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Menschenhandel: Ein stilles Problem unserer Zeit

Papst Franziskus ruft die Gläubigen auf, für das ostafrikanische Land Kenia zu beten. Er verfolge die jüngsten Spannungen in jenem Land und sei besorgt über die Lage. Das sagte er an diesem Sonntag nach dem Angelus-Gebet auf dem römischen Petersplatz. Auch erinnerte Franziskus daran, dass er das Land 2015 besucht hatte. Kenia wird zum diesjährigen Weltmissions-Sonntag an diesem Wochenende in den Mittelpunkt gerückt: Dem ostafrikanischen Land soll mit Spenden aus möglichst vielen Pfarreien geholfen werden.

Mario Galgano - Cittá del Vaticano

Aktuell grassierten im Schwerpunktland Menschenhandel und Sklaverei. „Auch wenn manche es nicht glauben können, Menschenhandel und Sklaverei existieren immer noch und sind mittlerweile die lukrativsten organisierten Verbrechen der Welt“, berichtet Sophie Otiende, Projektberaterin und Koordinatorin von „Awareness Against Human Trafficking“ (HAART), einer von Missio-Österreich unterstützten internationalen Organisation, die sich im Kampf gegen Menschenhandel engagiert.

40,5 Millionen Menschen sind Opfer von moderner Sklaverei, von Menschenhandel: Diese Zahlen veröffentlichten die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) für das Jahr 2016. Die 32-jährige Sophie Otiende aus Kenia wurde im Alter von 13 Jahren selbst Opfer von Menschenhandel. Heute kämpft sie mit der internationalen Organisation HAART gegen jede Art moderner Sklaverei. Sophie Otiende war zu Gast bei den Päpstlichen Missionswerken in Österreich (Missio) und erläuterte, warum Menschenhandel von so großer Bedeutung – gerade in Kenia sei. Sophie Otiende:

„Man kann nicht vom Menschenhandel reden, ohne ihn aus einer globalen Perspektive zu betrachten. Aber wenn Sie mich nach Menschenhandel im kenianischen Kontext fragen, ist es so, dass die Ausbeutung von Kindern, vor allem als Arbeitskräfte, inzwischen weit verbreitet ist. Das ist entschieden abzulehnen. Denn überall auf der Welt gibt es eine Nachfrage nach billigen Arbeitskräften, und diese sind in Entwicklungsländern wie Kenia leichter zu finden, weil wir hier schutzlose Kinder haben, die bereit sind, im Grunde alles zu machen, bloß um etwas zu essen zu bekommen. Es ist daher sehr einfach, diese Straftat zu begehen. Zweitens gestaltet sich die Strafverfolgung schwierig, weil so viele Personen beteiligt sind, und umso schwieriger wenn diese Familienmitglieder sind. In diesem Fall wollen die Opfer ihre Verwandten nicht belangen.“

Das Problem des Menschenhandels und der Sklaverei will auch Missio-Österreich deshalb ins Bewusstsein der Menschen bringen; denn, „uns ist nicht bewusst, dass Menschenhandel eines der Hauptprobleme in den armen Ländern des Südens geworden ist, wo Eltern und Verwandte ihre Kinder aus ökonomischen oder gesellschaftlichen Gründen in die Sklaverei verkaufen“, so Missio-Österreich-Nationaldirektor Pater Karl Wallner. Missio habe hier eine Not erkannt, „die andere Hilfsorganisationen nicht so im Fokus haben“.

„Antidepressivum gegen innerkirchliche Langeweile“

Mit dem Weltmissions-Sonntag will das päpstliche Missionswerk in diesem Jahr eine „neue missionarische Gesinnung wecken“, der Kirche ein „Antidepressivum gegen innerkirliche Langeweile und Frustration“ verschreiben, so Pater Karl Wallner. „In den jungen Kirchen des Südens blüht das Christentum. Von diesem missionarischen Spirit in Afrika, Asien und Lateinamerika können wir hier in Europa und Österreich viel lernen.“ Der Blick in diese Länder „reißt uns aus unserem Frust und gibt uns Hoffnung“.

Der Weltmissions-Sonntag verlange von Christen in Europa auch Mut. Die Kirche müsse wegkommen von einem kulturellen Christentum hin zu einem Überzeugungschristentum. Mission bedeute, „die Freude am christlichen Glauben mit anderen zu teilen. Den Glauben und seine Kraft weiterzugeben. Authentisch im Geist Jesu zu leben und jeden Menschen als Menschen zu respektieren und mit ihm ins Gespräch zu kommen“.

Menschenhandel… meist zuerst in der Familie

Aber dazu müsse man die Probleme auch kennen. Das gelte auch für das Problem „Menschenhandel“. Sophie Ostiende kennt diese schreckliche Taten aus eigener Erfahrung sehr gut.

„Mein Vater wurde arbeitslos und konnte mich nicht in die Schule schicken. Er wollte aber, dass ich zur Schule gehe. Er hatte etwas Geld, also bat er meinen Onkel, mich in die Schule zu schicken, die in der Nähe seines Hauses stand. Er gab meinem Onkel das Geld, aber dieser nahm mich einfach mit nach Hause und zwang mich, bei ihm zu arbeiten. Er ließ mich nie zur Schule gehen. Ein ganzes Jahr lang durfte ich das Haus nicht verlassen. Ich wurde körperlich und sexuell missbraucht, was mir sehr zusetzte. Ich hatte einfach Glück, dass meine Eltern an dieser Ausbeutung nicht beteiligt waren. Als ich wieder nach Hause kam, setzten sie alles daran, dass ich die Schule wieder besuchen konnte. Aber nur wenige Kinder haben ein solches Glück. Ihre Eltern sind Mittäter und das bedeutet, dass sie nach ihrer Rückkehr niemanden haben, der sich um sie kümmert und dafür sorgt, dass sie wieder in die Schule gehen und später eine Zukunft haben.“

Die Rolle der Politik und Regierung

Politik und die Regierung spielten im Kampf gegen den Menschenhandel in Kenia durchaus eine Rolle, so Otiende:

„Die Frage der Schutzlosigkeit ist ein wesentlicher Aspekt. Hier wird schnell die Rolle der Regierung klar: Sie hat die Aufgabe, für Schutz zu sorgen. Wenn beispielsweise Kinder Zugang zu Bildung haben, sind sie nicht schutzlos. Wenn es für Frauen einen sozialen Schutz gibt, sind diese nicht schutzlos. Es gibt also vieles, was der Staat tun könnte, um diese Personen besser zu schützen, aber er tut es nicht. Deswegen steigt die Zahl der Schutzlosen immer mehr. Beispiel Migration: Es ist auch die Aufgabe des Staates, für eine kontrollierte und sichere Migration zu sorgen. Wenn aber, wie derzeit, die Migration in den Nahen Osten, wo die höchste Zahl von Kenianern ausgebeutet wird, nicht kontrolliert wird und die Regierung keine Fragen stellt, stehen immer mehr Menschen ohne Schutz da. Kehren diese Opfer dann zurück, fehlt es an Strukturen, um sie zu empfangen und so zu betreuen, dass sie sich erholt in die Gesellschaft wieder eingliedern können. Der Staat ist also einer der wichtigsten Akteure im Kampf gegen den Menschenhandel, aber es passiert sehr wenig.“

Die Rolle der Kirche

Und dann gibt es natürlich auch die Kirche in Kenia:

„Die Kirche spielt eine enorm wichtige Rolle. Versagt der Staat, verlassen sich die Menschen darauf, dass die Kirche einige seiner Aufgaben übernimmt. Zum Beispiel, kehren Opfer des Menschenhandels wieder nach Hause zurück, oder ist etwas in der Gemeinschaft vorgefallen, ist die Kirche immer eine der ersten Anlaufstellen, die um Hilfe gebeten werden. Hat die Kirche aber nicht die nötigen Ressourcen, um sich der Sache anzunehmen, wird es die Betroffenen sehr schwierig. Darüber hinaus sollte die Kirche die Kompetenz besitzen, mit der Bevölkerung zu reden und ihr aktuelle Vorkommnisse zu erklären. In der Vergangenheit haben wir allerdings beobachtet, wie die Kirche sowohl bei dem Schutz als auch beim Anwerben von Opfern eine Rolle spielte. Wir führten eine Untersuchung durch und stellten fest, dass für das Anwerben von Arbeitskräften in erster Line Arbeitsvermittlungsstellen, aber an zweiter Stelle Priester und religiöse Führer verantwortlich waren, und zwar deswegen, weil das Wohlstandsevangelium derzeit einen so hohen Stellenwert in Afrika genießt und als Komponente des eigentlichen Evangeliums betrachtet wird.“

Eine wichtige Unterstützung käme von Hilfswerken wie Missio, so Otiende. Sie hätten sogar einen neuen Ansatz hervorgebracht:

„Missio kann beispielsweise eine Persönlichkeit wie den kenianischen Kardinal Njue treffen. Für mich oder für eine andere Mitarbeiterin von HAART wäre das nicht möglich. Und wenn Sie Kardinal Njue treffen, haben Sie durch ihn Zugang fast zur gesamten katholischen Kirche Kenias. Wenn Missio die Problematik versteht, wird sie diese Botschaft überbringen können, aber ich oder ein Mitglied einer kleinen NGO wird nie die Gelegenheit haben, ihn zu treffen.“

Otiende glaubt, dass vor allem Frauen mehr Gefahren ausgesetzt seien. Allerdings zeigten derzeitige Studien, dass man diese Sichtweise eventuell etwas überdenken muss, denn bedingt durch die Kultur wüssten Männer nicht, wie man um Hilfe ruft. Während es insgesamt schwierig ist, Opfer von Menschenhandel zu identifizieren, ist es leichter, weibliche Opfer zu identifizieren als männliche, weil Männern kein Mitleid zuteilwird, so Otiende.

Päpstliche Missionswerke in Österreich

Unter dem Namen „Päpstliche Missionswerke“ ist Missio als päpstliche Einrichtung in mehr als 150 Ländern und in allen österreichischen Diözesen seit 1922 vertreten. Der Papst steht an der Spitze, die globale Leitung ist der Kongregation für die Evangelisierung der Völker anvertraut, die Kardinal Fernando Filoni leitet. Ihm steht Erzbischof Kigoma Protase Rugambwa zur Seite, der als Präsident den Päpstlichen Missionswerken und ihren vier Zweigen vorsteht. Seit einem Jahr steht der Heiligenkreuzer Zisterzienserpater Karl Wallner an der Spitze von Missio-Österreich.

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22. Oktober 2017, 09:27