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Jesuitennovize Fabian Retschke Jesuitennovize Fabian Retschke 

Unser Sonntag: „Sind es nur wenige, die gerettet werden?“

Heute scheine „kaum jemanden zu jucken, was aus den vielen Menschen wird,“ befindet Fabian Retschke in seinem Kommentar zum Evangelium. Es werde aber ein Gericht Gottes am Ende der Zeiten geben, erläutert der Jesuitennovize ziemlich drastisch: Himmel oder Hölle, drinnen oder draußen.

Fabian Retschke

Lk 13,22-30

Einen Zug zu verpassen, ist ein Alptraum. Das schrille Pfeifen der Warnsignale ertönt und erbarmungslos schlagen die Türen zu. Drinnen stehen Leute und schauen mitleidig nach draußen, starren ungerührt auf ihre Smartphone-Bildschirme oder belehrend auf die Uhr. Es ist passiert, du warst zu spät. Die Türen lassen sich nicht mehr öffnen und dein Zug fährt ab. Ohne dich. Du stehst am Bahnsteig, ohnmächtig, hilflos, flehend – doch vergeblich. Der Zug ist abgefahren. Nun verfluchst du alles, was schief gelaufen ist, dass es dazu kommen konnte. Jetzt hilft das nichts mehr. Du warst zu spät.

Unser Sonntag - zum Nachhören:

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, solche Schreckensszenarien sind Ihnen vielleicht bekannt. Den Zug verpasst. Wenn nicht, sind Sie wahrscheinlich sehr sorgfältig oder Sie kommen aus einem Land, wo sich Züge eher verspäten. Ich will Ihnen sicher keine Angst einjagen. Aber stellen wir mal fest: Im Grunde hat Jesus im Lukasevangelium heute nichts Anderes getan.
Doch gehen wir zurück auf Anfang. Jesus wandert gerade nach Jerusalem und zieht durch die vielen kleinen Städte und Dörfer. Jeden Tag trifft er Menschen, spricht mit ihnen, heilt, treibt böse Geister aus, isst, trinkt und so weiter. Er ist ständig öffentlich aufgetreten und hat die Menschen gelehrt, auf den Wegen Gottes zu gehen, die Gebote zu achten, einander zu lieben und zu vergeben. Dann trifft er eines Tages diesen Mann, der ihm die Frage stellt, die sehr viele Menschen damals beschäftigt hat: „Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?“.
Ich schätze, es gibt wenige, die so eine Frage in ihre Online-Suchmaschine eingeben. Wer es tut, landet teils auf kruden Seiten, deren Botschaften mitunter deutlich beängstigender sind als mein kleines Zugverpassen-Intro.

Himmel: Wer rein will, muss dafür kämpfen

Irgendwie scheint es heute kaum jemanden zu jucken, was aus den vielen Menschen wird. Auch bei diesen Menschen mit ihren fahrbaren Pappaufstellern in den Innenstädten, die mit Flyern vor dem Weltuntergang warnen, sehe ich selten Warteschlangen. Nirgendwo höre ich im Alltag diese Frage danach, ob viele oder wenige Menschen gerettet werden. Dabei bin ich jetzt nicht gerade selten mit religiösen Menschen in Kontakt als angehender Ordensmann. Es gab andere Zeiten. Die Zeitgenossen Jesu hatte die Frage sehr wohl umgetrieben. Sie gehörte zu den zentralen Fragen. Dabei galt als völlig selbstverständlich für jüdische und griechische Leute: Es wird ein Gericht Gottes am Ende der Zeiten geben. Und das kann so oder so ausgehen. Himmel oder Hölle, drinnen oder draußen. Darüber hinaus war klar: Wer rein will, muss dafür kämpfen.
Doch auch wenn diese Allgemeinplätze zur Eschatologie, also zur Lehre von den Letzten Dingen, von dem was nach dem Ende kommt, bekannt waren: Beruhigt ist das religiöse Gewissen damit noch nicht. Die Frage bedrängt ja weiterhin. Darum kann ich gut verstehen, dass sie auch an Jesus gestellt wird. Das Gericht spielt bei ihm keine so übermäßige Rolle wie etwa bei Johannes dem Täufer. Trotzdem müsste er ja auf diese Frage eine Antwort parat haben, wenn er als Wanderprediger unterwegs sein will. Zumal er für seine Lehre in der Rolle als Sohn Gottes nun nicht gerade wenig Autorität beansprucht.
Angesichts dieser allgemeinen Bedeutung und Verbindlichkeit der Lehre Jesu, finde ich die Frage sogar umso mehr berechtigt. Wenn es so entscheidend ist, dass die Menschen an Jesus als den Christus glauben und ihm nachfolgen, dann stellt sich umgehend die Frage: Was ist mit den anderen? Jetzt wird man vielleicht noch sagen können: Wer Jesus begegnet ist, ohne dass sich etwas bei ihm tut, der ist nun auch nicht ganz unschuldig, sollte er bei der Rettung am Ende außen vor bleiben.

„Kirche: Sie ist, genauso wie Jesus selbst, historisch begrenzt.“

Aber was ist mit denen, die Jesus nie begegnet sind? Er war ja auch nicht überall. Er hat sogar selbst eingesehen, dass er das nicht schafft und Jünger als Missionshelfer ausgesandt. Doch selbst über 2000 Jahre später könnten wir nicht behaupten, die Kirche hätte die realistische Chance, alle zu erreichen. Sie ist, genauso wie Jesus selbst, historisch begrenzt. Die rettende Botschaft kann sie nicht überall und zu jedem Menschen bringen, sodass sie wirklich ankommt. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Soundso, wir müssten das anerkennen. Wenn dann trotzdem der Anspruch auf allgemein- und einziggültige Wahrheit erhoben wird, kann die Frage nach der Rettung der Menschen von Christen nicht mit einem Achselzucken beantwortet werden. Das wäre auch ein bisschen zu billig.
Die Frage des Mannes führt also damals wie heute in eine Verlegenheit. Die Art, wie Jesus darauf antwortet, ist allerdings raffiniert. Denn anstatt sich auf eine Spekulation einzulassen über ein Mengenverhältnis – wem würde das auch helfen, wenn er gesagt hätte: „Ja, wenige“ oder „Nein, viele“? – lenkt er das Interesse der Frage auf etwas anderes. Er enthüllt in der Frage „Werden nur wenige gerettet?“ den eigentlichen Kern, der lautet: „Werden wir, werde ich gerettet?“ So eine Frage kann man ja nicht stellen, indem man die jetzt Lebenden herausrechnet.
Dann ist klar, wie bereits erwähnt: Diese Frage hat etwas mit der Lebensführung zu tun. Also kann Jesus statt einer Dozentenrolle in die des Lebenslehrers und Predigers gehen.

Jesus öffnet oder schließt die Tür: als endzeitlicher Richter

Er nutzt sodann in der Darstellung des Lukas das Bild der engen beziehungsweise verschlossenen Tür. Das war damals so wohlbekannt wie es das Zugfahren heute ist. Bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie die Stadttore geschlossen und auch an der Haustür öffnete man nur noch den Freunden. Geöffnet werden kann beides nur von Innen. Die Drinnen-Draußen-Unterscheidung ist ein Bild für den Ausgang des Gerichts: Im Himmel oder draußen. Wer die Tür öffnet oder schließt, ist auch klar: Jesus als endzeitlicher Richter. Wem er öffnet und wem nicht, das ist dann noch die spannende Frage, die Jesus, wie gesagt, nicht genau beantwortet.
Doch was er sagt, ist verblüffend. Denn er verheißt einige Überraschungen. Es wird welche geben, die sich auf die Propheten des Volkes Israel stützen und deswegen Einlass erhoffen. Es wird welche geben, die sogar sagen, sie seien Jesus persönlich begegnet und hätten mit ihm gegessen und getrunken. Es wird welche geben, die als Erste galten, die sich irgendeinen Vorrang versprachen, die werden auf einmal Letzte sein. Sie werden heulen und vor Ohnmacht mit den Zähnen knirschen. Vielleicht hämmern sie verzweifelt an die Türe, aber es ist zu spät.

Das sind alles böse Überraschungen. Da sind religiöse Menschen, aus welcher Religion auch immer, die in einer Heilsgewissheit lebten, aber am Ende feststellen müssen: Sie sind draußen, ausgeschlossen von der Rettung. Sie haben die Gelegenheit verpasst und sich zu spät aufgemacht, um ihr Leben wirklich zu ändern. Für sie muss es dann umso demütigender sein, zu sehen, wie Menschen aus allen Himmelsrichtungen – und für Jesu Zuhörer war klar, dass die dann aus fremden Religionen kommen – Richtung Himmel einmarschieren.

Eine Massenmigration von den letzten Enden der Welt zum Sehnsuchtsort „himmlisches Jerusalem“ findet statt. Doch die, die meinten, sie seien ganz besonders nah dran gewesen, sind es nun nicht mehr.

Da werden alle Verhältnisse auf den Kopf gestellt, eben: Die Letzten Erste, die Erste Letzte. Autsch. Das tut weh.

All das ist aber keine Spekulation, keine Prophezeiung. Jesus verfolgt in meinen Augen klar das Ziel, die Menschen nicht in falscher Sicherheit zu wiegen. Er will wohl auch niemanden unnötig in Angst und Schrecken versetzen. Doch auch ihm läuft langsam die Zeit davon. Deswegen möchte er umso mehr die Menschen davon überzeugen, ihr Leben zu ändern, umzukehren, zu glauben an den barmherzigen Vater und an Jesus als den wahren Erlöser. Deswegen zeigt er hier immerhin die mögliche Folge eines Lebens fern von der Rettung an. Das ist doch nur fair.

Wer Jesus begegnet, soll nicht unverändert oder unberührt weiter durchs Leben gehen. Es muss etwas geschehen. Die Beziehung und Freundschaft mit Jesus muss durch das weitere Leben hindurch vertieft werden. Sonst kann ja keiner wirklich ernsthaft behaupten, Jesus zu kennen. Das heißt auch noch mehr, als nur die Schriften zu lesen oder an der Kommunion teilzunehmen. Es geht um alle Bereiche des Lebens. Sie alle wollen von der Beziehung zu Jesus Christus durchdrungen und erfüllt werden. So heißt es in der Johannesoffenbarung: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Offb 3,20). Auf einmal sind wir diejenigen, die von innen auf die Tür schauen und Jesus ins Leben einlassen können. Wer sich ihm öffnet, in dessen Herzen wird es nicht enger, sondern weiter, sagt der Glaube. Die Chance dazu, Jesus einzulassen und selbst als Freund bei Gott offene Türen einzurennen, bietet sich jederzeit und ein Leben lang.

Wer dagegen nicht aufhört, unrechte und üble Dinge zu tun, wem das Heulen und Zähneknirschen anderer egal ist, na, was will der bitte erwarten? Wer sich ständig weigerte, Jesus einen Raum im eigenen Leben zu geben, der hofft nun auf einen Raum bei Jesus?

Das Bedrängende in der Rede Jesu soll motivieren. Für die Zeitgenossen des Lukas haben sich diese Worte ja schon erfüllt. Denn mit der Heidenmission der frühchristlichen Apostel haben Menschen Eingang in das Reich gefunden, die vorher immer außen vor gelassen wurden. Eine kleine Völkerwanderung in die Kirche hat da stattgefunden. Eben auch an den traditionellen Eintrittsbedingungen vorbei, weil die Taufe eine neue Tür geöffnet hat.

Doch auch für die Christen soll diese Erinnerung gelten, sich nicht in der vermeintlichen Sicherheit der eigenen Rettung zu wähnen. Die Nähe und Freundschaft Jesu, die Rückkehr zu ihm durch Umkehr und Buße, sie macht einen Unterschied. Im jetzigen Leben, vermutlich auch danach.

Und was ist mit den anderen? Wir wissen es schlicht nicht. Wir sollten aber wissen, dass wir als Christen genauso wie alle anderen nur auf die Gnade Gottes hoffen können. Darauf, dass er den Himmel öffnet, weil nur er öffnen kann. Und ich will auch hoffen, dass er den Himmel weit öffnet. Denn die Frage nach der Rettung der Menschen kann ich nicht in einem abstrakten Raum stellen. Sie betrifft uns alle.

Wenn es darum geht, ob viele oder wenige gerettet werden, geht es letztlich immer um uns, hier und jetzt. Dann geht es um die Menschen, an denen ich in den Straßen nur ganz flüchtig vorüberlaufe. Es geht um die, die ich nicht kenne, um jene, die ich weniger liebgewinnen konnte. Doch ebenso sehr geht es um Freunde, um Familie, um mich. Dann kann ich nur wünschen und Gott darum bitten, dass der Zug für niemanden abgefahren ist.

(vatican news - claudia kaminski)

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24. August 2019, 11:00