Armut ist in vielen Gesellschaften ein Problem - in Österreich wird derzeit darüber diskutiert Armut ist in vielen Gesellschaften ein Problem - in Österreich wird derzeit darüber diskutiert 

Armutsexperte Schenk: Mindestsicherungsdebatte läuft falsch

Der stellvertretende Direktor der Diakonie Schenk kritisierte die Debatte über die Mindestsicherung, da diese oft suggeriere, die Bezieher seien faul. Auch sagte er, die Bezieher bekämen nicht genug Geld zum Überleben. Bei einem Selbstversuch mit Mindestsicherung gab er zu, dass er es ohne Schummeln nicht geschafft hätte, davon zu leben.

Die Mindestsicherungsdebatte in Österreich laufe falsch, so der Armutsexperte und stellvertretende Diakonie-Direktor Martin Schenk am Montag im Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“, Er erklärte, dabei werde oft suggeriert, dass die auf Transferleistungen Angewiesenen „alles faule Leute sind“. Dabei begegneten ihm in der Beratung oft Leute, die sich zusätzlich zur Mindestsicherung mit prekären Jobs über Wasser halten müssten. Dazu hätten sie Versorgungspflichten für Kinder und müssten sich womöglich wegen des Unterhalts streiten, berichtete Schenk. Geldsorgen bedeuteten großen Stress, der wiederum lähme.

Der Mitbegründer der Armutskonferenz verwies auf Studien, die belegen, dass unter derartigem Druck stehende Menschen ihre Fähigkeiten nicht ausspielen können. Wenn es jemandem schlecht gehe, werde man durch Druck langsamer und nicht schneller.

Der Armutsexperte wandte sich auch gegen das in der Mindestsicherungsdebatte häufig zu hörende Argument, der Abstand zwischen Sozialtransfers und Niedriglöhnen müsse groß genug sein, sonst sinke die Arbeitsmotivation. Studien zu Hartz IV in Deutschland zeigten, dass Alleinstehende, bei denen dieser Abstand größer ist, schwerer Arbeit finden als Familien, bei denen der Abstand geringer ist. Denn zusätzlich zu finanziellen Anreizen geht es nach den Worten Schenks bei der Jobsuche auch um soziale Faktoren wie motivierende Partner oder Verantwortung für Kinder.

Angesprochen wurde Schenk auf widersprüchliche Statistiken zur Armut: einerseits geringerer Armenanteil in der Gesellschaft, andererseits aufgehende Schere zwischen Arm und Reich. Der Diakonie-Mitarbeiter dazu: Armut sinke zwar seit 2009 insgesamt, steige aber bei speziellen Gruppen wie psychisch Kranken oder Langzeitarbeitslosen. Im Blick auf die Vermögen und die Lohneinkommen steige die Kluft zwischen Armen und Reichen tatsächlich, im Blick auf die Haushaltseinkommen bleibt die Schere laut Schenk gleich.

Der Experte, der an der Entstehung der Wiener Obdachlosen-„Gruft“ beteiligt war, berichtete auch über persönliche Erfahrungen mit Armut: Der mehrfache Familienvater führte in seinem Haushalt das Experiment durch, einen Monat lang nur von Mindestsicherung zu leben. „Das war fast unmöglich“, gestand Schenk, Er hatte immer wieder auf die Vorräte der Speisekammer und elterliche Zuwendungen zurückgegriffen. „Ohne Schummeln hätten wir es nicht geschafft.“ Zugleich ist sich Schenk bewusst: Derlei Selbstversuche seien „nie echt, weil immer die Freiheit besteht zurückzugehen“.

(kap – nv)

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16. April 2018, 14:18