Einer der Preisträger: Oppositionsführer Leopoldo Lopez Einer der Preisträger: Oppositionsführer Leopoldo Lopez 

Venezuela: EU-Menschenrechtspreis an zersplitterte Opposition

Mit dem europäischen Sacharow-Preis für geistige Freiheit 2017 soll die de facto entmachtete demokratische Opposition in Venezuela ausgezeichnet werden. Das gab das EU-Parlament an diesem Donnerstag bekannt. Der Preis geht an die venezolanische Nationalversammlung (in Person ihres Präsidenten Julio Borges) sowie alle von der Menschenrechtsorgansation „Foro Penal Venezolano“ anerkannten politischen Gefangenen, unter ihnen auch Leopoldo López und Antonio Ledezma.

Christine Seuss - Cittá del Vaticano

Der Preis könnte einen Einigungsprozess in der mittlerweile arg zersplitterten venezolanischen Opposition fördern, hofft der Venezuela-Experte des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Reiner Wilhelm im Gespräch mit Radio Vatikan. 

Wilhelm: „Es ist natürlich eine große Ehre und man versucht im Europäischen Parlament damit jetzt auch, die Position der Opposition in Venezuela zu stärken. Es gab allerdings vor kurzem Regionalwahlen, aus denen die Opposition geschwächt hervorgegangen ist. Von den fünf Gouverneuren, die von der Opposition gestellt werden, haben sich vier dazu entschieden, den Amtseid vor der Verfassungsgebenden Versammlung zu leisten. Diese ist aber selbst nicht verfassungsgemäß und wird von der Opposition abgelehnt. Es ist also zu sehen, dass ein dicker Riss durch die Opposition geht. Die einen, die mit den so genannten Dissidenten den Amtseid geleistet haben und sagen, dass man miteinander im Gespräch bleiben müsse, und die anderen, die das völlig ablehnen. Einer der führenden Oppositionspolitiker, Henrique Capriles, ist mit seiner Partei auch schon aus dem Oppositionsbündnis ausgestiegen, so dass es im Moment riesigen Streit gibt. So ist natürlich auch die Frage, was dieser Sacharow-Preis bewirken kann.“

RV: Stichwort Regionalwahlen, Maduro feiert ja die hohe Wahlbeteiligung vom 15. Oktober, 18 von 23 Gouverneursposten sind an die Sozialisten gegangen – aber sind denn die Wahlen überhaupt korrekt abgelaufen? Denn da gibt es doch viele Zweifel auch von Seiten angesehener internationaler Organisationen.

Wilhelm: „Ja, dem ist auch so. Im Vorfeld wurden beispielsweise 16 Bürgermeister verhaftet, die gute Aussichten gehabt hätten, als Gouverneure gewählt zu werden. Henrique Capriles beispielsweise wurde bereits im Vorfeld von den Wahlen ausgeschlossen, in sieben Staaten konnte das Bündnis der Oppositionsparteien MUD aus juristischen Gründen gar nicht erst antreten. Man hat diese Wahlen auch zu einem Plebiszit über die Verfassungsgebende Versammlung stilisiert, die ja selbst gegen die Verfassung gewählt worden ist. Aus diesem Grund hatte die Opposition auch gedroht, die Wahl zu boykottieren. Auch da waren also schon Risse erkennbar. Es gab keine internationalen, aber auch keine nationalen Kontrollen während der Wahlen, das heißt, und das ist inzwischen auch bekannt, dass Menschen mehrfach abgestimmt haben oder auch Personen, die gar nicht mehr lebten. Viele Wahllokale wurden im letzten Augenblick verlegt und zwar in die Hochburgen der Sozialisten, so dass auch in diesem Fall die Stimmenabgabe vor allem der Opposition stark behindert worden ist. Es gab auch massive Einschüchterungsversuche durch Militär, Milizen und Polizei.

RV: Und Sie würden sagen, dass diese offensichtlich stark gesteuerten Wahlen Nicolas Maduro und seine Präsidentschaft eher gestärkt haben?

Wilhelm: „Ja, er hat sich tatsächlich stärker durchgebissen, zum Einen gegenüber den Widersachern in seinem eigenen Lager, nämlich den Chavisten, die sich im Vorfeld gegen Maduro gestellt haben. Und zum Anderen ist ihm gelungen, was immer sehr schwierig war, nämlich die Opposition zu schwächen und sie vor allem auch zu zersplittern. Momentan steht die Einheit des Oppositionsbündnisses als solches auf dem Spiel und insofern hat er natürlich auch einfacheres Spiel. Und was auch wichtig ist, er hat die Hoffnung der Menschen, die sich von der Opposition unheimlich viel erwartet haben, zerstört. Dadurch, dass die Opposition dieses Spiel mitgemacht hat, ist es wirklich eine Schwächung der Opposition und eine Stärkung der Position Maduros.“

RV: Eine Stimme, die in Venezuela als sehr einig erscheint, ist die Stimme der Kirche. Die Bischöfe haben ja von Anfang an sehr klare Einlassungen und Mahnungen geliefert. Gehen die Bischöfe ihrer Ansicht nach da ein wenig über ihre Kompetenz hinaus, oder ist es vielmehr richtig und wichtig, dass sie weiterhin den Finger in die Wunde legen?

Wilhelm: „Das Evangelium selbst ist ja schon politisch. Und Jesus ist von den Römern und Juden nicht umgebracht worden, weil er eine unpolitische Meinung hatte. Sondern genau deswegen, weil er an die Grundfesten des Glaubens und auch der Gesellschaft der damaligen Zeit gegangen ist. Das haben die Bischöfe vor Ort aufgegriffen. Sie haben immer zu Dialog aufgerufen. Und das geht auch aus allen Verlautbarungen der Bischöfe hervor. Sie haben trotz der Manipulationsvorwürfe die Gläubigen dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben und sich an den politischen und demokratischen Prozessen zu beteiligen. Was sie vermeiden wollten, war, dass Maduro mit seinen Versuchen, die Ortskirche gegen den Vatikan auszuspielen, Erfolg haben könnte. Deshalb wollten sie ein einheitliches Bild abgeben und demonstrieren, dass der Papst hinter ihnen stehe. Und das haben sie auch immer wieder bewiesen, obwohl Maduro versuchte mit dem Papst zu reden, ohne sie einzubeziehen. Die Kirche ist mittlerweile die einzige unabhängige Kraft in Venezuela, die etwas sagen kann und auch gehört wird. Sie genießt ein großes Vertrauen unter der Bevölkerung, obwohl der vom Vatikan eingeleitete Dialogprozess letztlich ja gescheitert ist.“

RV: Was müssen wir uns vor dem Hintergrund von den Präsidentschaftswahlen 2018 erwarten? Maduro hat ja wiederholt klar gemacht, dass vorzeitige Wahlen für ihn nicht in Frage kommen...

Wilhelm: „Es war ohnehin fast ein Wunder, dass es Parlamentswahlen gab, die Maduro 2015 auch noch akzeptierte. Inzwischen ist es aber so, das hat man auch bei den jetzigen Wahlen gesehen, dass es offen zu Wahlbetrug kommt und man auch nicht davor zurückschreckt, das öffentlich zu sagen. Was die Präsidentschaftswahlen 2018 betrifft: da wird sich wohl die Diktatur stärker durchsetzen und zementieren, sofern sie bis dahin überhaupt durchhält. Die Situation im Land ist äußerst kritisch, die Menschen haben kaum noch etwas zu essen. Prognosen sagen voraus, dass im nächsten Jahr 82 Prozent der notwendigen Grundnahrungsmittel nicht mehr vorhanden sein werden. Und dann stellt sich die Frage, wie das Volk reagieren wird. Das wird dann aber weder von der Regierung, noch von der Opposition abhängen. Da wird das Volk wahrscheinlich das Heft in die Hand nehmen.“

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27. Oktober 2017, 00:04