Prof. Dr. Stefan Mückl - Universität Santa Croce, Rom Prof. Dr. Stefan Mückl - Universität Santa Croce, Rom 

Unser Sonntag: Wie ich Euch geliebt habe...

50 Tage nimmt sich die Kirche Zeit, um Ostern zu feiern. Dieses Feiern beinhaltet auch, das näher auszufalten, was im Triduum Pasquale, den drei österlichen Tagen vom Leiden, Sterben und vor der Auferstehung des Herrn, nur angedeutet werden konnte. So verhält es sich heute am 5. Ostersonntag. Das Tagesevangelium knüpft an die Geschehnisse des Gründonnerstags an, welche von der Fußwaschung handelten (Joh 13,1-15).

Stefan Mückl - Vatikanstadt

5. Sonntag der Osterzeit (Joh 13,31-33a.34-35)

50 Tage nimmt sich die Kirche Zeit, um Ostern zu feiern. Dieses Feiern beinhaltet auch, das näher auszufalten, was im Triduum Pasquale, den drei österlichen Tagen vom Leiden, Sterben und vor der Auferstehung des Herrn, nur angedeutet werden konnte. So verhält es sich heute am 5. Ostersonntag. Das Tagesevangelium knüpft an die Geschehnisse des Gründonnerstags an, welche von der Fußwaschung handelten (Joh 13,1-15). Chronologisch gesehen, wird heute das Evangelium vom Gründonnerstag fortgesetzt. Zugleich, und das soll Gegenstand unserer Betrachtung sein, wird das da Geschehene erst näher begründet: Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.

Doppelgebot der Liebe

Diese Weisung des Herrn wird gewöhnlich als das „neue Gebot“ bezeichnet – das mandatum novum. Hier scheint sich, gewissermaßen als ein zentraler Bestandteil Seines Vermächtnisses, das zu wiederholen, was der Herr schon jenem Schriftgelehrten geantwortet hatte, der Ihn fragte, welches Gebot das erste von allen sei: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele. … Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Mt 22,37 f.; Mk 12,30 f.). Doch wenn dem so wäre, wäre das Gebot dann noch „neu“? Immerhin finden sich beide Elemente dieses sog. „Doppelgebots der Liebe“ bereits im Alten Testament, und zwar in seinen ältesten Büchern, dem Gesetz des Moses. Das betrifft nicht nur das, man könnte beinahe sagen: selbstverständliche, Gebot der Gottesliebe (Dt 6,5), sondern auch und gerade das Gebot der Nächstenliebe. Das 19. Kapitel des Buches Levitikus enthält eine Fülle von Einzelweisungen (nicht zu stehlen, zu täuschen und einander zu betrügen, nicht falsch zu schwören, nicht zu verleumden, keinen Haß im Herzen zu tragen, Lev 19, 9-17), die dann in jenem wuchtigen Gebot kulminieren: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Lev 19,18). Vor diesem Hintergrund konnte der hl. Paulus feststellen: Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn … alle … Gebote sind in dem einen Satz zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. … Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes (Röm 13,8 ff.).

„Er ist für mich Mensch geworden, Er ist für mich am Kreuz gestorben“

Was also ist so „neu“ an dem Gebot, daß der Herr selbst es als „neu“ bezeichnet und es bei seiner zweiten Abschiedsrede nochmals eigens wiederholt (Joh 15,12)?
Die Antwort liegt im Maßstab, dem Maßstab Gottes: Wie ich euch geliebt habe. Nicht unser Wollen oder Können ist das Maß, sondern das Handeln Gottes, ein Handeln, das unserem Wollen und Können stets vorausliegt – wie ich euch geliebt habe. Wie oft hat Gott einem jeden von uns, nicht nur allgemein „der Menschheit“, Seine Liebe erwiesen: Er ist für mich Mensch geworden. Er ist für mich am Kreuz gestorben. Er hat mich durch die Taufe in Sein neues Volk, die Kirche, eingegliedert. Er hat mich in seine – allgemeine oder besondere – Nachfolge berufen. Er steht mir immer wieder mit Seinen helfenden Gnaden bei. All diesen Großtaten Gottes steht keinerlei Verdienst des Menschen gegenüber. Zu Recht sagt der hl. Paulus: Gott … erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren (Röm 5,8). Das Gebot des Herrn beim letzten Abendmahl ist nicht nur „neu“, es ist vor allem auch – in des Wortes ureigenster und bester Bedeutung – „radikal“. Es geht an die tatsächlich an die Wurzel unserer Existenz, die sich allein Gott verdankt, jenem Gott, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8).
Wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben (1 Joh 4,11). Diese Schlußfolgerung zieht der Apostel Johannes, der das heutige Evangelium niedergeschrieben hat, in seinem 1. Brief. Noch konkreter formuliert der hl. Paulus im Epheserbrief die Liebe Christi als Maßstab für die eheliche Liebe: Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat (Eph 5,25).

Das Herz des österlichen Menschen 

Was bedeutet es nun, zu lieben wie Christus geliebt hat? Grundlegende Bedingung dafür ist, daß sich an uns das erfüllt, worum wir im Schlußgebet der heutigen Messe bitten: „Gib, daß wir die Gewohnheiten des alten Menschen ablegen und als neue Menschen leben“. Was das meint, vermag die tröstende Verheißung anzudeuten, die in einer Vision bereits dem Propheten Ezechiel zuteil wurde: Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein neues Herz aus Fleisch (Ez 36,26). Das ist das Herz des österlichen Menschen, jenes Menschen, der die Sendung Christi unter den Menschen weiterzuführen bereit ist, so daß er – wie es der hl. Josefmaria Escrivá formuliert hat – ein anderer Christus wird, Christus selbst: alter Christus, ipse Christus.
„Neu“ ist das Gebot des Herrn aber noch in einem weiteren Sinn – in seinen Wirkungen. Das heutige Evangelium schließt mit einer Verheißung Christi: Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt. Die Liebe ist gewissermaßen das Unterscheidungszeichen der Jünger Christi. Ein solches lebendiges Glaubenszeugnis verfehlt seine Wirkung nicht, es fällt auf und regt zur Nachahmung an. „Seht, wie sie einander lieben.“ – diesen Eindruck machten, wie uns Tertullian berichtet, die ersten Christen auf ihre heidnische Umgebung. Haben nicht auch wir Heutigen viele – kleine wie große – Gelegenheiten, unseren Mitmenschen zu zeigen, daß Gott ist, auferstanden ist und unser Leben leitet und prägt?
Der neue, der österliche Mensch soll nicht mehr an das denken, was früher war und nicht auf das achten, was vergangen ist (vgl. Jes 43,18) – denn der Herr macht etwas Neues (ebd.), ja mehr noch, er macht alles neu (vgl. Off 21,5). So können wir nicht nur das neue Gebot erfüllen, sondern auch, wie es im Eröffnungsvers der heutigen Messe mit den Worten des 98. Psalms heißt, dem Herrn ein neues Lied singen.

„Nun singt dem Herrn ein neues Lied...“

Neues Gebot, neuer Mensch, neues Lied – nun mag einer einwenden: Wohl ist von Neuem die Rede, und doch ist Vieles beim Alten geblieben. Was hat denn das Neue konkret gebracht? Wie hat es das Christentum vermocht, in zwanzig Jahrhunderten die Welt oder wenigstens den Menschen ein wenig besser zu machen? Solche Fragen und Einwände gilt es ernst zu nehmen. So schrieb mir vor einem Jahr ein Gläubiger, wenn in seiner Pfarrkirche das Osterlied „Das ist der Tag, den Gott gemacht“ (GL 329) gesungen werde, bleibe ihm die fünfte Strophe förmlich im Halse stecken. Dort heißt es: „Nun singt dem Herrn ein neues Lied, in aller Welt ist Freud und Fried.“. Nicht ohne Berechtigung fragte er mich: „Wo denn? Bei all dem Haß, Krieg und Verzweiflung – wie kann ich da singen: ‚in aller Welt ist Freud und Fried‘ ... Nein!“
Natürlich wären die Bedenken berechtigt, würde das Osterlied für sich in Anspruch nehmen, reale, empirisch faßbare Zustände zu beschreiben. Weder heute noch Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Text des Lieds entstand, herrschte eine heile Welt. Der Autor der Zeilen – Heinrich Bone – hat das gewiß nicht verkannt, doch, von den Psalmen und ihrer Aussageabsicht geleitet, tiefe Theologie gedichtet. Denn die Psalmen weisen den Beter immer auch in eine Zukunft, von denen er nur die allerersten Anfänge zu sehen oder vielleicht auch nur zu erahnen vermag. Die Psalmen sind prophetische Texte – der hl. Augustinus nennt den Psalmisten immer nur „den Propheten“ –, welche uns dazu mahnen und aufrufen, das zur Reife voranzubringen, was wir erst als Samen empfangen haben.

Maßnehmen an Christus

Mit dem Ostersieg des Herrn ist uns das Reich Gottes ein gutes, ein entscheidendes Stück näher gekommen. Nun, in der Zeit der Kirche, gilt es, dieses Reich auszubreiten, bis es am Ende gänzlich herangewachsen ist, als das „ewige, alles umfassende Reich ... das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“, wie es in der Präfation des Christkönigsfestes heißt. Bis es soweit ist, erleben Kirche und Welt, erlebt jeder Gläubige auch schwierige Zeiten, Stürme und Bedrängnisse. Doch auch – besser: gerade – unter diesen Umständen sind uns der Beistand und die Liebe des auferstandenen Herrn gewiß. In einem Gebet des großen englischen Theologen John Henry Newman, der noch in diesem Jahr heiliggesprochen wird, heißt es: „Nie schritt Christus mächtiger durch die Erdenzeit. Nie war sein Kommen deutlicher, nie sein Dienst köstlicher als jetzt“.
Nehmen wir immer wieder Maß an Jesus Christus, dem Auferstanden, dann macht Seine Liebe, die bis zum Äußersten ging, uns wirklich zu neuen Menschen. Dann wird das Lied auf unseren Lippen immer neu und freudig erklingen: Der Herr ist auferstanden.
(vatican news – ck)

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07. Mai 2019, 17:55