Menschen.jpg

Menschen in der Zeit: Carla del Ponte

Sie ist eine Heldin unserer Zeit: Die Schweizerin Carla del Ponte hat sich seit jeher für Gerechtigkeit und Menschenrechte eingesetzt. Aldo Parmeggiani stellt sie uns in seiner Sendung vor.

Die international bekannte Schweizer Juristin Carla del Ponte ist im Februar 2018 etwas verspätet mit dem hessischen Friedenspreis ausgezeichnet worden. Die 71-jährige machte sich als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und den Völkermord in Ruanda einen Namen. Außerdem war sie als Sondervermittlerin in einer Untersuchungskommission zu Kriegsverbrechen in Syrien tätig. Schon in ihrer Zeit als Chefanklägerin der beiden Strafgerichtshöfe in Den Haag war sie dafür bekannt, politische Versäumnisse offen anzusprechen und kompromisslos die Linie des internationalen Strafrechtes und der Opfer zu vertreten. Versetzen wir uns jetzt in die feierliche Atmosphäre der Preisverleihung des Friedenspreises des Landes Hessen und beginnen zunächst mit Auszügen aus der Laudatio für Carla del Ponte, gesprochen von Volker Bouffier, Ministerpräsident des Landes Hessen.

Zum Nachhören

„Sie haben dafür gesorgt, dass Missetaten aller Art nicht in Vergessenheit geraten, dass Opfer eine Stimme bekommen haben“

„In diesem Jahr feiern wir das 70-jährige Jubiläum der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte durch die UNO - 70 Jahre. In diesen 70 Jahren ist ungemein oft, unzählige Male, gegen die Menschenrechte verstoßen worden. Und trotzdem bleibt nicht nur ein Appell, sondern auch eine Verpflichtung. Und wenn man das so zusammennimmt, verehrte Frau del Ponte, haben Sie eine ganze Menge erreicht und manchen zu einer Verurteilung gebracht. Was mir aber wichtiger ist: Sie haben dafür gesorgt, dass Missetaten aller Art nicht in Vergessenheit geraten, dass Opfer eine Stimme bekommen haben, dass sie nicht unter gehen in den unzähligen Bildern des Tages, die einen natürlich irgendwann abstumpfen lassen. Und wahr ist auch: Je mehr Gräueltaten wir sehen, desto häufiger besteht die Gefahr, dass man sich irgendwann daran gewöhnt. Mit ihrem Wirken haben Sie ein deutliches Signal dagegengesetzt, den Opfern eine Stimme und Hoffnung gegeben – Hoffnung darauf, dass Krieg, Gewalt und Folter nicht die letzte Antwort sind. Und wenn man das zusammennimmt, ist das eine großartige Bilanz. Das haben sie geschafft und deshalb sind sie ein Vorbild, ein Vorbild für Mut, für andere Anwälte möchte ich sagen, für die Kraft des internationalen Rechts. Wir wissen, dass man in dieser Zeit gelegentlich den Eindruck haben kann, dass nicht die Kraft des internationalen Rechts, sondern das Recht des Stärkeren sich durchsetzt. Aber es bleibt dank ihrem Wirken nicht die letzte Antwort. Carla del Ponte ist eine großartige Frau, sie ist mutig, sie hat wegweisende Zeichen gesetzt und sie ist eine großartige Preisträgerin unseres diesjährigen hessischen Friedenspreises. Herzlichen Glückwunsch Ihnen und Gottes Segen“.

Soweit Ministerpräsident Volker Bouffier. Es folgen nun Auszüge der zweiten Ehrung für Carla del Ponte, vorgetragen von Angelika Nußberger, Vizepräsidentin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

„Die andere Episode betrifft die Aufklärungsmission in Syrien. Hier gab Carla del Ponte ihren Posten im August 2017 auf, da sie nicht als Alibi für das Nichtstun der internationalen Gemeinschaft herhalten wollte“

„Sie wollte nicht nur eine oberflächliche Aufklärung, sondern auch die letzten Details ausleuchten, das Dunkle, das andere gerne im Zwielicht lassen würden. Mit ihren Aussagen zieht sie im Alter von 70 Jahren mit der Erfahrung eines langen kämpferischen Lebens ein unbarmherziges Fazit. Zwei Episoden sind da besonders bezeichnend. Carla del Ponte war überzeigt, in einem ominösen gelben Haus klare Indizien für Organhandel im Kosovo gefunden zu haben. Aber es fehlte der politische Wille, dem weiter nachzugehen. Carla del Pontes Annahmen wurden im Wesentlichen von einem im Jahr 2011 veröffentlichen Bericht des Europarat-Abgeordneten Dick Marty bestätigt. Die Untersuchungen sind immer noch nicht zu Ende gekommen. Die andere Episode betrifft die Aufklärungsmission in Syrien. Hier gab Carla del Ponte ihren Posten im August 2017 auf, da sie nicht als Alibi für das Nichtstun der internationalen Gemeinschaft herhalten wollte. Aus menschenrechtlicher Sicht kann ich nur bestätigen, wie sehr Carla del Ponte mit ihrem Beharren auf Aufklärung gerade in diesen Fällen Recht hat. Es gibt ein Recht auf Leben, ein Verbot der Folter und unmenschlichen Behandlung. Niemand stellt das in Frage. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, bedeutet dies aber auch eine Pflicht des Staates, ungeklärte Todesfälle sowie Folterungen und Misshandlungen aufzuklären und, wenn irgend möglich, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.

Aber wie schwierig Aufklärung sein kann, ist auch bei uns in Straßburg eine alltägliche Erfahrung. Man denke etwa an unser Verfahren zur heimlichen Überstellung von Terrorverdächtigen an die CIA. Was ist aus den Anklagen vor den internationalen Strafgerichten in Ruanda und Jugoslawien geworden? Vom Ruanda-Tribunal wurde Cara del Ponte 2003 abberufen, ohne, dass sie, wie sie geplant hatte, auch die verantwortlichen Täter der patriotischen Front Ruandas hätte anklagen können. Immerhin wurden an dem Gericht in der Folgezeit Verfahren gegen 93 Personen geführt und 63 wegen Beteiligung am Völkermord verurteilt. Das Jugoslawien-Tribunal hat seine Arbeit abgeschlossen, von 161 angeklagten Personen wurden 84 verurteilt. Das ist ein großer Schritt in der internationalen Strafjustiz, auch wenn dennoch kaum jemand, so wird man wohl sagen dürfen, mit dem Ergebnis wirklich zufrieden ist. Wie eine jüngst veröffentlichte Umfrage gezeigt hat, ist in Serbien die Mehrheit der Menschen davon überzeugt, das Tribunal sei nicht unparteiisch gewesen. Insbesondere wiegt für viele schwer, dass der Kroate Ante Gotovina, für dessen Verhaftung sich Carla del Ponte gegen große Widerstände eingesetzt hatte, nach einer Verurteilung zu 24 Jahren Freiheitsstrafe in der ersten Instanz, in der Berufungsinstanz freigesprochen wurden. Mladic, Milosevic und Karadzic hatten eine gute Bühne für ideologische Tiraden. Milosevic starb, bevor ein Urteil gesprochen werden konnte. Der letzte Prozess gegen Slobodan Praljak endete mit einem spektakulären Selbstmord. Diese Entwicklung sehen wir jetzt, lange Zeit nachdem Carla del Ponte dort gewirkt hat, mit enttäuschender Deutlichkeit. All dies kann aber nicht verdecken, dass es einen hoffnungsvollen Aufbruch gegeben hatte, dass Schritte in die richtige Richtung unternommen worden waren, dass die Welt zumindest grundsätzlich anerkannt hat, dass Gerechtigkeit eine Voraussetzung für Frieden ist, dass Straflosigkeit auch für die Kriegsführung Verantwortlichen keine Selbstverständlichkeit ist, dass Opfer hoffen dürfen, dass jemand für sie spricht. All dies bedeutet einen großen Fortschritt im internationalen Recht“.

„Ich selber bin erstaunt, dass man das alles so zusammenzählt“

Angelika Nussberger war das, Vizepräsidenten am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Jetzt sind wir am atmosphärischen Höhepunkt der Feierstunde der Preisverleihung des Landes Hessen an Carla del Ponte angekommen. Es spricht nämlich die Preisträgerin selbst.

„Ihr habt heute Morgen Etliches von mir gehört, auch viel Gutes. Ich selber bin erstaunt, dass man das alles so zusammenzählt. Vielen, vielen Dank, die Laudatio ist wunderbar gewesen, ihr wisst jetzt, fast beinahe alles, was mir geschah. Viel Arbeit, viel Arbeit, ja. Das haben wir gemacht, aber nicht nur Carla del Ponte; Carla del Ponte gemeinsam mit ihren Mitarbeitern. Der Sicherheitsrat sagt: ‚Ja, wir machen ein Tribunal. Wir machen dieses internationale Tribunal für diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Völkermord. Wisst ihr warum? Weil das Fernsehen war dort. Wir haben tagtäglich in der Tagesschau gesehen, was dort geschah. Denn die Medien waren dort, die NGOs waren dort. In dieser neuen Welt sind die Bilder sofort veröffentlicht worden. Der Sicherheitsrat musste also etwas unternehmen.

Der Friedenspreis für eine Chefanklägerin: Ich weiß, es ist richtig. Aber was hat ein Staatsanwalt mit dem Frieden zu tun? Erstens bewegen wir uns auf internationaler Ebene, zweitens fordern wir Gerechtigkeit und Justiz für die Opfer. Ich hätte nie gedacht, dass die Opfer so viel daraufsetzen, dass sie Gerechtigkeit erlangen. Milosevic ist nach zwei Jahren Prozess gestorben. Wir waren am Ende des Prozesses, ich hatte meine Anklagerede vorbereitet. Das wäre professionell natürlich ein Höhepunkt gewesen, nicht? Es war die erste Anklagerede gegen einen Präsidenten einer Nation. Es war das erste Mal und so wichtig, so wichtig. Er ist gestorben, wie ein Engel in der Zelle in seinem Bett. Er ist einfach nicht mehr aufgewacht. Das hat natürlich auch etwas mit meinem Gott etwas zu tun. Ich war ein bisschen böse mit meinem Gott. So ein Mensch, so ein Verbrechen kann nicht so wie ein Engel in seinem Bett sterben.

Auf alle Fälle: Das Jugoslawien-Tribunal ist ein Erfolg der internationalen Justiz, denn es ist das erste Mal, dass die hohen politischen und militärischen Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermorde, die begangen werden, vor Gericht gestellt werden. Das ist das erste Mal. Wir hatten gedacht, das sei eine Prävention, dass diese Verbrechen nicht mehr begangen werden, aber wir haben uns getäuscht – stark getäuscht, denn dann haben wir gesehen, was in Syrien geschieht.

Wir möchten Sie als Kandidatin für die Syrien-Kommission. Ja, was ist das? Die Syrien-Kommission ist eine fact-finding mission. Sie ermittelt bei Verbrechen, die im Syrienkrieg begangen werden. Wisst ihr, man sagte, der politische Wille stimmt. Wenn der politische Wille nicht da ist, erreichen sie nichts. Und vor allem nicht in der internationalen Justiz. Es brauchte politischen Willen, aber der politische Wille hat andere Objekte, andere Horizonte. Und wenn sie dann kommen und sagen: ‚Ja, aber das ist politisch‘. Beim Jugoslawien-Tribunal hatte ich manchmal große Schwierigkeiten. Dann ging ich zu Kofi Annan, damaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, und habe gesagt: ‚Das geht doch so nicht‘. Er lässt mich sprechen aber dann sagt er mir: ‚Carla, der Sicherheitsrat ist eine politische Institution. Und er denkt politisch, und er trifft politische Entscheidungen. Das musst du akzeptieren‘. Das habe ich dann gelernt, man muss mit dieser Politik leben. Ich könnte nie Politiker werden. Was mich überrascht ist, dass die Türkei in Syrien Krieg führt und niemand etwas unternimmt. Das ist skandalös. (Publikum klatscht)

Das freut mich, denn das bedeutet, dass sie mir zustimmen. Wenn keine Reorganisation der UNO stattfindet, wird es immer schlimmer werden. Und unsere Staatsoberhäupter, unserer Präsidenten der Nationen müssen intervenieren. Man muss etwas machen, denn sonst wird es uns sehr schlecht gehen und Frieden wird weit weg von uns sein - nicht einmal mehr am Horizont. Ich glaube, wenn wir nicht nur Syrien, aber auch Syrien, Jemen, verschiedene afrikanische Staaten, die Ukraine, was für eine Humanität haben wir da?

Das war eine sehr persönliche, eine sehr eindrucksvolle Rede, gesprochen von Staatsanwältin Carla del Ponte anlässlich der Preisverleihung des Friedenspreises des Landes Hessen im Februar dieses Jahres.

(vatican news)

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

02. September 2018, 13:35