Kellner mit Down-Syndrom in Belgrad Kellner mit Down-Syndrom in Belgrad 

Moraltheologin: Keine Schwangerschaft auf Probe

Mindestens fünf von hundert Kindern kommen mit angeborenen Beeinträchtigungen zur Welt, am häufigsten mit dem Down-Syndrom. Es ist nach dem britischen Arzt und Apotheker John Langdon-Down benannt, der 1866 erstmals umfassend darüber schrieb. Etwa 150 Jahre später stritt der Deutsche Bundestag über einen Test auf Trisomie 21 bei Ungeborenen – eine schwierige Debatte mit vielen ethischen Fragezeichen. Doch die Debatte berge auch Chancen, erklärt Moraltheologin Kerstin Schlögl-Flierl im Interview mit Vatican News.

Angela Prämassing - Vatikanstadt

Kerstin Schlögl-Flierl ist Inhaberin des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Universität Augsburg. Sie erkennt durchaus an, dass es Argumente für den pränatalen Trisomie-Bluttest als Krankenkassenleistung gibt:

„Vergleicht man die bereits seit Jahren von der GKV [gesetzliche Krankenversicherung] gezahlte Fruchtwasseruntersuchung, eine invasive Methode mit einem Fehlgeburtsrisiko von bis zu zwei Prozent, mit der nicht-invasiven Methode des neuen Bluttests, sicher und niedrigschwellig, so erscheint es in der rein medizinischen und technischen Abwägung fast schon unethisch, diesen Test als Krankenkassenleistung abzulehnen.“

„Im besten Fall erfahren die werdenden Eltern Beruhigung“

Die Abwägung dürfe aber eben nicht rein medizinisch und technisch bleiben, betont die Theologin. Der Test habe nicht nur keinen therapeutischen Nutzen, sondern bringe die Eltern auch in schwierige Konflikte:

„Es geht mit diesem Test kein therapeutischer Nutzen einher, anders als bei anderen vorgeburtlichen Methoden. Im besten Fall erfahren die werdenden Eltern Beruhigung. In extremen Fällen kommt es jedoch zu Schwangerschaftsabbrüchen, die sicherlich nicht leichtfertig durchgeführt werden.“ Sie sollten, so Schlögl-Flierl, erstens nur bei Risikoschwangerschaften infrage kommen, „zweitens verbunden mit einer unabhängigen psychosozialen Beratung, am besten vor und nach dem möglichen positiven Testergebnis, und drittens nach der zwölften Schwangerschaftswoche“.

Zum Nachhören

Der Trisomie-Test – ein „Dammbruch“

Einschränkungen wie diese seien in der Bundestagsdebatte am Donnerstag durchaus genannt worden. Doch „mein Eindruck aus der gestrigen Debatte ist, dass der Bluttest als gesetzliche Krankenkassenleistung kommen wird“. Und beim Trisomie-Test wird es wohl nicht bleiben. Vielmehr markiere die Entscheidung einen „Dammbruch“, dem viele weitere Verfahren folgen werden. Dazu gehörten nicht nur die Suche nach genetischen Unregelmäßigkeiten oder Krankheiten, sondern auch die Untersuchung von Kriterien wie etwa das Aussehen.

Vom Recht auf Nicht-Wissen

Da sei die Frage des Abgeordneten Michael Brandt “Wieviel Selektion verträgt der Mensch?“ höchst angebracht, ebenso wie die Forderung vieler anderer Abgeordneter nach dem Recht auf Nichtwissen. „Es sollte, so die Meinung vieler Abgeordneter, keine soziale Druck- und Rechtfertigungssituation für die werdenden Eltern entstehen, die keine vorgeburtlichen Methoden in Anspruch nehmen wollen, oder auf diejenigen Eltern, die sich für ein Leben mit einem Kind mit Trisomie 21 entscheiden.“

„Ich begrüße die beginnende gesellschaftliche Debatte“

Dass in der Bundestagsdebatte immer wieder die Frage danach aufkam, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen, freut die Moraltheologin. „Ich begrüße vor allem die beginnende gesellschaftliche Debatte. Damit wird anerkannt, dass eine rein gerechtigkeitstheoretische Abwägung nicht ausreicht, sondern sich viel mehr weitergehende Fragen damit verbinden.“ Für sie selbst steht jedenfalls fest: „Mit einem Kompromiss darf keinesfalls der bereits bestehenden Tendenz einer Schwangerschaft auf Probe Vorschub geleistet werden.“

UN-Behindertenrechtskonventionen besser umsetzen

Um einen entsprechenden Kompromiss zu finden, könnte man die vor zehn Jahren ratifizierten UN-Behindertenrechtskonventionen besser in den Blick nehmen, findet Schlögl-Flierl. „Die Konvention muss noch mehr umgesetzt werden. Individuell wie von staatlicher Seite. Es muss alles dafür getan werden, dass ein Kind mit Behinderung nicht als Armutsrisiko gilt.“

Das zu erreichen erfordert, so die Theologin, vor allem eine größere Miteinbeziehung derer, um die es geht. „In der gesellschaftlichen Debatte sollten vor allem auch Menschen mit Trisomie 21 selbst zu Wort kommen dürfen“.

(vatican news)
 

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12. April 2019, 13:40