einem Trost. Trost darf nicht sentimental sein, sondern wirklich, das heißt der Wirklichkeit entsprechend. Hier wird ein solcher Trost gegeben, auch wenn er in diesem Fall nur Lazarus einholt, nicht aber den anderen namenlosen Reichen, der diesem Schoß entfällt.
Aber... sehen wir über all dem Bestürzenden und Warnenden, das der Namenlose uns zuspricht, noch tiefer zu.

„Kommen wir Satten, Gutgekleideten, vom Leben weithin Verschonten also gar nicht vor?“

Klar ist der „gerechte Ausgleich“: Wer leidet, wird getröstet, wer hungert, wird satt, wer verachtet war, kommt als erster dran. So einfach ist das, auch in der Bergpredigt. Kommen wir Satten, Gutgekleideten, vom Leben weithin Verschonten also gar nicht vor? Doch, denn die Kleider decken auch Wunden zu. Bohrt unter dem Sattsein nicht ein anderer Hunger? Ist die scheinbare Lebenslust womöglich Lack an der Oberfläche? Welche Geschwüre werden versteckt? In einer Zeit größten allgemeinen Wohlstands steigen die Depressionen, quellen die Sprechstunden über, werden schon Kinder an Psychotherapeuten verwiesen…
Wie wunderbar ist es, dass es eine umfassende Gerechtigkeit gibt. Dass sie unter den Lack sieht. Da gibt es Schmerz, der versteinert ist. Da gibt es Geiz aus Angst und Sucht aus verweigerter Liebe. All das wird von Gott gesehen, und diese Not wird gegen das Gute „verrechnet“. Es wird genau zugehen, und das ist unsere Hoffnung. Geben wir einstweilen den Armen, und hoffen wir auf die abgründige Gerechtigkeit, die unsere versteckte Armut kennt.


(vatican news - claudia kaminski)

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28. September 2019, 11:00