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Altersarmut in Deutschland:„Dringend mehr Geschlechter-Gerechtigkeit"

Arm, alt und – weiblich! Altersarmut betrifft in Deutschland vor allem Frauen. Wie kann das sein - in einem so reichen Land? Das haben wir den Wirtschaftswissenschaftler und pensionierten Diakon Alfred Nicklaus gefragt.

Rebecca Lo Bello - Vatikanstadt

Immer dann, wenn die deutsche Bundesregierung oder Hilfsorganisationen neue Statistiken zur Altersarmut veröffentlichen, geht ein Aufschrei durch Politik und Gesellschaft. So steigt nach jüngsten Schätzungen der Bertelsmann Stiftung die Quote an armutsgefährdeten 67-Jährigen bis zum Jahr 2036 von heute 16 Prozent auf 20 Prozent an. Eines bleibt in der Debatte jedoch oftmals unbeachtet: Vor allem Frauen sind im Alter von Armut betroffen. Statistiken der Bundesregierung zufolge erhalten Frauen im Schnitt nur 60 Prozent der Rente der Männer. Das Risiko, von staatlicher Hilfe abhängig zu werden, ist für sie also besonders groß.

Konkrete politische Entscheidung

Im Interview mit Vatican News gibt der Wirtschaftsexperte Alfred Nicklaus zu bedenken, dass Altersarmut nicht von ungefähr komme - sondern auf konkrete politische Entscheidungen der großen Koalition im Jahr 2001 zurückzuführen sei:

„Diese übergroße Mehrheit wollte die Deutschen dazu bringen, ihre Altersvorsorge privat zu organisieren.  Dazu wurde die Rente des „Eckrentners“, wie man das nannte, gesenkt. Mit der Folge, dass damit insgesamt jede Rente niedriger wurde. Das Fenster wurde aufgemacht…jetzt ist es kälter im Zimmer.“

Frauen besonders benachteiligt

Unter dieser Maßnahme würden insbesondere die Frauen leiden, da sie während ihrer Erwerbstätigkeit meist deutlich weniger verdienen als Männer, so der Experte:

„Für mich wäre damals dran gewesen, die gesetzliche Rente armutsfest und geschlechtergerecht zu machen. Ich will es an zwei Beispielen konkret machen: Die Friseuse, die Kassiererin, die Altenpflegerin oder selbst die Krankenschwester verdienen deutlich weniger als die Facharbeiter in der Automobilindustrie. Diese Benachteiligung von Frauen wird in der Rente fortgeschrieben. Auch wenn die Frauen genauso lange erwerbstätig waren.“

Hinzu komme, dass die Karriere von Frauen oftmals durch Unterbrechungen geprägt sei:

„Wer heute 75 Jahre ist, hat Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre seine Erwerbsarbeit begonnen. Wie viele Hausmänner gibt es in dieser Generation? Das heißt, wenn eine verheiratete Frau erwerbstätig war, dann erst, wenn die Kinder ,versorgt' waren - und da oft auch in Teilzeit.“

Mehr verdient als die Nelke zum Frauentag

Zentrales Stichwort für die Rentenreform sei also: Mehr Geschlechtergerechtigkeit. Man müsse einerseits den Beitrag aller Frauen zum gesellschaftlichen Wohlstand anerkennen und andererseits deren strukturelle Benachteiligung in der Erwerbsarbeit aufbrechen:

„Aber einen ebenso wichtigen Beitrag zum Wohlstand haben die Frauen geleistet, die nicht dafür bezahlt wurden. Die dafür sorgen, dass Kinder erzogen und dass kranke und alte Familienmitglieder betreut und gepflegt werden. Sie haben mehr verdient, als die Nelke zum Frauentag oder die Rose zum Muttertag. Meine Option ist: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Noch immer werden Frauen auch in Deutschland heftig benachteiligt.“

Kirche: Wohl aller im Blick haben

Was den Beitrag der Kirche angeht, so solle auch sie sich aktiv in die Debatte einbringen: Hilfsmaßnahmen – wie beispielsweise Tafeln – seien zwar wichtig, es müsse jedoch auch eine Diskussion um die bestehende Ungleichheit geführt werden:

„Von meiner Kirche erwarte ich, dass sie an der Seite der Armen und Armgemachten ist und deren Stimme verstärkt. Von ,meiner Kirche', da bin ich mir bei Papst Franziskus sicher. Das muss aber weitergehen in die verschiedenen Hierarchien, in den Bistümern und Kirchengemeinden. Und in die kirchlichen Verbände. Wir müssen den Schrei der Armen hören. Einerseits konkrete Hilfe – wie zum Beispiel die Tafeln oder bezahlbare Wohnungen – anbieten, aber auch uns in die Gesellschaft einbringen. Da können wir zusammen mit den anderen Menschen guten Willens an einer Gesellschaft arbeiten, welche das Wohl aller im Blick hat.“

(vatican news)

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26. Februar 2019, 11:58